Der FCB-Trainer ist ein Arbeiterkind
Koller vergisst nie, woher er kommt

Als Kind wählten sie ihn als Letzten ins Team – weil er der Kleinste war. Heute unterschätzt Marcel Koller (57) keiner mehr.
Publiziert: 05.08.2018 um 12:28 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 18:48 Uhr
Marcel Koller coacht den FCB in seinem ersten Spiel zu einem 4:2-Sieg gegen ... GC!
Foto: KEY
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Michael Schifferle

Im Oktober 1996 ists, nach einem 0:0 der Grasshoppers gegen Aarau. Trotz des drögen Resultats ist GC da noch GC: der amtierende Meister, stolzer Vertreter in der Champions League, der soeben die Glasgow Rangers mit Paul Gascoigne 3:0 aus dem Hardturm gefegt und in der Amsterdam ArenA das grosse Ajax 1:0 niedergerungen hat.

Die Stars? Kubilay Türkyilmaz, Viorel Moldovan, Mats Gren, Murat Yakin – und viele andere.

Marcel Koller ist der Elder Statesman, Stand-by-Profi und Assistent von Christian Gross, Ex-Captain, siebenfacher Meister, fünffacher Cupsieger, nun 36-jährig.

Marcel Koller verbrachte seine gesamte Spielerkarriere bei GC. Insgesamt 428 Spiele absolvierte der Zürcher für die Hoppers.
Foto: Keystone
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Nach dem Spiel geht er durch den Hardturm, verteilt Autogramme, plaudert mit den Fans. Und fragt einen Jungen, der Fotos im Klubcafé bestaunt, ob alles okay sei. «Bis du alleine? Oder kann ich dir helfen?»

Alles okay, der Vater ist in Sichtweite. Koller nickt zufrieden.

«Bescheidener, freundlicher Mensch»

Ein kleines Beispiel, das stützt, was Leo Windtner in einer Biografie von 2015 über Koller sagt (Die Kunst des Siegens, Der Menschenformer im Gespräch mit Hubert Patterer). Windtner ist Präsident des Österreichischen Fussballbundes. Koller? Ein «bescheidener, freundlicher Mensch». Der dies auch im grössten Erfolg geblieben sei, nach der triumphalen Qualifikation zur Europameisterschaft, an die sich die Österreicher mit neun Siegen in zehn Spielen spielen.

An jeden Mitarbeiter habe er im Triumph gedacht, auch wenn «das Rädchen noch so klein war», erzählt Windtner: «Das ist eine soziale Haltung, die ihn auszeichnet.»

Tod des Vaters gab ihm Energie

In diesem Wohnblock in Zürich-Schwamendingen wuchs Marcel Koller auf.
Foto: ZVG

Angenommen hat er sie früh, in seiner Kindheit in Zürich-Schwamendingen, im Kreis 12, am Rand der Stadt. Mit einer Schwester und einem Bruder wächst er auf. Mit ihm teilt er sein Zimmer in der Genossenschaftswohnung. Koller erinnert sich im Buch: «Es war sehr eng, es gab das eine Bett, in dem der Bruder geschlafen hat, und dann das Klappbett. Da waren nur noch vierzig Zentimeter dazwischen, wo man noch gehen konnte. Fussballspielen war da nicht möglich, wohl aber Kopfball.»

Der Vater ist Gärtner. Und stirbt im Herbst 1999 – in jenem Jahr, in dem sein Sohn den FC St. Gallen nach 96 titellosen Jahren in die Glückseligkeit stürzen wird. «Seine Energie ist dageblieben. Ich habe sie im Nacken gespürt, als ob er hinter mir gestanden wäre. Ich habe mir dann gesagt: Ich hole den Schweizer Meistertitel.»

«Bin zu Bescheidenheit erzogen worden»

Private Einblicke: Marcel Koller am Grab seiner Eltern in Schwamendingen.
Foto: ZVG

Die St. Galler spielen international, drängen Galatasaray an den Rand einer Pleite, werfen später Chelsea aus dem Uefa-Cup, ein Jahr darauf bewältigen sie unter anderem die Aufgabe Steaua Bukarest. Auf einer Auslandreise schnöden einige Spieler über die Unterkunft – ein Vier-Sterne-Hotel. Sie empfinden es als Zumutung. Koller erzählt: «Ich bin zu Bescheidenheit erzogen worden und hab deshalb empfindlich reagiert und die Spieler darauf aufmerksam gemacht, nicht zu vergessen, wo sie herkommen.» Die Spieler kapieren es.

Kollers Mutter ist Schneiderin und im ganzen Quartier beliebt. Koller: «Sie hat Tag und Nacht gearbeitet für beschämend wenig Geld. Für Hosen hat sie vier, fünf Franken verlangt. Das war lächerlich.» Als ihr Sohn Marcel sie auffordert, mehr zu verlangen, lehnt sie strikt ab. Sie erkrankt an Demenz und stirbt 2009.

Koller meist als Letzter ins Team gewählt

Was ihm die Eltern an Fleiss und Hingabe vermittelten, setzt Koller auf dem Rasen um. Bilder zeigen ihn schon als Zweijährigen mit dem Ball. Früh  wird sein Wille geschult. Der Wille, sich durchzubeissen, Widerstände zu durchbrechen. Wird in den späten 60ern im Quartier gekickt, wird Koller meist als Letzter ins Team gewählt – weil er der Kleinste ist. «Dann haben die Älteren gesehen, wie ich Fussball spiele, und plötzlich war ich der Zweite oder der Dritte.»

Marcel Koller als Kind.
Foto: ZVG

1970 sieht Koller zu, wie die Junioren des FC Schwamendigen trainieren – und er trägt die Sehnsucht in sich, mitzumachen. Er darf. Und wechselt zwei Jahre später in den Nachwuchs der Grasshoppers. Koller sagt, was das damals hiess: «Das Arbeiterkind aus Schwamendingen durfte zum bürgerlichen Grossstadt-Klub!» Eine Ehre!

Von Schwamendingen in den Hardturm – damals eine lange Reise.  «Ich musste drei Mal in der Woche nach der Schule zum Training, mit der Strassenbahn quer durch die Stadt. Wenn ich nach Hause gekommen bin, war es schon dunkel.»

Dass Mami oder Papi hinfährt wie heute üblich? Undenkbar.

«Extreme Spielintelligenz»

Auch bei GC fasst er Fuss. Langzeit-Manager Erich Vogel sagte mal dem «Landboten»: «Er war klein und fein, auch nicht so schnell. Also musste er das Spiel durchschauen, um sich durchsetzen zu können – und so entwickelte er seine extreme Spielintelligenz.»

Nur ganz selten verliert er die Manieren. Den BLICK-Reporter blafft er zwischendurch mal an: «Glaubst du eigentlich den Scheissdreck, den du schreibst?»

Koller wird bei GC zur Legende. Mal liebäugelt er mit einem Wechsel zu Teneriffa nach Spanien, mal steht ein Abgang zu St. Gallen (!) kurz bevor. Und doch gibts im Spielerleben von Marcel Koller nur einen Klub: GC.

Gross sind die Erfolge, namhaft die Trainer. Hennes Weisweiler ist einer, das Gladbacher Denkmal. 1982/83 führt er GC zum Double. Wenige Wochen nach Saisonschluss erliegt er 64-jährig einem Herzinfarkt. Dessen aufopferungsvolle Arbeit mit Jungen ist eindrucksvolles Beispiel für Koller: «Es war stockdunkel, und man hat eigentlich nichts mehr gesehen. Aber Weisweiler war noch immer voller Euphorie und hat uns im Finstern herumkommandiert.»

Leo Beenhakker, Ottmar Hitzfeld Christian Gross oder Roy Hodgson in der Nationalmannschaft sind andere Wegbegleiter.

«Netto war ich drei Jahre verletzt»

Lehren zieht Koller auch aus Rückschlägen und Verletzungen. Von ihnen erleidet er viele. «Es war so, dass ich während meiner Karriere bei GC acht Verletzungen hatte, acht Mal operiert werden musste. Netto war ich drei Jahre verletzt.»

Die schlimmste Verletzung streckt ihn mit 31 Jahren nieder. Nach einer rüden Attacke voin Aaraus Roger Wehrli heisst die niederschmetternde Diagnose: doppelter Schien- und Wadenbeinbruch!

Koller kämpft. Und kommt zurück. Dem «Landboten» sagt er dazu: «Ich sagte mir, so hörst du nicht auf. Du hörst auf dem Platz auf. Und das gibt einem auch Stärke im Kopf.»

Sein letztes Tor schiesst er im August 1996, als GC in der Qualifikation zur Champions League Slavia Prag 5:0 schlägt.

Wil – die Antithese zu GC

Auf seiner ersten Trainerstation in Wil erlebt er die Antithese zum Meister aus Zürich. Koller: «Es war der Wechsel in eine andere Welt.» Er trainiert den Nati-B-Klub – und macht, was sonst anfällt. «Wir mussten bei null beginnen, haben uns um alles selbst gekümmert, versuchten verzweifelt, Geld reinzubekommen, indem wir Sponsoren angelten oder beim Weihnachtsmarkt selbst einen Stand betrieben, mit Hammer-und-Nagel-Spielen. Weil die aber im Ort alle so gut und treffsicher waren, verloren wir leider mehr, als wir einnahmen.»

IMAGE-ERROR (inline_image_7455176262681043415)Die Wäsche macht er auch. Bis er im Januar 1999 zu St. Gallen wechselt und den Klub nach oben peitscht. Nach drei Jahren und dem Wechsel zu GC lässt er traurige Espen zurück. Der damalige Präsident Thomas Müller sagt zum Abschied: «Einen wie ihn wirds nicht mehr geben.»

Mit GC wird er nach einem epischen Duell mit dem FC Basel Meister – in letzter Sekunde der letzten Runde. Richard Nunez heisst finale der Torschütze. Monte später stürzt GC in die Krise, Koller geht. Dass er sich mit Nunez, dem uruguayischen Genie, zerstritten habe, wies heisst - das verneint zum Beispiel Roland Schwegler, ein meisterlicher Verteidiger.

Beim Abschied des Meistertrainers im Oktober 2003 tragen sie im Hardturm Trauer. Schwegler: «Einer der schlimmsten Tage meiner Karriere.»

Koller entdeckte Poldi in Köln

In Köln, Bochum und Österreich spürt er, was es heisst, im Kreuzfeuer zu sein. Vor allem in Köln, wo Koller Lukas Podolski entdeckt – den Abstieg aber nicht vereiteln kann. Mit Stahlwolle zerkratzen Fans sein Auto. Drohbriefe erhält er auch. Koller: «Ich hatte Abstiegskämpfe oder Abstiegsängste nie durchleben müssen. Auch nie managen müssen. Vor diesem Hintergrund kann ich jetzt sagen: Ich bin froh, dass ich das erleben durfte. Obwohl es einem alles abverlangte, war das ein Erfahrungswert, den dir niemand nehmen kann!»

Koller mit seiner Frau Gisela, die er in der Ostschweiz während seiner Zeit beim FC St. Gallen kennenlernte.
Foto: ZVG

Bochum führt er nach oben und hält den Klub drei Jahre da. Nach Koller steigt der VfL ab – und kehrt bis heute nicht in die Erste Liga zurück. 

Zwei Jahre später setzt ihn ÖFB-Boss Windtner gegen interne Skeptiker als Nationaltrainer durch - mit Koller-typischen Eigenschaften: Biss und Beharrlichkeit. Bereut hat ers nicht.

Der FCB stellt Marcel Koller als neuen Trainer vor
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Die Pressekonferenz in voller Länge:Der FCB stellt Marcel Koller als neuen Trainer vor
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