Das Ende der heilen YB-Welt
Trauern sie Wicky in Bern dereinst gleich nach wie Fischer in Basel?

Wieso das YB-Formtief die gleiche Ursache wie das Darmstädter Debakel in der Bundesliga hat und die Wicky-Entlassung an Urs Fischer in Basel erinnert, erklärt Oliver Görz im Newsletter Steilpass.
Publiziert: 05.03.2024 um 14:59 Uhr
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Aktualisiert: 05.03.2024 um 15:15 Uhr
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Oliver GörzBlattmacher Sport

Fussball ist Kopfsache. Nicht ausschliesslich, aber zu einem nicht unwesentlichen Anteil. Das weiss jeder, der schon einmal zu einem entscheidenden Penalty antreten musste und mit eigenen Augen gesehen hat, wie beim Gang zum Elfmeterpunkt das Tor immer kleiner wird. Oder frag’ mal die Spieler eines Spitzenklubs, der gerade im Cup gegen den krassen Aussenseiter aus einer unterklassigen Liga ausgeschieden ist, woran es lag. «Wir waren im Kopf nicht bereit» – oder so ähnlich – wird die Antwort lauten. 

Das Können in den Beinen zu haben, ist eine Sache. Einer bestimmten Drucksituation mental gewachsen zu sein, eine völlig andere. Der Fussball liefert uns Woche für Woche anschauliche Beispiele, wie gestandenen Profis auf einmal die Nerven versagen.

Darmstadt-Debakel, YB-Einbruch – beides beginnt im Kopf!

Einen wahren Leckerbissen für Sportpsychologen boten am Samstag zum Beispiel die Spieler von Bundesliga-Schlusslicht Darmstadt beim 0:6 gegen Augsburg, als sie infolge eines haarsträubenden Abwehrfehlers nach gerade mal einer Minute und dem anschliessenden frühen Gegentreffer plötzlich Missgeschick an Missgeschick reihten und den Gegner fast im Minutentakt zum Toreschiessen einluden. So stand es nach einer halben Stunde bester Slapstick-Unterhaltung 0:5 aus Sicht der Darmstädter – eine Marke, die in 60 Jahren Bundesliga nur dreimal übertroffen wurde.

Raphael Wicky wurde bei YB nach zehn Tagen gefüllt mit Rückschlägen entlassen.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Doch nicht immer tritt eine Verunsicherung so offensichtlich zutage. Meist ist es ein unscheinbarer, schleichender Prozess, der sich erst nach und nach zwischen den Ohren der Betroffenen festsetzt.

Wer hätte denn noch vor wenigen Wochen gedacht, dass YB ein Kopfproblem hat? Da schien der Meister souverän dem sechsten Titel in sieben Jahren entgegenzusteuern, stand zudem in den K.o.-Runden-Playoffs der Europa League und im Cup-Viertelfinal. Trainer Raphael Wicky? Augenscheinlich eine Idealbesetzung für den BSC Young Boys. Bodenständig, akribisch, erfolgreich. Okay, ein bisschen emotionaler dürfte der Walliser hier und da sein. Aber, bitte: Doublesieger 2023, Champions-League-Teilnehmer mit achtbaren Auftritten gegen die übermächtigen ManCity und RB Leipzig, Leader der Super League. Was will man mehr?

Wicky-Entlassung (k)ein Schnellschuss

Offenbar einiges. Denn nur 10 Tage genügten, um die scheinbar heile gelb-schwarze Welt aus den Angeln zu heben. Europa-League-Aus gegen Sporting Lissabon? Eigentlich kein Beinbruch. Cup-Aus in Sion? Kann passieren. Zwei Niederlagen in der Liga? Nicht alltäglich, aber auch schon dagewesen. Aber alles auf einmal? Zu viel des Unguten.

Zum Anfang der Super-League-Ära übernimmt bei YB Hans-Peter Zaugg (71, Juni '03 – Oktober '05). Grösster Erfolg: Vizemeister 2003/04.
Foto: THO
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Ehrlich jetzt? Ich glaube nicht. Eine solche Kurzschlussreaktion ist den sonst so besonnenen Bernern um den starken Mann Christoph Spycher nicht zuzutrauen. Das Trainer-Aus stand lange fest, vielleicht schon Ende letzten Jahres, auch wenn man sich wohl gewünscht hätte, den Schlussstrich unter die Ära Wicky erst am Saisonende ziehen zu müssen. Natürlich mindestens mit einem weiteren Meistertitel dekoriert.

Doch die gedanklich längst vollzogene Abkehr des Klubs vom Coach muss in den vergangenen Wochen auch bei den Spielern angekommen sein. Und mit ihr die Verunsicherung. Einem Trainer bedingungslos vertrauen, dem die Klubführung nicht mehr vertraut? Unmöglich. Missgeschicke stellten sich ein – erst neben dem Platz, wo für YB-Verhältnisse unübliches Getöse zu vernehmen war, dann auch im sportlichen Betrieb. Und um am Ende wie ein begossener Pudel dazustehen, bedarf es nicht immer fünf Gegentoren in 30 Minuten. 

Parallelen zum Fischer-Ende in Basel

Dass den YB-Verantwortlichen Höheres vorschwebt, als der bisweilen biedere Resultatfussball, den Wicky zu bieten hatte, ist kein Geheimnis. Jedes Jahr mit Pauken und Trompeten Meister werden und dazu regelmässig international glänzen, das würde dem Klub gut zu Gesicht stehen. Dachten sich übrigens vor knapp sieben Jahren auch die Chefs beim FC Basel – und trennten sich vom vermeintlich biederen Doublegewinner Urs Fischer. Dem trauern sie beim FCB heute noch nach. Und bei YB? Haben sie vielleicht schon den Neuen «an der Angel».

Kommende Woche wissen wir, ob YB im Spiel eins nach Wicky gegen Basel tatsächlich die Kehrtwende geschafft hat oder ob das längst vergessen geglaubte Wort vom «Veryoungboysen» eine Renaissance erlebt. 

«YB war zuletzt blutleer und mit wenig Emotion»
7:25
«Blutleer mit wenig Emotion»:Ex-YB-Coach spricht über den Wicky-Rauswurf
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