«Das war das Schlimmste»
Trainer Otto Pfister kennt die Angst vor den Taliban

Globetrotter Otto Pfister (83) erinnert sich an seine schwierige Zeit als Trainer Afghanistans, an die stete Angst der Bevölkerung vor den Taliban und eine Bombe in Kabul.
Publiziert: 23.08.2021 um 01:07 Uhr
Michael Wegmann

Otto Pfister, was haben Sie gedacht, als Sie hörten, dass die Taliban Kabul eingenommen haben und nun in Afghanistan an der Macht sind?
Otto Pfister:
Ich bin traurig und enttäuscht. Ich leide mit den Menschen mit, denn ich war nicht nur Trainer in Afghanistan. Ich war mit dem Herzen da. Ich fühle mich emotional verbunden. Es ist himmeltraurig, die Menschen dort sind plötzlich ohne Zukunft. Vor allem die Frauen. Aber dass die Taliban an die Macht kommen würden, war abzusehen. Spätestens nachdem sich die Amerikaner zurückzogen, wars klar.

Sie waren zwischen Februar 2017 und März 2018 afghanischer Nationaltrainer. Kamen Sie mit den Taliban in Berührung?
Schon da herrschte Krieg im Land. Überall auf den Strassen von Kabul waren Panzer und Spähwagen postiert. Die Regierung wollte gewappnet sein, um sofort zurückschlagen zu können, sollten die Taliban einen Anschlag durchführen.

Haben Sie einen Anschlag erlebt?
Ja. Als im irakischen Konsulat eine Bombe hochging, lag ich wenige hundert Meter nebenan in meinem Hotelbett. Ich bin gefühlt einen Meter in die Luft geflogen. Es war schrecklich.

Weltenbummler. Otto Pfisters Büroraum in seiner Wohnung in Mels SG ist gleichzeitig ein kleines Fussballmuseum.
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Hatten Sie als Trainer in Afghanistan keine Angst?
Nein. Ein mulmiges Gefühl, aber keine Angst. Ich muss sagen: Die Situation in Afghanistan ging mir am nächsten. Ich habe in 22 Ländern auf vier Kontinenten gearbeitet. Ich war im Libanon, als das mit der Hisbollah losging. Ich war im Kongo und in Ruanda, als Krieg herrschte. Aber Afghanistan war für mich das Schlimmste.

Weshalb?
Diese stetige Angst vor den Anschlägen der Taliban. Ich war ein paar mal in Kabul. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in dieser Zeit einen Menschen lachen gesehen habe. Als ich mich mit einer Frau in der Hotellobby unterhalten habe, meinte sie, sie würde täglich mit der Angst leben. Jeden Morgen wisse sie nicht, ob ihr Mann abends zurückkehre. Eindrücklich war auch der Polizist am Flughafen, der bei meiner letzten Ausreise aus Afghanistan mein Gepäck durchsuchen musste. Er meinte zu mir: «Herr Pfister, Sie Glücklicher. Sie können das Land verlassen.»

Wie oft waren Sie in Afghanistan?
Insgesamt vielleicht vier-, fünfmal. Einmal war ich für zwei Wochen in Kabul.

Warum so wenig?
Weil wir unsere Heimspiele nie in Kabul austragen konnten, obwohl es da ein wunderschönes Stadion hat. Aus Angst vor Anschlägen führten wir unsere Trainingscamps in Dubai oder in Katar durch. Die Heimspiele haben wir in Tadschikistan ausgetragen. Da sind dann über 10 000 Afghanen die paar Stunden mit dem Auto hingefahren, um uns spielen zu sehen. Das war eindrücklich. Afghanen lieben den Fussball, ihre Nationalspieler sind Helden, obwohl keiner mehr zu Hause spielt. Viele sind in Schweden, England oder Dänemark. Die Torhüter sogar in Neuseeland und den USA. Sie alle wurden jeweils eingeflogen. Wir sind sehr viel geflogen in dieser Zeit.

Wer hat das alles bezahlt?

Der Verband hatte ein milliardenschweres Unternehmen aus Dubai als Sponsor. Dieser dürfte nun auch verloren gehen.

Und das afghanische Frauennationalteam?
Das wurde vom selben Sponsor unterstützt. Im Gegensatz zu den Männern trainierten die Frauen in der Nähe von Kabul.

Seit die Taliban an der Macht sind, ist Fussball verboten …
… sie haben die Scharia als Gesetz eingeführt. Da werden keine Frauen akzeptiert, die Sport treiben.

Die afghanische Fussballpionierin Khalida Popal sagt, dass die ehemaligen Fussballerinnen nun in Lebensgefahr seien. Sie rät allen, sich zu verstecken.
Die Spielerinnen lebten schon davor gefährlich. Der Stützpunkt des afghanischen Fussballverbands liegt ein wenig ausserhalb von Kabul und ist von riesigen Mauern umgeben. Der einzige Zugang, ein grosses Eisentor, wurde vom Militär bewacht. Aus Angst vor Bomben. Innerhalb der Mauern war zusätzlich ein Fussballplatz mit einem Gitter umgeben – da haben dann die Frauen trainiert. Sie haben hart für ihre Rechte gekämpft, für das Recht auf Bildung, auf Fussball. Jetzt ist mit einem Schlag alles futsch. Das ist einfach furchtbar.

Haben Sie noch Kontakt nach Afghanistan?
Immer mal wieder mit einigen Spielern und Staffmitgliedern. Aber keiner von ihnen ist zurzeit in Afghanistan. Am Mittwoch wurde ich übrigens angefragt, ob ich bei einem Benefizspiel für Afghanistan in Frankfurt dabei wäre. Wann es stattfindet, weiss ich nicht. Aber ich bin sicher dabei. Wir müssen den Afghanen helfen.

Wie?
Das weiss ich nicht. Ich bin Fussballtrainer, kein Politiker.

Afghanistan war bisher Ihre letzte Trainerstation. Kein Fernweh mehr?
Doch. Es juckt und kribbelt mich immer mal wieder. Aber im Moment bin ich hier. In der Schweiz. Im Paradies, wo sich die Menschen ärgern, wenn der Kaffee crème 50 Rappen teurer wird.

Persönlich – Otto Pfister

Otto Pfister kam 1937 in Köln auf die Welt. Der gelernte Maschinenbauer war Stürmer, spielte in seiner Heimat für Viktoria Köln und den VfL Köln. Noch während seiner Aktivlaufbahn kam er in die Schweiz, wo er in Magglingen den Trainerschein machte. Es folgten zahlreiche Stationen als Coach. Darunter viele auf dem afrikanischen Kontinent. Mit Ghana und Kamerun stand er im Final des Afrika-Cups. Auch im arabischen Raum war er oft tätig.

Otto Pfister kam 1937 in Köln auf die Welt. Der gelernte Maschinenbauer war Stürmer, spielte in seiner Heimat für Viktoria Köln und den VfL Köln. Noch während seiner Aktivlaufbahn kam er in die Schweiz, wo er in Magglingen den Trainerschein machte. Es folgten zahlreiche Stationen als Coach. Darunter viele auf dem afrikanischen Kontinent. Mit Ghana und Kamerun stand er im Final des Afrika-Cups. Auch im arabischen Raum war er oft tätig.

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