Schweizer «Trainer-Papi» Philip J. Müller
«Viele Trainer leiden unter Existenzängsten!»

Seit elf Jahren ist Philip J. Müller Präsident der schweizerischen Union für Fussball-Trainer. Er nimmt im Interview Stellung zu den vielen Trainer-Entlassungen.
Publiziert: 18.12.2019 um 14:20 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2023 um 00:08 Uhr
Michael Wegmann

Herr Müller, im Moment trainieren bis auf den Deutschen Peter Zeidler beim FC St. Gallen nur Schweizer in der Super League. Das muss Sie doch freuen.
Klar. Aber diese Entwicklung ist ebenso erstaunlich. Noch vor vier Jahren waren gleich sechs der zehn Trainer in der Super League Ausländer.

Der Trainer-Kampf ist auch ohne Ausländer riesig. 120 Trainer haben die Uefa-Pro-Lizenz. Bilden wir im Verhältnis zu den Stellen nicht zu viele Trainer aus?
Nein. Im Vergleich zum Ausland haben wir sogar wenig Trainer ausgebildet. In Österreich schlossen im praktisch demselben Zeitraum 189 Trainer mit Diplom ab. In Deutschland, Spanien oder Portugal werden prozentual noch viel mehr Trainer ausgebildet. Wir sind im Vergleich zu den Stellen am unteren Level.

Wie viele Jobs zählen Sie dazu?
Zehn Trainerposten in der Super League, zehn in der Challenge League. Dann die Trainerposten beim Verband ab der U15 bis zur A-Nati, die Frauen-Nati. Und bis zu einem gewissen Grad auch die Trainerposten der 1. Liga Promotion. Das macht rund 40 Jobs in der Schweiz.

St. Gallens Trainer Peter Zeidler ist der einzige Ausländer in der Super League.
Foto: Marc Schumacher/freshfocus
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Wobei man nicht für alle das Uefa-Pro-Diplom benötigt und nicht alle gleich attraktiv sind.
Da haben Sie recht. Da sind etwa zehn Trainerposten, die aus finanzieller, sportlicher und perspektivischer Sicht, also langfristig, sehr interessant sind.

Langfristigkeit im Fussballbusiness?
Die ist beim Verband sicher grösser als auf Klub-Ebene. Die durchschnittliche Amtszeit eines Trainers in der Super League liegt noch bei neun Monaten.

Man kann es ja positiv sehen: So bekommen die vielen arbeitslosen Trainer schneller wieder eine Chance...
... nein. Der Arbeitsmarkt ist nicht dazu da, dass es 120 Trainern über 40 Jahre einigermassen gut geht. Es ist nicht gut, dass die durchschnittliche Amtszeit eines Trainers immer kürzer wird.

Warum ist das so?
Die Geduld wird immer kleiner, weil der Druck immer mehr zunimmt. Wenn man sieht, wie viele Klubs europäisch spielen wollen und wie viele es effektiv können, wird klar: Viele Klubs müssen auf der Strecke bleiben. Erreicht der Trainer im ersten Jahr das Ziel nicht, ist er gescheitert. Früher hatten Trainer mehr Zeit.

Es gibt ausländische Trainer, die meinen, in der Schweiz könne man noch etwas aufbauen.
Das ist falsch! Unser Markt funktioniert gleich wie im Ausland. Auch bei uns ist der Druck gross. Und wie! Vorletzte Saison hatten wir in der Schweiz prozentual am meisten Trainerentlassungen in ganz Europa. Viele können es sich zwar nicht vorstellen, aber Trainer leiden darunter.

Es heisst doch, dass man erst zu einem guten Trainer werde, wenn man schon ein-, zweimal entlassen wurde.
Absoluter Unsinn! (lacht). Dann wären wir in der Schweiz ja nicht mehr zu retten vor lauter Top-Trainern!

Gibt es wirklich Trainer, die unter Existenzängsten leiden?
Ja klar. Einige sogar. Für die meisten Trainer wird die Klublosigkeit finanziell zu einem grossen Problem. Viele sind verheiratet, haben Kinder. Sie alle haben Verpflichtungen, die ein Einkommen voraussetzen. Wenn es immer wieder Einkommenslücken gibt, hat dies grosse Auswirkungen. Auch auf die Pensionskasse. Arbeitslosigkeit wird zu einer grossen Zerreissprobe für viele Trainer und ihre Familien.

Haben nicht fast alle Trainer finanziell ausgesorgt?
Wo denken Sie hin! Trainer, wie Christian Gross oder Lucien Favre, die sich aufgrund ihrer Leistungen und Erfolge keine wirtschaftlichen Sorgen machen müssen, sind die absolute Minderheit. Alle anderen spüren Druck.

Was empfehlen Sie?
Ein Trainer sollte sich unbedingt ein zweites Standbein aufbauen, Aus- und Weiterbildungen machen. Denn eine längere Arbeitslosigkeit kann jedem widerfahren. Und einfacher wird’s auf Stellensuche sicher auch nicht, da immer wieder neue Trainer auf den Markt kommen.

Daniel Tarone hat dies kürzlich erfahren müssen. Trotz Uefa-Pro-Lizenz hat der ehemalige Assistenztrainer des FC St. Gallen in der Schweiz keinen Job mehr gefunden. Nun coacht er einen Klub aus der 7. Liga Deutschlands.
Die Uefa-Pro-Lizenz ist die Voraussetzung, um auf einem hohen Niveau Trainer zu werden. Sie garantiert aber nicht, dass man es wird! Da sind so viele Trainer mit Diplom, es ist klar, dass ein paar leer ausgehen. Auslanderfahrungen können übrigens toll sein, wenn man auch gehen will. So wie Trainerlegende Otto Pfister. Ein toller Typ. Er wollte ins Ausland, er wollte Abenteuer – und er bekam sie. Aber es gibt auch viele Trainer, die nur gegangen sind, weil sie in der Schweiz keine Alternativen mehr hatten.

Wäre es dann besser in der Schweiz zu bleiben, warten und Däumchen drehen?
Nein. Jeder Trainer sollte seine Karriere vorsichtig planen. Sich Fragen beantworten wie: Was ist mein Weg? Will ich im Juniorenbereich arbeiten? Im Frauen-Fussball? Im Ausland? Bin ich der Typ Assistenztrainer?

Gibts den typischen Assistenztrainer? Will nicht jeder Chef sein?
Nein. Es gibt Trainer, die lieber Assistenten sind und in dieser Rolle auch besser funktionieren. Oder ein Wechsel in die Klubführung oder Sportchef.

Wie hilfreich ist ein prominenter Name bei der Jobsuche?
Vielleicht hatten ehemalige Fussballstars früher Vorteile. Das ist aber vorbei. Das alles entscheidende Kriterium heute heisst Sozialkompetenz.

Erklären Sie.
Mit der heutigen Sportwissenschaft und Trainingslehre sollte jeder Coach ein einigermassen intelligentes Training hinkriegen. Zudem hat jeder einen grossen Staff. Früher verpflichtete hat man einen Trainer, weil er taktisch überragend war oder für eine komplett neue Fussball-Vision stand. Heute kennt der Fussball jedes System. Was zählt ist der Umgang mit den Spielern.

Kann man Sozialkompetenz lernen?
In der Theorie kann man alles lernen. Aber am Ende ist es eine Frage der Persönlichkeitsstruktur des Trainers.

Man hat es als oder man hat es nicht?
Ja. Oder man entwickelt es auf natürlichem Weg.

Fleiss zählt nicht?
Es gibt Trainer, die sind am Morgen die ersten bei der Arbeit und Abend die letzten, die gehen – und trotzdem holen sie keine Punkte. Und dann gibt’s solche, die arbeiten einige Stunden pro Tag und haben Erfolg.

Apropos vorsichtige Karriereplanung. Sie begrüssen es sicher, dass Basels U18-Trainer Alex Frei Hannover abgesagt hat.
Ja. Er dürfte es sich reiflich überlegt haben.

Er gilt als grosses Trainertalent, wurde schon als künftiger Nati-Trainer portiert...
... Alex trainiert zurzeit im FCB-Nachwuchs und macht seinen Job anscheinend super. Nur ist die Super League, die Bundesliga oder die Nationalmannschaft eine ganz andere Welt. Ich meine damit: Es ist durchaus möglich, dass er talentiert ist. Nur kann das heute noch niemand wissen.

Raphael Wicky galt ja auch als riesiges Top-Talent.
Er hat im FCB-Nachwuchs hervorragend gearbeitet. Jetzt trainiert er die U16-Junioren von Amerika. Vielleicht gefällt es ihm ja, aber er hat sich mit Sicherheit eine andere Karriere vorgestellt. Das denke ich!

Was ist falsch gelaufen?
Er ist vom Nachwuchs direkt beim damals erfolgreichsten Klub der Schweiz als Cheftrainer eingestiegen. Das ist mit Risiken verbunden. Aber da trägt der FCB auch die Verantwortung. Kaum ein Spitzenverein weltweit macht einen Nachwuchstrainer direkt zum Cheftrainer der 1. Mannschaft! Aber nicht nur bei Wicky ist die Karriere anders verlaufen.

Bei wem noch?
Bei Jürgen Seeberger zum Beispiel. Er ist in der Schweiz mit Schaffhausen dreimal aufgestiegen! Trainierte später dann den FC Kosova in der 1. Liga. Oder bei Urs Longo Schönenberger. Welches waren seine nächsten Stationen, nachdem er Thun in der Champions League trainiert hat? Erst Aarau, dann YF Juventus aus der 1. Liga. Warum gelingt es einigen Trainern nicht, aus ihren Erfolgen Profit zu schlagen? Das ist doch sehr tragisch. Diese Fragen beschäftigen mich und unseren Verband.

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FC St. Gallen
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