Statt Hockey-Ruhestand Nationaltrainer in Südafrika
Das grosse Abenteuer von Ex-EVZ-Trainer Björn Kinding

Einst machte er den Stars in der Schweiz Beine. Nun will Björn Kinding Eishockey-Exot Südafrika voranbringen.
Publiziert: 06.03.2023 um 20:06 Uhr
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Marcel AllemannReporter Eishockey

«31 Grad ist es heute», meldet Kinding gut gelaunt aus dem fernen Kapstadt. Der schwedisch-kanadische Doppelbürger ist in seiner zweiten Saison Nationaltrainer von Südafrika und steckt in den Vorbereitungen der Heim-WM der Division III, Gruppe A, die vom 17. bis 23. April in Kapstadt über die Bühne geht. Dort strebt er mit seinem Team den Aufstieg in die Division II an. Die Gegner: Turkmenistan, Taiwan, Luxemburg und Thailand.

In den 80er- und 90er-Jahren gehörte der junge Björn Kinding zu den gefragtesten und modernsten Coaches in der Schweiz. Zunächst führte er Herisau in die NLB, anschliessend in der NLA Biel und Zug in die Playoff-Halbfinals. Der gelernte Pädagoge war in Schweden, Kanada, Deutschland und Frankreich tätig, dazu Nationaltrainer von Dänemark und Japan. Noch vor fünf Jahren formte er als Headcoach der EVZ-Academy in der Swiss League heutige Nati-Spieler wie Tobias Geisser oder Yannick Zehnder. Und nun also Hockey-Exot Südafrika. Eine spezielle Wende im Herbst seiner Trainer-Karriere.

Es geht um mehr als Siege

Es sei keineswegs nur die Abenteuerlust, die ihn gepackt habe, erklärt der 65-Jährige, «sondern auch die Tatsache, dass ich hier viel mehr bewegen kann als in klassischen Hockey-Nationen». Dieses Bewegen habe aber nicht ausschliesslich damit zu tun, ob der angestrebte zweite Aufstieg in Folge auch effektiv realisiert werden könne, «sondern damit, dass wir den 60 Millionen Menschen in Südafrika zeigen wollen, dass eine aus verschiedenen Volksgruppen bestehenden Mannschaft Erfolg und eine gute Zeit zusammen haben kann, wenn sie als Einheit auftritt».

Björn Kinding im National-Dress von Südafrika vor der WM-Eishalle GrandWest in Kapstadt, umrahmt von einer Palme.
Foto: South African Ice Hockey Association
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Kinding nimmt seine Aufgabe fernab der grossen Hockey-Welt ernst. So ernst wie den Playoff-Halbfinal 1994 mit Zug? «Vielleicht sogar noch ernster», betont er, «denn wenn beim EVZ einer gut spielte, taten sich für ihn viele Optionen auf, er konnte zum Beispiel an einen anderen Ort wechseln, um mehr Geld zu verdienen. Die Spieler hier haben diese Möglichkeit nicht, sie bekommen kein Geld für Eishockey. Für sie gibt es nur ihre Nation.»

Mit einem Stock ins Nati-Camp

Auf das spielerische Niveau seiner Equipe angesprochen, sagt Kinding: «Die Besten könnten vielleicht in der Swiss League spielen, aber das Gefälle innerhalb der Mannschaft ist gross.» Einzelne haben in den USA Highschool-Hockey gespielt. Kinding beeindruckt aber vor allem, wie sehr auch die weniger talentierten Spieler bereit sind, so vieles für diesen Sport zu opfern. Für die Nati-Camps komme es zu Job-Absenzen und das dadurch fehlende Geld würden sie und ihre Familien zu spüren bekommen. Damit der finanzielle Schaden in Grenzen gehalten werden kann, finden die Camps zumeist in Form von verlängerten Wochenenden von Donnerstag bis Sonntag statt.

Es komme auch vor, dass Spieler mit nur einem Stock im Gepäck in die Nati einrücken, weil das Geld für einen weiteren bei einem Salär unter 1000 Franken gerade fehlt. Und dann plötzlich ohne dastehen, wenn dieser kaputtgehe. «Dann muss jeweils unser Präsident, der noch einige Reservestöcke zu Hause hat, aushelfen oder ein Teamkollege, der zwei besitzt.» Für die vor Ort nicht ganz einfache Beschaffung eines neuen Top-Stocks müssen die Spieler in Südafrika bis zu 300 Franken in die Hand nehmen. Was für jeden Einzelnen sehr viel Geld ist.

Exot auf der Welt, Krösus in Afrika

Deshalb war es für Kinding ein magischer Moment, als ihn kürzlich ein mit einer Südafrikanerin verheirateter Zuger mit der Frage kontaktierte, ob der südafrikanische Verband ausrangiertes Hockey-Material aus der Schweiz brauchen könnte. Selbstverständlich bejahte Kinding und so ist nach einer Sammlung bei verschiedenen Klubs nun ein Container mit Schlittschuhen, Stöcken und Ausrüstungsgegenständen unterwegs nach Südafrika. Der Zufall wollte es, dass die beauftragte Container-Firma Ambri-Verteidiger Jannik Fischer und dessen Bruder gehört und sie, als sie in die Aktion eingeweiht wurden, ihre Dienste gratis anboten. Ein weiterer Spender hat die Schiffskosten übernommen.«Das ist wie Weihnachten für die gesamte südafrikanische Hockey-Familie», sagt Kinding gerührt.

An der WM wird bei den Heimspielen in der Ice Station GrandWest in Kapstadt, die zu einem Vergnügungskomplex mit Restaurants, Casino und Theater gehört, mit vollem Haus gerechnet. Rund 1200 Fans passen rein. «Viele werden durch den Vergnügungskomplex darauf aufmerksam und sehen dann zum ersten Mal Live-Eishockey.» Aktuell gibt es in Südafrika 1000 aktive Hockeyspieler, die Tendenz ist steigend. Die Nationalmannschaft ist als Weltnummer 51 zwar ein Exot, aber auf dem Kontinent der Krösus. Südafrika ist die einzige Nation Afrikas, die im WM-Format der IIHF mitspielt und über Hallen mit Eisfeldern nach internationaler Norm verfügt. In Kapstadt, Johannesburg und Pretoria.

Seit Monaten ohne Ernstkampf

Die Distanzen im Land sind gross und deshalb findet die nationale Meisterschaft in einem begrenzten Zeitraum in einer Art Turnierform statt. Und das während des südafrikanischen Winters zwischen Juli und September. Seit Dezember reist Kinding nun regelmässig zwischen Kapstadt und Johannesburg/Pretoria hin und her, um den erweiterten Kreis seiner Nati-Spieler, die nun schon seit Monaten keinen Ernstkampf mehr hatten, für den Saisonhöhepunkt in Form zu halten.

55 Nationen an acht WM-Turnieren

83 Länder sind Mitglieder des Internationalen Eishockeyverbandes IIHF. Von diesen bestreiten dieses Jahr 55 bei den Männern eine WM. Insgesamt richtet die IIHF im Frühling acht WM-Turniere in verschiedenen Stärkeklassen aus. Neben der Haupt-WM im Mai in Lettland und Finnland, mit Nationen wie der Schweiz, Weltmeister Finnland oder Kanada, auch je zwei in der nachfolgenden Division I (Gruppe A in Grossbritannien, Gruppe B Estland), der Division II (Gruppe A in Spanien, Gruppe B in der Türkei), der Division III (Gruppe A in Südafrika, Gruppe B in Bosnien und Herzegowina) und eines in der tiefsten Division IV (in der Mongolei). Dort nehmen neben dem Gastgeberland auch Kuwait und erstmals Indonesien und die Philippinen teil. Es gibt aber auch Mitgliedstaaten wie beispielsweise Liechtenstein, Griechenland, Brasilien, Jamaika oder Marokko, die bei den WM-Turnieren nicht mitspielen. Südafrika ist 2022 in der Division III von der Gruppe B in die Gruppe A aufgestiegen und versucht nun, vom 17. bis 23. April an der Heim-WM in Kapstadt unter Björn Kinding in die Division II, Gruppe B aufzusteigen.

83 Länder sind Mitglieder des Internationalen Eishockeyverbandes IIHF. Von diesen bestreiten dieses Jahr 55 bei den Männern eine WM. Insgesamt richtet die IIHF im Frühling acht WM-Turniere in verschiedenen Stärkeklassen aus. Neben der Haupt-WM im Mai in Lettland und Finnland, mit Nationen wie der Schweiz, Weltmeister Finnland oder Kanada, auch je zwei in der nachfolgenden Division I (Gruppe A in Grossbritannien, Gruppe B Estland), der Division II (Gruppe A in Spanien, Gruppe B in der Türkei), der Division III (Gruppe A in Südafrika, Gruppe B in Bosnien und Herzegowina) und eines in der tiefsten Division IV (in der Mongolei). Dort nehmen neben dem Gastgeberland auch Kuwait und erstmals Indonesien und die Philippinen teil. Es gibt aber auch Mitgliedstaaten wie beispielsweise Liechtenstein, Griechenland, Brasilien, Jamaika oder Marokko, die bei den WM-Turnieren nicht mitspielen. Südafrika ist 2022 in der Division III von der Gruppe B in die Gruppe A aufgestiegen und versucht nun, vom 17. bis 23. April an der Heim-WM in Kapstadt unter Björn Kinding in die Division II, Gruppe B aufzusteigen.

Es versteht sich von selbst, dass Kinding in Südafrika den am schlechtesten dotierten Vertrag seiner Trainer-Karriere unterschrieben hat. «Es ist nur ein wenig Kompensation für meine Kosten», sagt er. Das eigentliche Salär ist für ihn ohnehin nicht ein monatlicher Scheck, sondern diese einmalige Erfahrung. Und dass er den kanadischen Winter seines Hauptdomizils in Edmonton gerade mit dem südafrikanischen Sommer getauscht hat. «An beiden Orten ist es etwa 30 Grad. Am einen mit einem Minus vornedran und am anderen mit einem Plus», sagt der Weltenbummler mit einem zufriedenen Lächeln.

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