«Rekrutierungsfehler»
Genfer Gesundheitsdirektor schiesst gegen Impfgegner in der Pflege

«Eine Pflegekraft, die sich um potenziell gefährdete Patienten kümmern muss und sich weigert, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen, ist eine Fehlbesetzung.» Mit diesen Worten greift der Genfer Gesundheitsdirektor Mauro Poggia das Personal an. Der Fachverband ist sauer.
Publiziert: 10.07.2021 um 13:15 Uhr

Pfleger, die sich partout nicht gegen das Coronavirus impfen lassen wollen, bereiten dem Genfer Gesundheitsdirektor Mauro Poggia (62) Kopfschmerzen. Obwohl unzählige Studien den wissenschaftlich belegten Nutzen der Impfung aufzeigen, bleiben einige Mitarbeiter im Gesundheitswesen skeptisch.

Unverständlich für Poggia. Das Verhalten dieser Mitarbeiter und den mangelnden Impfwillen nennt er verantwortungslos. In den sozialen Medien spricht er gar von einem «erreur de casting» – eine Fehlbesetzung, ein Rekrutierungsfehler.

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«Welche Botschaft vermitteln Pflegekräfte?»

Wie erwartet, sorgen seine Aussagen für Aufsehen. «Seltsame Wortwahl. Bei der Rekrutierung war der Covid nicht dabei», schreibt ein User. «Stimme Ihnen voll und ganz zu. Impfen ist vor allem ein sozialer Akt. Es gibt keine andere Wahl, wenn wir aus dieser Katastrophe herauskommen wollen. Welche Botschaft vermitteln Pflegekräfte, die die Impfungen fürchten?», schreibt ein anderer.

Der Genfer Gesundheitsdirektor, Mauro Poggia (62), kritisiert Pflegefachkräfte, die sich nicht impfen lassen wollen.
Foto: keystone-sda.ch
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Eine Pflegerin fühlt sich von Poggias Aussagen angegriffen: «Ich bin eine Pflegekraft und Ihr Kommentar ist beschämend! Sie verurteilen all die Menschen, die sich alle Mühe geben, andere zu heilen. Schauen Sie selbst in den Spiegel und Sie werden den ‹Fehler› sehen. Jeden Tag erreichen uns Beschwerden über schwere Nebenwirkungen von Impfstoffen!»

Swissmedic hat bisher knapp 3500 Meldungen registriert. Die meisten davon seien jedoch harmlos. Bei einem Drittel (1300 Meldungen) wurden die Nebenwirkungen als schwerwiegend eingestuft. Bei über 7,7 Millionen verimpften Dosen macht das 0,01 Prozent. Todesfälle, die die Impfung als Ursache haben, gibt es in der Schweiz keine.

«Kein Kontakt zu Patienten»

Die Provokation sei gezielt erfolgt, sagt Poggia gegenüber dem «Tages-Anzeiger». «Wir brauchen diese Debatte jetzt.» Er fordert zwar keine Impfpflicht für diese Berufsgruppe, würde es jedoch begrüssen, dass Ungeimpfte keinen Kontakt zu Patienten haben und nur noch andere Aufgaben erledigen dürfen.

Impfen sei eine freie Entscheidung, aber die Freiheit der Pflegenden stehe nicht über der Gesundheit und dem Leben von Patientinnen und Patienten, sagt der Genfer der Zeitung.

Berufsverband findet Aussagen unfair

Beim Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner stossen Poggias Aussagen auf wenig Gegenliebe. Das Pflegepersonal anzuprangern, sei unfair, sagt Roswitha Koch, Leiterin der Abteilung Pflegeentwicklung. «Ausgerechnet das Pflegepersonal, das in den letzten Monaten alles gegeben hat.»

Der Verband hoffe zwar, dass sich möglichst viele impfen lassen, doch Druck sei nicht das geeignete Mittel, heisst es. Koch glaubt, die Unentschlossenen mit Überzeugungsarbeit zu erreichen. «Immer mehr Pflegende lassen sich impfen. Die Quote ist nicht schlecht.»

So sieht das auch die Spitex-Chefin Marianne Pfister. Nachdem Bundesrat Alain Berset letzte Woche das impfunwillige Personal der Heime kritisiert hatte, verteidigt sie ihre Angestellten. Die Bereitschaft zum Piks sei im Verlauf der letzten Wochen sogar gestiegen, sagt sie.

BAG glaubt, Impfbereitschaft sei gleich hoch wie beim Rest der Bevölkerung

Wie hoch diese genau ist, kann man nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) geht allerdings davon aus, dass die Impfrate beim Pflegepersonal gleich hoch ist, wie bei der gesamten erwachsenen Bevölkerung. Das sagte Virginie Masserey, Leiterin Sektion Infektionskontrolle im BAG, am Dienstag.

Der Genfer Gesundheitsdirektor sagt, dass im Genfer Universitätsspital bisher nur 40 bis 45 Prozent der Pflegenden geimpft sind. Er vermutet, dass die Quote in der Deutschschweiz noch tiefer sei.

Im Altersheim Steinfeld in Suhr AG liege die Impfbereitschaft beim Personal bei ca. 60 bis 65 Prozent, sagt Lars Weissbarth (51), Leiter des Altersheims, zu Blick. Besonders Mitarbeiter in den Nebenbetrieben (Verwaltung, Wäscherei, Reinigung) sowie ältere Angestellte würden sich piksen lassen. Nur die Jungen wollen nicht recht.

Dabei ist auch bei der jungen Bevölkerung das Risiko von Long Covid hoch, wie eine Studie aus Norwegen zeigt. «Ungeimpfte werden sich wahrscheinlich in den nächsten Monaten, spätestens in den nächsten ein bis zwei Jahren mit Sars-CoV-2 anstecken», schreibt die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie in einem Communiqué.

Die Experten warnen insbesondere auch junge Menschen davor, Corona auf die leichte Schulter zu nehmen. Selbst bei einem milden Verlauf der Krankheit riskierten etwa zehn Prozent der Betroffenen, an Long Covid zu leiden. (man)

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