Selbst nach Fall Hefenhofen
Tierquäler haben in der Schweiz leichtes Spiel

In der Schweiz häufen sich Verfahren wegen Tierquälerei. Doch Straftaten gegen Tiere werden noch immer bagatellisiert.
Publiziert: 04.03.2023 um 19:24 Uhr
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Aktualisiert: 07.03.2023 um 15:12 Uhr
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Lisa AeschlimannReporterin & Blattmacherin

Seit 2017 steht der Name eines kleinen Dorfs im Oberthurgau sinnbildlich für Tierquälerei.

Der Bauer Ulrich K.* (54) aus Hefenhofen TG soll seine Tiere über Jahre hinweg vernachlässigt und misshandelt haben: Stuten liess er trotz schwerer Verletzungen und infizierter Wunden nicht behandeln, er schlug seine Tiere mit Stöcken, liess sie verfaulte Futterreste voller Plastikrückstände fressen.

Kontrolleure fanden auf seinem Hof knapp ein Dutzend Fohlen, die bis auf die Knochen abgemagert waren. Ein Pferdeskelett lag seit Wochen im Dreck. Diese Woche stand der Bauer wegen mehrfacher Tierquälerei vor Gericht. Das Urteil wird für Ende März erwartet.

Bauer und Tierquäler Ulrich K. auf dem Weg ans Gericht.
Foto: Claudio Meier
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«Ulrich K. hat gedroht, mir etwas anzutun»
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Strafen in keinem Verhältnis zum Tierleid

Strafverfahren wegen Tierquälerei nehmen seit Jahren zu. Das zeigt der aktuelle Tierschutzbericht des Bundesamts für Landwirtschaft. Während 2017 erst 475 Fälle gemeldet wurden, waren es 2021 bereits 721.

Und doch brauchen viele Tierquäler auch heute nur selten Konsequenzen fürchten. Zu diesem Schluss kommt die Stiftung für das Tier im Recht, die seit fast 20 Jahren systematisch Strafbefehle und Urteile zum Tierschutz auswertet. In ihrer neusten Analyse heisst es, dass der «Vollzug weiterhin zahlreiche Mängel aufweist und Tierschutzverstösse oftmals bagatellisiert werden».

Die Dunkelziffer bei Tierschutzdelikten sei hoch, ausgefällte Strafen stünden häufig in keinem Verhältnis zum entstandenen Tierleid – fehlbare Halter wurden im Schnitt mit 400 Franken gebüsst.

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Fall Hefenhofen heute nicht mehr möglich

Hefenhofen war auch deswegen möglich, weil die Behörden jahrelang krass versagten: Der Name Ulrich K. war den Behörden seit Jahrzehnten bekannt, zahlreiche Drohungen gegen Beamte wurden aktenkundig. Das Thurgauer Veterinäramt stellte gemäss Anklageschrift bereits 2013 Tierschutzverstösse fest.

Wenige Tage nachdem Blick die Zustände 2017 publik machte, räumten die Behörden K.s Hof. Ermittelt wird auch gegen den langjährigen Kantonstierarzt Paul Witzig (67). Er soll Meldungen über vernachlässigte und verendete Tiere inoriert und Kontrollen nur nach Vorankündigung durchgeführt haben.

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«Oftmals wird erst durchgegriffen, wenn Tiere bereits in einem schlechten Allgemeinzustand oder sogar tot sind.»
Vanessa Gerritsen, Stiftung für das Tier im Recht
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Vanessa Gerritsen von der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) sagt: «Die Kantonsregierungen können es sich heute kaum mehr leisten, einen Fall so aus dem Ruder laufen zu lassen wie Hefenhofen.»

Dringender Handlungsbedarf im Tessin, Genf, Wallis

Der Kanton Thurgau liess den Fall damals extern untersuchen, führte bald darauf eine umfassende Gesetzesrevision durch und verbesserte den Tierschutz. Andere Kantone – durch den Skandal sensibilisiert – zogen nach: Heute gibt es mehr spezialisierte Dienststellen bei Polizei und Staatsanwaltschaft, die verschiedenen Stellen arbeiten enger zusammen. Als Vorbild nennt Gerritsen die Kantone Bern, Zürich und St. Gallen.

Dennoch, sagt Gerritsen, gebe es auch heute «massive Tierquälereien», die ungenügend verfolgt und sanktioniert würden. «Oftmals wird erst durchgegriffen, wenn Tiere bereits in einem schlechten Allgemeinzustand oder sogar tot sind.» Dringender Handlungsbedarf bestehe in den Kantonen Tessin, Ob- und Nidwalden, Genf und Wallis.

Die Veterinärämter haben durchaus Möglichkeiten, um gegen Tierquälerei vorzugehen. In gravierenden Fällen können Tierärzte Halterinnen oder Haltern das Tier wegnehmen. In Zürich und Bern geschieht dies gemäss den kantonalen Ämtern rund 50 Mal im Jahr, also etwa einmal in der Woche, im Aargau oder in der Waadt sind es jährlich rund 20 Mal, Tendenz steigend.

Veterinäre müssen mit Gewalt rechnen

Meistens geht es um Hunde, die von ihren Haltern vernachlässigt oder misshandelt werden. In der Landwirtschaft sind Rinder und Pferde betroffen. Die meisten sind krank, abgemagert oder aggressiv.

Für die Veterinäre sind das meist schwierige Einsätze: Vom Einschalten eines Anwalts bis hin zu Tätlichkeiten müsse man mit allem rechnen, heisst es bei den Ämtern.

Im Kanton Zürich werden Tierärzte bei solchen Einsätzen deshalb von der Polizei begleitet. Im Kanton Bern geht schätzungsweise jeder dritte Halter juristisch gegen eine Beschlagnahmung vor – zum Teil folgen jahrelange Beschwerdeverfahren.

* Name der Redaktion bekannt

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