«Wir sahen die Kinder oft draussen spielen»
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Drama in Gerlafingen SO:«Wir sahen die Kinder oft draussen spielen»

Prozess gegen Kindstöterin von Gerlafingen SO – Forensikerin Monika Egli-Alge ordnet ein
«Die Mädchen waren Mittel zum Zweck»

Paula M.* erstach 2021 ihre Kinder (†7 und †8) mit dem Messer. In Solothurn steht sie am Dienstag vor Gericht. Für Blick erörtert Forensikerin Monika Egli-Alge die Hauptfrage: Wie kann eine Mutter ihre eigenen Kinder töten?
Publiziert: 09.04.2024 um 19:30 Uhr
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Aktualisiert: 09.04.2024 um 21:47 Uhr
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Nicolas LuratiReporter News

Paula M.* (41) tötete in Gerlafingen SO ihre zwei Mädchen. Deswegen musste sich die gebürtige Brasilianerin am Dienstag vor Gericht verantworten. Der Vorwurf: mehrfacher Mord. 

Blick fragt am Prozesstag bei der forensischen Psychologin Monika Egli-Alge (65) nach. Sie gründete vor 20 Jahren ein forensisches Institut in Frauenfeld TG – und ordnet nun ein.

Blick: Die Frage, die am meisten beschäftigt: Wie kann eine Mutter nur ihre Kinder töten?
Monika Egli-Alge: Es existiert ein Mythos: Mütter gebären ihre Kinder, sind fürsorglich zu ihnen, ziehen sie auf – und könnten sie deshalb niemals umbringen. Dieser Mythos beeinflusst unsere Haltung. Deshalb ist dieser Fall für uns derart unvorstellbar. Für mich übrigens auch. Aber der Mythos entspricht nicht der Realität. 

Paula M. stand am Dienstag vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft der 41-Jährigen vor, ihre zwei Mädchen ermordet zu haben.
Foto: Zvg
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Führen Sie bitte aus.
Seit Jahrtausenden kommt es vor, dass Mütter ihre Kinder töten. Das Thema fasziniert uns, weil wir es nicht fassen können. Und: Mütter erinnert der Fall an eigene Zustände.

Wie meinen Sie das?
Mütter kommen in der Erziehung in Situationen von «Ich will mein Kind nicht mehr haben.»

Aber nicht jede verzweifelte Mutter tötet ihr Kind.
Zum Glück gibt es die grosse Blockade, es nicht zu tun. Das Tabu überwiegt. Mütter können Folgendes denken: «Verdammt, die hat das getan. Ich würde das nie tun.» Es kann aber eigene Verzweiflungssituationen bei Müttern triggern.

Hat Paula M. ihre Kinder also nicht geliebt?
Ich kenne den Fall nicht und mute mir deswegen keine Fallanalyse an. Es ist aber eine gewagte These, zu sagen, eine Mutter hat keine Liebe für ihre Kinder, wenn sie sie tötet.

Die Staatsanwältin sagt, das Motiv sei Rache am Ehemann. Der Verteidiger streitet Rache ab.
Rache als Motiv bei Kindstötung tritt in Literatur und Forschung immer wieder auf. Und: Der Ehemann kann jetzt auch Rachegefühle gegenüber M. hegen. Im Sinne von «Die will ich töten». Aber: Zwischen Gefühl und Umsetzung liegen Welten. 

Wenn Paula M. sich an ihm rächen wollte, warum hat sie nicht ihren Ehemann getötet?
Für ihr Racheobjekt wäre das Leid mit dem Tod vorbei gewesen. Aber wenn sie sein Liebstes tötet, in diesem Fall die beiden Mädchen, schadet sie ihm für sein restliches Leben. Die Mädchen waren Mittel zum Zweck. 

Klingt grauenhaft.
Rache ist ein menschlicher Impuls. Aber auch irrational. Das Rachegefühl war stärker als der künftige eigene Schmerz. Und stärker als das Bewusstsein, den zwei eigenen Kindern das Leben zu nehmen und ihnen Schmerzen zuzufügen. 

Ist Paula M. empathielos?
Dass Kindstöterinnen keine Empathie besitzen, kann man so nicht sagen. Vielmehr müssen wir uns fragen, wie bei solchen Müttern in diesen Momenten die Empathie unterdrückt wird. Aber ja, es gibt Theorien, die sagen, es gebe von Grund aus böse Menschen. 

Ist Paula M. ein böser Mensch?
Um so ein Urteil fällen zu können, müsste ich oft und lange von Angesicht zu Angesicht mit ihr sprechen. Aber was bei diesem Fall sicher ist: Niemand wird sagen, den Opfern geschehe es recht. 

Gibt es Fälle, bei denen Leute das denken?
Beispiel: Ein Einbrecher kommt in dein Haus und tötet deine Familie. Du verübst Selbstjustiz und bringst ihn um. Die Öffentlichkeit könnte es nachvollziehen. Das ist beim Fall Paula M. anders.

* Name geändert 

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