Der erschütternde Bericht der Kindsmörderin von Flaach ZH
Darum tötete ich meine Kinder

Am Neujahrstag 2015 erstickte Natalie K. (†27) ihren Sohn und ihre Tochter. Im Gefängnis schrieb sie ein Buch über den Kampf mit der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden, das jetzt Bestseller-Autorin Zoë Jenny veröffentlichen will.
Publiziert: 26.06.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 29.10.2018 um 13:24 Uhr
Katia Murmann

Zwei Kinder. Tot. Erstickt von der eigenen Mutter! Am 1. Januar 2015 erschüttert der Kindsmord von Flaach ZH die ganze Schweiz.

Schnell wird klar: Der Tat ging ein erbitterter Streit zwischen der Mutter und ihren Eltern auf der ­einen Seite sowie den Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) voran. Die hatten Alessia (†2) und Nicolas (†5) am 4. November 2014 in einem Heim platziert.

Am gleichen Tag wurden Natalie K. (†27) und ihr Mann verhaftet. Ihm warf man gewerbsmässigen Betrug vor, sie kam nach wenigen Tagen wieder frei – und kämpfte gemeinsam mit ­ihren Eltern darum, dass sie die Kinder wieder nach Hause holen darf. Mehrmals hatten die Eltern von Natalie K. den Behörden angeboten, sie bei sich aufzunehmen und bereits ein Kinderzimmer eingerichtet. Doch die Kesb gingen nicht darauf ein, nahmen keinen Kontakt mit den Grosseltern auf.

Die Kinder wurden von ihrer Mutter Natalie K. (†27) am 1. Januar 2014 in Flaach ZH getötet, der Vater Mike sass im Gefaengnis in Untersuchungshaft.
Foto: BLICK
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Als Natalie ihre Kinder nach den Weihnachtsferien wieder ins Heim bringen soll, geschieht das Unfassbare: Sie tötet die beiden.

In Haft schreibt Natalie K. ihre Geschichte auf. Jetzt, anderthalb Jahre nach der Tat, gelangen Teile des Manuskripts an die Öffentlichkeit. Darin beschreibt Natalie K., was sie zur Tat trieb.

Marley, der Hund der Grosseltern, war Alessia und Nicolas ein treuer Freund.
Foto: BLICK

«13. November 2014: Ich sitze im Auto von meinen Eltern, sie haben mich soeben aus der U-Haft abgeholt. Alles, was ich in den letzten paar Tagen erfahren habe, erzähle ich ­ihnen unter Tränen. Wir fahren in das Heim, um die Kinder zu besuchen. Mein Vater erzählt mir, dass sie die letzte Woche gekämpft haben, damit die Kinder zu ihnen ziehen können, anstatt im Heim zu sein. Doch die Kesb blockte nur ab. (...) Ich verstehe nicht, wieso die Kesb nicht ein einziges Mal darüber nachdachte, dass meine Kinder ja zu den Grosseltern könnten. Aber jetzt bin ich ja wieder draussen, und ab jetzt haben sie keinen Grund mehr, die Kinder länger im Heim zu behalten.

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Am Dienstagabend, den 16.12. 2014, erhalte ich von Herrn P. das wohl schlimmste Telefon. Er sagt mir, dass er jetzt vor den Ferien keinen Entscheid mehr fällen wird, und so müssen meine Kinder am 4.1. 2015 wieder zurück ins Heim.

Ich sage ihm, dass ich alles getan und eingereicht habe, was sie wollen, und sie hätten es den Kindern und mir versprochen, dass sie in drei Tagen nach Hause dürfen. Er sagt nur, dass die Kinder es sicher verstehen werden und es braucht mehr Zeit, zu sehen, was die Zukunft bringt. Jetzt weiss ich, dass ich die ganze Zeit nur hingehalten wurde mit den vielen Versprechungen. Sie werden mir die Kinder so schnell nicht mehr geben, wenn ich sie überhaupt wieder kriege. Egal, was ich tat, als Beweis vorlegte oder gesagt habe, hat sie nicht interessiert.

So etwas lasse ich mir bestimmt nicht gefallen und rufe am nächsten Tag in einer grossen Anwaltskanzlei an. Eine sehr freundliche Anwältin hört sich meine Geschichte an und macht mir Hoffnung. Sie werde in meinem Namen und dem meiner Kinder alles geben, dass ich sie im Januar nicht wieder bringen muss. Sie fordert sofort die Akten an, damit sie noch vor dem Freitag etwas unternehmen kann. Doch die Akte wurde ihr verweigert und erst jetzt, Mitte Januar, zugestellt.

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Diese letzten paar Kapitel fallen mir besonders schwer zu schreiben. Ich musste bis jetzt immer wieder Pausen einlegen, weil ich mit Tränen in den Augen nichts mehr sehen und schreiben konnte. Jetzt kommen die zwei intensivsten Wochen meines ganzen Lebens in denen so viel auf einmal kam und auch endete.

Heute ist der 19.12. 2014, und ich darf endlich meine Kinder abholen. Meine Eltern fahren mich ins Heim, und wir sind alle glücklich und voller Hoffnung, dass es die letzte Fahrt in das Heim wird. Wir hoffen, dass meine Anwältin etwas erreichen kann. Meine Kinder warten bereits mit strahlenden Gesichtern. Sie haben nur ihre Stofftiere bei sich, die sie zum Schlafen brauchen, und einen Sack mit den Kleidern. (...) Im Auto fragen die Kinder, ob sie nun nach Hause dürfen, und wir sagen alle Ja.

Daheim ziehen sich meine Kinder sofort um. Sie lieben es, selber etwas auszusuchen, was sie anziehen wollen. Meine kleine Maus hat sich ein paar Leggins und ihr Lieblingskleid angezogen und Nicolas eine kurze Hose und seinen Lieblingspullover. Beide strahlen bis über beide Ohren, und ich muss lachen. Endlich habe ich meine zwei Süssen wieder und ich werde sie nie mehr hergeben.

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Doch die Kesb hat andere Pläne: Sie besteht darauf, dass Natalie K. ihre Kinder nach den Weihnachtsfe­rien wieder ins Heim bringt.

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Wie kann ich meine Kinder vor dieser schrecklichen Zukunft beschützen? Diese Frage stelle ich mir seit bald zwei Wochen und verzweifle an ihr. Das Einzige, was mich hoffen lässt, ist die Beschwerde meiner Anwältin. Doch was ist, wenn es nicht klappt? Ich rufe ­einen Freund an, der Pässe fälschen kann. Doch fehlt mir das Geld dazu. Auch denke ich über eine Flucht ins Ausland nach oder in der Schweiz unterzutauchen – aber wieder fehlt mir für das alles das Geld. Ich weiss, wenn ich meine Kinder wieder in das Heim bringe, breche ich mein Wort und ihre Herzen, und ich werde sie kaum mehr sehen. Nicolas müsste in den Kindergarten ohne mich, und Alessia muss ganz alleine zurückbleiben. Sie sind beide noch so klein und brauchen ihre Mutter. Wie kann ich zusehen, wie meine Kinder kaputtgehen und bestraft werden?

Am 5. Januar soll Natalie K. die beiden wieder ins Heim bringen. Am 1. Januar entscheidet sie, dem Leben ­ihrer Kinder ein Ende zu setzen und sich selbst zu ­töten. In ihrer Wohnung in Flaach erstickt sie Sohn und Tochter, dann geht sie in den Wald. Sie versucht, sich umzubringen, überlebt aber schwer verletzt.

Das Nächste, was ich noch weiss, ist, dass ich weiter oben im Wald auf einer Bank sitze. Ich halte ein Messer in der Hand und sehe wie mir das Blut aus dem Hals läuft. Mein Shirt ist schon voller Blut, aber ich bin noch nicht tot. Ich setze das Messer nochmals an und lasse mich mit Wucht gegen ­einen Baum fallen. Ich laufe zurück – ich möchte bei meinen Kindern sterben.

Warum ich das getan habe? Aus reiner und verzweifelter Mutterliebe. Ich wollte meine Kinder beschützen vor dieser schrecklichen Zukunft, vor der sie Panik hatten.

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Nach der Tat kommt Natalie K. in die Psychiatrie, danach in Untersuchungshaft. Dort schreibt sie ihre Geschichte auf und hält ihren Willen fest, dass Autorin Zoë Jenny sie an die Öffentlichkeit bringen soll. Im August 2015 begeht K. in ihrer Zelle Selbstmord.

Die Justizdirektion des Kantons Zürich lässt den Fall untersuchen. Gutachter Frank Urbaniok erklärt, Natalie K. sei psychisch krank gewesen. Allerdings hat er K. nie persönlich getroffen. Das Fazit der Experten: Die Kesb habe korrekt gehandelt, als sie die Kinder im Heim platzierte. Allerdings seien die Eltern der Mutter zu wenig einbezogen worden. Die Gutachter schreiben: «Die Kesb hat schlecht kommuniziert und zu wenig gut abgeklärt, ob allenfalls die Gross­eltern die Kinder aufnehmen könnten.»

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