«Acht von Zehn fragen nach Oral- und Geschlechtsverkehr ohne Gummi»
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Sexarbeiterin ist schockiert:«Acht von Zehn fragen nach Geschlechtsverkehr ohne Gummi»

Sexarbeiterin Andrea Rindisbacher (44) ist schockiert über Forderungen der Freier
«Der Respekt vor Geschlechtskrankheiten hat brutal abgenommen»

Domina Andrea Rindisbacher (44) aus St. Gallen ist empört über die Zustände im Sexgewerbe. Immer mehr Freier fordern ungeschützten Verkehr – wegen mangelnder Kundschaft bekommen sie diesen teilweise auch. Die Angst vor Geschlechtskrankheiten scheint wie weggeblasen.
Publiziert: 09.12.2022 um 09:55 Uhr
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Aktualisiert: 09.12.2022 um 14:11 Uhr
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Carla De-VizziRedaktorin News

Die St. Gallerin Andrea Rindisbacher (44) ist schockiert. Seit 26 Jahren arbeitet sie bereits im Sexgewerbe – was aber aktuell im Milieu los sei, gehe «auf keine Kuhhaut». «Es artet aus!», sagt die Fetisch-Lady zu Blick.

Gemeint sind die massenweise unangebrachten Anfragen, die sie seit Ausbruch der Pandemie erreichen. «Von zehn Anrufern fragen acht nach Oral- oder Geschlechtsverkehr ohne Gummi und danach, ob ich auch küsse.» Für die Sexarbeiterin der «alten Schule» ein «absolutes No-Go».

«Spielzimmer» wie in «Fifty Shades of Grey»

Sobald sie den Freiern klarmache, dass sie gesund bleiben wolle, werde sie ausgelacht, oder es heisst: «Tu doch nicht so.» Nicht nur dumm, sondern auch verheerend, findet Rindisbacher. «Der Respekt vor Geschlechtskrankheiten hat brutal abgenommen.»

Die Sexarbeiterin Andrea Rindisbacher aus dem Kanton St. Gallen ist empört darüber, was im Sexgewerbe aktuell vor sich geht.
Foto: Thomas Meier
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Paradoxerweise habe sich die Situation seit Corona zugespitzt. «Dass man nach einer Pandemie Geschlechtskrankheiten verharmlost, verstehe ich nicht», so die Domina, deren Studio in St. Gallen an den «Roten Raum des Schmerzes» aus dem Film «Fifty Shades of Grey» erinnert.

Doch woher kommt diese scheinbar schwindende Angst vor Geschlechtskrankheiten? Hat der Schrecken, den Aids durch die sinkenden HIV-Zahlen verloren hat, etwas damit zu tun? Rindisbacher schliesst das nicht aus: «Kurz nach Ausbruch des HIV-Virus war die Angst vor einer Ansteckung stetiger Begleiter – auch bei den Freiern.»

Sexgewerbe leidet seit der Pandemie

Dass Freier seit Corona vermehrt Praktiken fordern, die nicht in Ordnung sind, beobachtet auch Rebecca Angelini (44), Leiterin der nationalen Koordinations- und Geschäftsstelle ProCoRe. Dabei handelt es sich um den Dachverband von Beratungsstellen für Sexarbeitende in der Schweiz. ProCoRe betreibt Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten im Sexgewerbe.

Angelini zufolge bleibe im Sexgewerbe seit der Pandemie die Kundschaft aus. «Wenn das Geschäft schlecht läuft, haben die Freier mehr Macht, drücken die Preise oder stellen unangebrachte Forderungen», so Angelini zu Blick.

Ob manche Freier einfach naiv sind oder die Existenz sexuell übertragbarer Krankheiten anzweifeln, kann die Expertin nicht sagen. «Vielleicht hat der Respekt vor einer Infektion generell abgenommen.»

Ehefrauen der Freier sind auch gefährdet

Freier, die unangebrachte Wünsche äussern, habe es jedoch schon immer gegeben. Trotzdem stellt Angelini fest: «Der Druck hat zugenommen.» Rindisbacher zufolge sind deshalb viele Frauen gezwungen, diesen – in ihren Augen – «lebensmüden» Forderungen nachzukommen: «Die Freier wissen, dass sie den Service, den sie verlangen, irgendwo bekommen. Also lenken die Sexarbeiterinnen lieber ein, statt gar nicht anzuschaffen.»

Dementsprechend grösser sei die Gefahr, sich mit einer Geschlechtskrankheit anzustecken. «Das gilt auch für all die Frauen, deren Männer sich im Bordell herumtreiben», weiss Rindisbacher. Deshalb wolle die St. Gallerin die Leute für das Thema sensibilisieren. Denn: «So kann es nicht weitergehen!»

«Chlamydien sind am häufigsten verbreitet»

Während die Infektionen mit HIV seit Jahren rückläufig sind, steigen die gemeldeten Chlamydien- und Gonorrhoeinfektionen (Tripper) seit Jahren an. Dies teilt Katrin Holenstein des Bundesamts für Gesundheit auf Anfrage von Blick mit. Grund dafür sei jedoch auch die Ausweitung des Testens (Testhäufigkeit und Zahl sich testender Personen).

«Die Zahl neuer Syphilisdiagnosen hat sich in den letzten Jahren jedoch stabilisiert.» Die nach wie vor am weitesten verbreitete sexuell übertragbare Krankheit seien Chlamydien-Infektionen. Auch dies könne jedoch mehrheitlich auf die Ausweitung des Testens auf asymptomatische Infektionen zurückgeführt werden.

Bezüglich eines vermehrten unvorsichtigen Verhaltens beim Geschlechtsverkehr kann Holenstein etwas Entwarnung geben: «Eine Studie hat kürzlich gezeigt, dass der Kondomgebrauch in der Schweiz nicht zurückgeht.» Das sei ein Indiz dafür, dass die Menschen in der Schweiz gegenüber der Thematik HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten immer noch aufmerksam seien.

Während die Infektionen mit HIV seit Jahren rückläufig sind, steigen die gemeldeten Chlamydien- und Gonorrhoeinfektionen (Tripper) seit Jahren an. Dies teilt Katrin Holenstein des Bundesamts für Gesundheit auf Anfrage von Blick mit. Grund dafür sei jedoch auch die Ausweitung des Testens (Testhäufigkeit und Zahl sich testender Personen).

«Die Zahl neuer Syphilisdiagnosen hat sich in den letzten Jahren jedoch stabilisiert.» Die nach wie vor am weitesten verbreitete sexuell übertragbare Krankheit seien Chlamydien-Infektionen. Auch dies könne jedoch mehrheitlich auf die Ausweitung des Testens auf asymptomatische Infektionen zurückgeführt werden.

Bezüglich eines vermehrten unvorsichtigen Verhaltens beim Geschlechtsverkehr kann Holenstein etwas Entwarnung geben: «Eine Studie hat kürzlich gezeigt, dass der Kondomgebrauch in der Schweiz nicht zurückgeht.» Das sei ein Indiz dafür, dass die Menschen in der Schweiz gegenüber der Thematik HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten immer noch aufmerksam seien.

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