Hier stürzt die Ju-52 ab!
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Abschlussbericht zu Ju-Air-Absturz bringt eklatante Mängel ans Tageslicht
Totalversagen kostete 20 Menschenleben!

Nach zweieinhalb Jahren wurde der Abschlussbericht zur im Sommer 2018 in Flims GR verunglückten «Tante Ju» veröffentlicht. Die Ermittler machen die Piloten als Hauptschuldige aus, werfen aber auch Airline und Flugaufsicht kapitales Versagen vor.
Publiziert: 28.01.2021 um 08:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.01.2021 um 20:39 Uhr
Marco Latzer

Senkrecht und mit 202 km/h auf dem Fahrtenmesser schlägt die Ju-52 mit dem Kennzeichen HB-Hot auf dem Felsboden am Fusse des Piz Segnas auf. An diesem verhängnisvollen 4. August 2018, einem strahlenden Sommertag, verlieren um 16.57 Uhr binnen Sekundenbruchteilen alle 20 Menschen an Bord des Oldtimer-Fliegers der Ju-Air ihr Leben (BLICK berichtete).

Die Katastrophe oberhalb von Flims GR ist das schlimmste Schweizer Flugzeugunglück seit dem Absturz einer Crossair-Maschine bei Bassersdorf ZH im Jahr 2001. Während zweieinhalb Jahren ist die Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) den Ursachen für die Tragödie der «Tante Ju» minutiös auf den Grund gegangen.

Vor einem Jahr stürzte am Piz Segnas in Graubünden eine historische Ju-52 der Dübendorfer Ju-Air ab. Die Suche nach der Absturzursache dauert weiter an.
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Sust veröffentlicht Video:So kam es zur Ju-Air-Katastrophe

Menschliches Versagen gilt als Hauptursache

Der heute veröffentlichte Abschlussbericht macht fassungslos – und spricht den beiden Piloten Ruedi J.* (†62) und Peter M.* (†63) die Hauptschuld zu. Es handelt sich um menschliches Versagen!

Rekonstruierte On-Board-Bilder: Kurz vor dem Aufprall passierte die Ju-52 das Martinsloch oberhalb von Flims GR. Ein tödlich verunglückter Passagier filmte die Szene.
Foto: Screesnshot Abschlussbericht Sust
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«Die Flugbesatzung wählte einen hochriskanten Flugweg, der aufgrund der geringen Flughöhe über dem Gelände und des fehlenden Drehraums keine Auswege oder Korrekturmöglichkeiten bei Fehlern, Störungen und Wettereinflüssen bot», befindet die Sust.

Die Piloten seien mit der Ju-52 wohl deshalb zu tief in den Sardonakessel eingeflogen, um ihren Passagieren einen einzigartigen Ausblick auf das berühmte Martinsloch zu ermöglichen. Die einstigen Luftwaffenpiloten J. und M. hätten nämlich schon länger die Gewohnheit an den Tag gelegt, «systematisch anerkannte Regeln der Luftfahrt nicht einzuhalten».

Weil die Maschine zu langsam unterwegs und wegen einer fehlerhaften Flugplanungssoftware auch schlecht ausbalanciert ist, gerät die Situation wegen im Talkessel durchaus zu erwartenden Turbulenzen ausser Kontrolle. Ein Strömungsabriss («Stall») am Ende einer Linkskurve besiegelt schliesslich das Ende der HB-Hot und der Menschen an Bord. Ein eilig eingeleitetes Auffangmanöver scheitert, weil dafür schlicht zu wenig Platz und Zeit ist.

So kam es zur Ju-Air-Katastrophe
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SUST veröffentlicht Video:So kam es zur Ju-Air-Katastrophe

Aufwändige Rekonstruktion des Unfallgeschehens

Weil ein moderner Flugdatenschreiber im Oldtimer fehlt, müssen die Unfallermittler den genauen Hergang mittels Wetterdaten, Augenzeugenberichten und insbesondere den wieder hergestellten Handydaten und Videoaufnahmen der Verunglückten rekonstruieren.

Der Abschlussbericht zeigt daher praktisch metergenau auf, wie die HB-Hot zum Ende einer zweitägigen Erlebnisreise nach Locarno TI ihrem tragischen Schicksal entgegenflog. Und er stellt die beiden Piloten in letzter Konsequenz auch als Flug-Rowdys dar.

Peter M. als Captain und Co-Pilot Ruedi J. hätten als ehemalige Militärpiloten über exzellente Geografiekenntnisse verfügt und seien dennoch – oder gerade deswegen – bewusst zu tief in den ihnen bestens bekannten Kessel geflogen. Zudem werden den beiden Ostschweizern zahlreiche weitere Unterschreitungen der Mindestflughöhen auf früheren Flügen vorgeworfen.

Angehörige des Unfallpiloten wollen Bericht bekämpfen

Die Angehörigen von Peter M. halten die Vorwürfe für unfair. «Sie wehren sich indessen – auch im Sinne des Andenkens an ihr Familienmitglied — gegen das polemische Fazit der Sust, welches keinen Beitrag zur künftigen Flugsicherheit leistet», teilen die Hinterbliebenen BLICK mit.

Dabei wird insbesondere auf den renommierten Luftfahrtexperten Peter Frei verwiesen. Dieser machte im November darauf aufmerksam, dass der 1939 im Deutschen Reich gefertigte Flieger mit einem zu weit hinten liegenden Schwerpunkt geflogen sei. Ein Umstand, den der Abschlussbericht zwar sehr wohl erwähnt, aber keineswegs als Hauptursache aufführt.

«Die Angehörigen werden deshalb eine Einsprache gegen die Ablehnung der Wiederaufnahme der Untersuchung prüfen.» Dies hatte die Familie wegen der «zahlreichen flugmechanischen Einwände» von Peter Frei noch Anfang Januar verlangt. Das letzte Wort zum Absturz der «Tante Ju» ist damit womöglich noch nicht gesprochen.

Flugzeugbetreiberin Ju-Air versagte an allen Ecken und Enden!

Die Sust geht aber auch mit der Flugzeugbetreiberin Ju-Air alles andere als zimperlich ins Gericht. In letzter Konsequenz werfen ihr die Ermittler eine katastrophale Sicherheitskultur vor. Denn: Die HB-Hot hätte wegen zahlreicher und eklatanter Mängel am Unglückstag eigentlich gar nicht abheben dürfen!

So befand sich der Oldtimer laut Bericht in einem nicht ordnungsgemässen technischen Zustand, erreichte die nachgewiesenen Flugleistungen nicht mehr und eine ausreichende Instandhaltung der Maschine war auch nicht gewährleistet. In den zehn Jahren vor dem Unfall trat eine bedeutende Anzahl von Störungen an den Motoren auf.

Und die Ju-Air habe laut Sust ihre Piloten, die aus Leidenschaft zur Fliegerei alle ehrenamtlich am Steuer sitzen, nicht im Griff. «Mehrere Kaderpiloten von Ju-Air fielen wiederholt durch Regelbrüche auf und waren in Flüge mit risikoreicher Flugwegwahl involviert», so der Bericht. Die Katastrophe, so legt es die Untersuchung nahe, dürfte nur eine Frage der Zeit gewesen sein.

Ju-Air-Crews begingen wiederholt Luftraumverletzungen

«Im Detail untersucht wurden (...) 44 Situationen, die im Rahmen von 36 Flügen festgestellt werden konnten. In diesen Fällen bestand eine hohe Unfallwahrscheinlichkeit, weil die Flugbesatzungen hohe Risiken eingingen», heisst es dazu. Auswege und Handlungsspielräume hätten häufig gefehlt, Felswände und Bergflanken wurden oft sehr nahe passiert.

Kurzum: Die Ju-Air-Crews haben mit ihrem Verhalten über Jahre hinweg Mensch und Material gefährdet, bis es schliesslich zum verhängnisvollen Unfall kam. Von «waghalsigen Verstössen» ist die Rede. So traten beispielsweise in den kontrollierten Lufträumen um Militärflugplätze herum wiederholt Luftraumverletzungen durch Flugzeuge der Ju-Air auf.

Diese Mängel wurden vom Bundesamt für Zivilluftfahrt zwar in Einzelfällen erkannt, hatten im Endeffekt aber keine Konsequenzen. Der Umfang blieb ebenso wie die zahlreichen technischen Mängel bei den Inspektionen unentdeckt.

*Namen bekannt

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