Haben die Behörden bei Jenny S. (†29) versagt?
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Sieben Tote nach Brand:Haben die Behörden bei Jenny S. (†29) versagt?

Beschuldigte war schon vor dem Brand mit 7 Toten in Solothurn psychisch krank – und kam dennoch frei
Haben die Behörden bei Jenny S. (†29) versagt?

Acht Menschen sind tot – und müssten es vielleicht nicht sein. Wenn gewisse Personen anders gehandelt hätten. Das sagen die Angehörigen von Jenny S. (†29). Sie hat 2018 den Brand in Solothurn verursacht, kam frei und starb nun. Ein Opferanwalt sieht es auch so.
Publiziert: 03.12.2022 um 01:53 Uhr
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Aktualisiert: 03.12.2022 um 08:30 Uhr
Sieben Menschen kamen am 26. November 2018 beim Brand im Mehrfamilienhaus in Solothurn ums Leben.
Foto: Philippe Rossier
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Ralph DonghiReporter News

Jenny S.* (†29) ist tot, sie starb vergangene Woche. Traurige Bekanntheit erlangte die junge Frau, weil sie am 26. November 2018 einen Brand mit sieben Toten verursachte. Eines ist darum klar: Sie kann dafür nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen sie ein.

Und doch bleiben Fragen: Warum kam die psychisch kranke Jenny S. nach der Tragödie frei? Und: Wie sieht es nun mit den finanziellen Ansprüchen der Hinterbliebenen der Todesopfer aus?

Die Angehörigen von S. sagen Blick: «Unserer Meinung nach haben die Behörden versagt. Sie hätten sie schon vor dem Brand und nach ihrer Freilassung enger betreuen müssen.» Weiter möchten sie sich nicht äussern. Sie mussten nämlich bereits den Tod der Mutter von Jenny S. verkraften.

Jenny S. wollte eine Geschlechtsumwandlung

2019 hatte Irene R.** (†65) noch mit Blick über ihre Tochter gesprochen. Sie erzählte von ihrer eigenen Krebserkrankung und davon, dass Jenny eigentlich ein Mann sein wolle. Ihre Tochter fühle sich, seit sie zwölf ist, im falschen Körper. Sie wolle eine Geschlechtsumwandlung.

Irene R. sprach aber auch davon, dass Jenny schon vor dem Brand «psychisch instabil» gewesen sei und Hilfe vom Staat gebraucht hätte. Sie selbst habe ihr nicht helfen können. Einzelne Angehörige hatten kurz vor dem Brand von den Behörden noch verlangt, dass Jenny zwangseingewiesen wird.

Warum kam Jenny S. frei?

Jenny S. kam nach dem Brand in Haft – und wieder frei. Bloss: warum? «Aufgrund fehlender Haftgründe», sagt Sophie Baumgartner von der Solothurner Staatsanwaltschaft. Weitere Fragen werden aufgrund des Persönlichkeitsschutzes nicht beantwortet. Bekannt gegeben wurde nur, dass zu ihrem Tod «keine Hinweise auf eine strafbare Dritteinwirkung vorliegen».

Laut Blick-Informationen aus dem Umfeld von Jenny S. soll sie auf dem Weg zur Geschlechtsumwandlung eine falsche Dosis von dafür vorgesehenen Medikamenten eingenommen haben. Mit anderen Tabletten, die sie einnehmen musste, soll sich dies nicht vertragen haben. Es soll also ein Versehen gewesen sein. Es sei auch kein Abschiedsbrief gefunden worden.

Opferanwalt: «Es haben mehrere Personen versagt»

Für Jean-Claude Cattin (52), Anwalt der Angehörigen der verstorbenen vierköpfigen eritreischen Familie, steht fest: «Meines Erachtens haben bei dem tragischen Fall mit sieben Toten und dem jetzigen Tod von Jenny S. mehrere Personen versagt.» Denn: Jenny S. sei bekanntermassen schon lange vor dem Brand nikotin- und alkoholabhängig gewesen und habe starke Medikamente genommen.

Jenny S. treffe klar die Hauptschuld am Brand, sagt Cattin. Aber: «Es tragen auch andere Personen eine Mitverantwortung – und zwar für beide Tragödien.» Er meint damit unter anderem die Personen, die für die Betreuung von Jenny S. verantwortlich waren. Das hatte er Blick bereits 2020 gesagt und eine Ausdehnung des Strafverfahrens beantragt. Ohne Erfolg.

Sophie Baumgartner von der Staatsanwaltschaft sagt: «Wir können bestätigen, dass keine Strafverfahren gegen weitere Personen im Zusammenhang mit dem Brandereignis aus dem Jahr 2018 hängig sind.» Man habe eine mögliche Verantwortlichkeit weiterer Personen geprüft, «eine solche jedoch verneint».

Kesb verweist auf den Datenschutz

Und was sagt die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) zum Fall Jenny S.? «Wir können aus Datenschutzgründen keine Angaben zu einzelnen Personen oder konkreten Fällen machen», sagt Stefan Armenti, Präsident der Kesb Region Solothurn. «Ganz allgemein lässt sich aber festhalten, dass die Kesb von Gesetzes wegen zum Handeln verpflichtet ist, wenn sie Kenntnis von der Schutzbedürftigkeit einer Person erhält.»

Massnahmen, die die Kesb treffe, müssten dabei zwingend verhältnismässig sein. Armenti: «Dies bedeutet, dass die Behörde im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten immer so viele Mittel wie nötig ergreifen muss, gleichzeitig aber nur so wenig wie möglich in das Leben von Menschen eingreifen darf.»

Angehörige der Todesopfer können noch Ansprüche stellen

Zurück bleiben die trauernden Hinterbliebenen der Verstorbenen. Immerhin: «Ich konnte für meine Klienten mit der Haftpflichtversicherung von Jenny S. schon seit längerem einen Vergleich abschliessen», sagt Opferanwalt Cattin.

Die Rechtsbeiständin der beiden voll verwaisten, minderjährigen Kinder erklärt: «Auch nach Ableben einer angeschuldigten Person in einem Strafverfahren, stehen für die Opfer zivilrechtliche Instrumente zur Verfügung, um deren berechtigte Ansprüche sicherzustellen. Die dazu geeigneten Massnahmen wurden eingeleitet.»

Nach dem Tod von Jenny S. und der Einstellung des Verfahrens steht für Opferanwalt Cattin fest: «So traurig, wie dieser Fall seinen Lauf genommen hat – das ist nicht die Idee des Rechtsstaats.»

* Name geändert
** Name bekannt

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