Der in Aarau abgehauene Amin T. (34) stand wegen Gewaltausbrüchen vor Gericht
So harmlos ist der Flüchtige nicht

Der Häftling, der sich in Aarau aus dem Staub gemacht hat, ist immer noch auf der Flucht. Blick-Recherchen zeigen: Amin T. (34) stand letztes Jahr in Olten SO vor Gericht, und zwar nicht wegen Bagatelldelikten.
Publiziert: 05.10.2022 um 15:24 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2022 um 16:16 Uhr
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Ralph DonghiReporter News

Er ist immer noch auf der Flucht: Der Häftling (34), dem am Dienstag kurz vor 15 Uhr am Bahnhof Aarau beim Ausstieg aus dem Gefangenenfahrzeug die Flucht gelang. Der Tunesier sass in Aarau in Ausschaffungshaft und sollte ins Gebäude des Migrationsamts geführt werden.

Doch irgendwie konnte sich der Häftling trotz Handschellen vom Transporteur losreissen und davonrennen – in schwarzen Crocs, grüner Jacke und grauer Trainerhose. Die Kantonspolizei Aargau suchte danach vergebens nach dem Flüchtigen – auch mit einem Diensthund. Sie machte zudem einen Zeugenaufruf und schrieb darin: «Es liegen keine Hinweise auf eine Gefahr für die Öffentlichkeit vor.»

Flüchtiger ist kein Unschuldslamm

Jetzt zeigen Blick-Recherchen: Beim flüchtigen Häftling handelt es sich um Amin T.* Und er ist gar nicht so harmlos! Er hat in der Schweiz eine lange Liste von Delikten und stand letzten November in Olten SO vor Gericht. Die Vorwürfe: einfache Körperverletzung, mehrfache Drohung, Angriff, Hinderung einer Amtshandlung, mehrfache Sachbeschädigung, Vergehen und Übertretung gegen das Betäubungsmittelgesetz, rechtswidrige Einreise und mehrfache Missachtung der Ein- und Ausgrenzung.

Die Kantonspolizei Aargau sucht mit diesem veröffentlichten Bild nach dem geflüchteten Häftling.
Foto: Kapo AG
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Für diese Delikte wurde Amin T. zu einer Freiheitsstrafe von 27 Monaten, einer Geldstrafe von 300 Franken und einer Busse von 500 Franken verurteilt. Dazu gabs einen Landesverweis von acht Jahren. Da er zu diesem Zeitpunkt die Haftstrafe praktisch schon abgesessen hatte, zog er vor allem das Urteil betreffend des Landesverweises weiter vor das Obergericht. Dort ist der Fall immer noch hängig, doch Amin T. kam vorsorglich schon mal in Ausschaffungshaft.

Ehefrau in Asylunterkunft angegriffen

Wie die «Solothurner Zeitung» letzten November anlässlich des Prozesses in Olten schrieb, war der Tunesier in der Schweiz ursprünglich mit seinem Asylantrag gescheitert und hätte die Schweiz bis am 12. Dezember 2014 verlassen müssen. Doch er und seine Familie traten die bereits gebuchten Flüge nicht an und blieben illegal in der Schweiz.

Am 14. Februar 2018 soll Amin T. in einer Asylunterkunft seine Frau angegriffen und schwer verletzt haben. Er soll die verschlossene Zimmertür gewaltsam aufgewuchtet haben. Seine Frau, die dahinter stand, soll dabei getroffen worden sein und erlitt Knochenbrüche im Gesicht. Zudem soll sie von ihrem Mann mit Fäusten und Füssen geschlagen worden sein. Die Folge waren Quetschungen, Schürfwunden und Prellungen am ganzen Körper. Zudem beklagte sie einen abgebrochenen Zahn.

Zwei Gefängniszellen demoliert

Und noch ein Vorfall wird Amin T. zur Last gelegt: Er soll am 15. Juli 2018 in einer Bar in Olten als Mittäter eine Kosovarin angegriffen haben. Er soll ihr das Knie ins Gesicht gedrückt und ihr den Unterkiefer zweifach gebrochen haben. Hinzu kamen weitere Tätlichkeiten und Sachbeschädigungen. So demolierte er unter anderem eine Gefängniszelle im Untersuchungsgefängnis Olten und eine Zelle im Untersuchungsgefängnis Solothurn.

Vor Gericht plädierte Amin T. grösstenteils für unschuldig. Das mit der Zimmertür und seiner Frau sei ein Unfall gewesen, und geschlagen habe er sie nicht. Und in Olten sei er zwar in der Bar gewesen, er habe aber nichts mit der Tat zu tun. Die Staatsanwaltschaft forderte fünfeinhalb Jahre Freiheitsstrafe und einen Landesverweis von zwölf Jahren. Der Verteidiger des Beschuldigten forderte in den wesentlichen Punkten einen Freispruch – aber das Gericht sah es anders.

Amin T. klagte über Haftbedingungen

Beim Prozess hatte Amin T. gesagt, dass er stets in Isolationshaft gehalten werde und man ihn «wie einen Hund» behandeln würde. Unter anderem habe man ihn für 14 Tage in den «Bunker» gesteckt, mit nichts als einer «papierigen Unterhose» bekleidet. Seine Frau hielt vor Gericht zu ihm und sagte, dass er sie noch nie geschlagen habe. Die Frau aus der Bar hingegen blieb bei ihrer Version, dass er ihr den Unterkiefer gebrochen habe. Amin T. habe ihr gar noch Geld geboten, wenn sie die Anzeige zurückziehen würde.

Die Kantonspolizei Aargau kann zu den Straftatbeständen von Amin T. «keine Stellung nehmen», so Sprecher Bernhard Graser. Beim Gefangenentransport wurde er nur von einer Person begleitet. «Wie bei jedem anderen Gefangenentransport erfolgte auch hier eine vorgängige Risikobeurteilung», so Graser.

Im Fahndungsregister ausgeschrieben

Ob es ein Polizist oder Securitas-Mitarbeiter war, der den Häftling zum Migrationsamt fuhr, sagt Graser nicht. Nur so viel: «Der Gefangene wurde von einer Person begleitet, welche ausgebildet und befugt war, solche Transporte auszuführen.» Und die Handschellen? «Wie auf solchen Transporten üblich, war der Gefangene mit Handschellen gefesselt. Ob und wie er sich dieser entledigen konnte, muss noch genau geklärt werden.»

Trotz intensiver Fahndung sei der Flüchtige immer noch verschwunden, so Graser. «Wir haben Ermittlungen aufgenommen, die Aufschluss über seine Flucht und seinen derzeitigen Aufenthaltsort liefern sollen.» Gleichzeitig sei er im Fahndungsregister ausgeschrieben worden.

Im Zeugenaufruf dürfte die Kapo Aargau bereits geahnt haben, dass Amin T. kein unbeschriebenes Blatt ist. Sie schrieb, falls man den Flüchtigen sehen würde: «Zu ihrer eigenen Sicherheit werden sie gebeten, sich der Person nicht zu nähern.»

* Name geändert

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