«Die haben unseren Proberaum einfach offengelassen»
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Mieter ist wütend:«Polizei hat unseren Proberaum einfach offengelassen»

Mega-Razzia in Olten SO
Die Spur führt ins Zürcher Langstrassen-Milieu

Der 46-jährige D.K. soll von einem Rocker entführt und ermordet worden sein. Das mutmassliche Opfer ist ein Vertrauter von Roland Gisler, dem schillernden Wirt des Neugasshofs.
Publiziert: 20.08.2023 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 20.08.2023 um 08:52 Uhr

Es ist noch dunkel, erst vier Uhr am Freitagmorgen, als Polizisten der Kantonspolizeien Zürich und Solothurn im Grosseinsatz ein Gebäude in Olten SO stürmen: An der Haslistrasse 72 im Industriegebiet – nur einen Steinwurf vom Strassenstrich entfernt – riegeln sie ein Gebäude ab, brechen Türen auf und tragen Computer und Hanfpflanzen aus dem Haus, wie «Züri Today» berichtet. Zwei Mieter, so das Newsportal weiter, werden zur Befragung mitgenommen.

Wie im Krieg sei es gewesen, schilderte ein Augenzeuge. Mehr als «200 Polizisten» habe er gezählt.

Ein Sprecher der Kantonspolizei Zürich stellte lediglich fest, der Einsatz sei wegen eines «möglichen Delikts gegen die Freiheit» erfolgt. Dazu gehören Straftatbestände wie Drohung, Nötigung, Freiheitsberaubung und Entführung.

Milieu-Beizer Roland Gisler (l.) und der mutmasslich getötete D.K. Sie waren enge Vertraute.
Foto: Siggi Bucher
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Kein Unbekannter

Gemäss Informationen von SonntagsBlick dürfte es sich um eine Entführung handeln – mit fatalen Folgen: Der 46-jährige Montenegriner D.K.* soll, so der Verdacht der Strafverfolger, einem Mord im Milieu zum Opfer gefallen sein. Er galt seit dem 27. Juli als verschwunden und wurde als vermisst gemeldet.

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K. ist allerdings nicht irgendwer, sondern einer der engsten Vertrauten von Roland Gisler (58), dem umtriebigen Wirt des Lokals Neugasshof im Zürcher Kreis 5.

Die beiden lernten sich im Gefängnis kennen und waren seither eng befreundet. Im Raum steht laut SonntagsBlick-Informationen der Verdacht, dass Gislers rechte Hand vom Ex-Mitglied einer Motorradgruppe getötet wurde. Der mutmassliche Täter stammt aus der Türkei und hat seinen Wohnsitz im Kanton Zürich. Zu möglichen Motiven kursieren verschiedene Versionen. Je nach Quelle handelte es sich um eine Abrechnung, um einen Racheakt oder um die Beseitigung eines lästigen Gegners. Der Mann soll die Schweiz mittlerweile verlassen haben.

Sensible Daten im Hinterhof

Zur landesweit bekannten Figur wurde Gisler im Dezember 2022, als sich herausstellte, dass im Hinterhof seiner Kneipe über Jahre hinweg hochsensible Daten der Zürcher Justizdirektion lagerten: Strafakten, psychiatrische Gutachten, aber auch gesperrte Telefonnummern und private Wohnadressen von Richtern und Staatsanwältinnen.

Es war Gislers Bruder A.*, der von der Justizdirektion damit betraut worden war, die Computer, Drucker und Server der Justiz zu entsorgen. Statt die Festplatten zu entsorgen, bewahrte er sie auf und übergab sie seinem Bruder. Roland Gisler wiederum versuchte, damit Druck auf die Justiz auszuüben.

Roland Gislers Anwalt, der damalige SVP-Kantonsrat Valentin Landmann (73), machte den Skandal publik und setzte Justizdirektorin Jacqueline Fehr (60) unter Druck. Das Datenleck beschäftigt inzwischen eine Parlamentarische Untersuchungskommission.

Umschlagplatz für Drogen

Der Neugasshof war früher ein Treffpunkt der Hells Angels und anderer Motorradgangs aus ganz Europa. Beizer Gisler ist eine nicht minder illustre Milieufigur, die seit Jahren einen Kleinkrieg gegen die Zürcher Justizbehörden führt.

Seit einer Razzia in seiner Bar im Jahr 2017 droht ihm eine mehrjährige Haftstrafe wegen gross angelegten Cannabis-Handels. Zwischen 2013 und 2017 sollen im Neugasshof mindestens 330 Kilogramm Marihuana und etwa zehn Kilo Haschisch im Wert von drei Millionen Franken verkauft worden sein.

Dreh- und Angelpunkt dabei war der videoüberwachte «Memberraum» der Beiz im ersten Obergeschoss: Wer Drogen kaufen wollte, brauchte einen Badge und musste in der Beiz mindestens ein Getränk konsumieren. Mitte November 2022 verurteilte das Zürcher Obergericht Gisler in dieser Sache, sein Verteidiger Landmann hat das Urteil jedoch ans Bundesgericht weitergezogen. Gisler wehrt sich gegen die Vorwürfe.

Gegenüber «Züri Today» sagte einer der am Freitag von der Polizei befragten Mieter in Olten: «Mir wurden Bilder von den Tätern gezeigt. Diese drei Täter haben in Zürich anscheinend jemanden entführt. Die Polizei geht wohl davon aus, dass diese Person ermordet wurde.» Die Polizei sei offenbar davon ausgegangen, dass sich die Täter im Oltner Industriegebiet aufhalten.

Noch ein Indiz deutet auf eine schwere Straftat hin: Die Zürcher Staatsanwaltschaft I soll die Ermittlungen leiten, sie ist zuständig für schwere Gewaltkriminalität wie vorsätzliche Tötung – oder eben Mord.

* Namen der Redaktion bekannt

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