«Wir erhoffen uns Bilder, die um die Welt gehen»
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RhB-Direktor Renato Fasciati:«Wir erhoffen uns Bilder, die um die Welt gehen»

Längster Personenzug der Welt
RhB hat Hauptprobe für Weltrekordversuch erfolgreich bestanden

Wer in der Nacht auf Montag per Zufall auf die Zugstrecke am Albula schaute, konnte seinen Augen kaum trauen! Eine endlose Lichterkette schlängelte sich den Berg runter. Eine Illusion? Ein Ufo? Blick kann beruhigen: Es war nur die RhB auf dem Weg zum Rekord.
Publiziert: 11.05.2022 um 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 11.05.2022 um 09:19 Uhr
Beat Michel und Siggi Bucher (Fotos)

Es ist Mitternacht, im einspurigen Albulatunnel steht ein über ein Kilometer langer Personenzug der Rhätischen Bahn (RhB) bereit für eine spektakuläre Abfahrt. Noch nie stand in dem über 100-jährigen Tunnel ein so langer Personenzug. Es ist die Hauptprobe für einen Weltrekord-Versuch im Oktober anlässlich des 175-Jahr-Jubiläums der Schweizer Bahnen. Bei der Hauptprobe sind es 16 Zugskompositionen à vier Wagen, beim Rekordversuch werden es 25 Kompositionen mit 100 Wagen und einer Länge von 1910 Meter sein. Der längste Personenzug der Welt.

Die Fahrt geht über die Unesco-Welterbestrecke von Preda GR über Bergün GR nach Thusis GR. Zu dem Zeitpunkt ist unklar, ob die Rhätische Bahn sich der Herausforderung im Oktober überhaupt stellen darf. Die technische Aufgabe ist hochkomplex. Es darf kein noch so kleines Sicherheitsrisiko übrig bleiben.

Mitten in dem Team von Ingenieuren, Informatikern und Technikern bewegt sich RhB-Direktor Renato Fasciati (47). Die Atmosphäre im vordersten Wagen ist konzentriert, aber entspannt. Man kennt sich gut, alle sind per Du, der oberste RhB-Chef ist keine Ausnahme. Er selber hat in der grossen Nacht für die RhB keine feste Aufgabe, er kann Blick die Details des Probelaufs erklären: «Wir haben in den ersten zwei Durchgängen viel gelernt. Dieses Mal bin ich zuversichtlich, dass es klappt. Alles was wir hier üben, machen wir schliesslich zum ersten Mal. Wir haben viel dazugelernt in der kurzen Zeit.»

RhB-Direktor Renato Fasciati (47) ist bei der Hauptprobe für den Weltrekordversuch auf der Zugstrecke auf dem Albula mit dabei. Dieses Mal geht nichts schief. Er gratuliert seinen Mitarbeitern herzlich. «Jetzt sind wir bereit für den Rekordversuch», sagt er stolz.
Foto: Siggi Bucher
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Man sieht den Zug auf mehreren Ebenen

Der Weltrekordversuch liegt Renato Fasciati sehr am Herzen. Er sagt begeistert: «Bei dem Anlass stimmt einfach alles. Wir haben mit der Bahnstrecke am Albula ein Kernstück des Unesco-Welterbes als Bühne für die einmalige Fahrt. Es ist eine der spektakulärsten Bahnstrecken der Welt. Bei einzelnen Abschnitten sieht man den Zug dank den Kehrtunnels auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Es wird ein unglaublicher Anblick.»

Andreas Kramer (45) steuert die vorderste Lok

Zuvorderst im Zug sitzt Andreas Kramer (45) – während der Hauptprobe und beim Weltrekordversuch im Oktober. Er ist Inbetriebssetzungs-Lokführer bei der RhB. Seit 2020 nimmt er die neuen Capricorn-Züge der Stadler Rail in Betrieb. Trotz seiner grossen Erfahrung ist er sehr gespannt, wie sich ein so langer Zug fährt. Er sagt vor dem Start zu Blick: «Es ist super aufregend. So etwas kann man nur einmal im Leben machen. Wie ist die Zusammenarbeit mit den Kollegen? Wie fühlt sich die Fahrt an?»

Im Weltrekord-Zug mit 25 Zugkompositionen braucht es in jedem vierten Führerstand einen Lokführer, denn eigentlich können nur vier Einheiten der neuen Capricorn-Triebzüge gekoppelt werden. Für den Weltrekordzug braucht es also sieben Lokführer. Andreas Kramer hat als vorderster Mann den Lead. Die Kollegen in den hinteren Zügen müssen exakt Kramers Kommandos befolgen. Beschleunigen, Bremsen. Die Kompositionen sind zwar physisch miteinander verbunden, müssen aber einzeln gesteuert werden.

Auch die Kommunikation funktioniert nur über vier Kompositionen. «Wir haben darum über die ganze Länge des Zugs ein Kabel für ein Feldtelefon gelegt. Das funktioniert perfekt», sagt Kramer. Für die Notbremsung verbinden zusätzlich zwei Kabel ebenfalls über die ganze Distanz des Zugs die einzelnen Wagen. Jeder einzelne der Lokführer kann dabei eine Zwangsbremsung auslösen.

Nach der erfolgreichen Fahrt freut sich Andreas Kramer riesig. «Es hat alles tipptopp funktioniert. Es macht mich auch stolz, dass ich vorne sitzen darf und bei einem so speziellen Event teilnehmen kann.» Beat Michel

Zuvorderst im Zug sitzt Andreas Kramer (45) – während der Hauptprobe und beim Weltrekordversuch im Oktober. Er ist Inbetriebssetzungs-Lokführer bei der RhB. Seit 2020 nimmt er die neuen Capricorn-Züge der Stadler Rail in Betrieb. Trotz seiner grossen Erfahrung ist er sehr gespannt, wie sich ein so langer Zug fährt. Er sagt vor dem Start zu Blick: «Es ist super aufregend. So etwas kann man nur einmal im Leben machen. Wie ist die Zusammenarbeit mit den Kollegen? Wie fühlt sich die Fahrt an?»

Im Weltrekord-Zug mit 25 Zugkompositionen braucht es in jedem vierten Führerstand einen Lokführer, denn eigentlich können nur vier Einheiten der neuen Capricorn-Triebzüge gekoppelt werden. Für den Weltrekordzug braucht es also sieben Lokführer. Andreas Kramer hat als vorderster Mann den Lead. Die Kollegen in den hinteren Zügen müssen exakt Kramers Kommandos befolgen. Beschleunigen, Bremsen. Die Kompositionen sind zwar physisch miteinander verbunden, müssen aber einzeln gesteuert werden.

Auch die Kommunikation funktioniert nur über vier Kompositionen. «Wir haben darum über die ganze Länge des Zugs ein Kabel für ein Feldtelefon gelegt. Das funktioniert perfekt», sagt Kramer. Für die Notbremsung verbinden zusätzlich zwei Kabel ebenfalls über die ganze Distanz des Zugs die einzelnen Wagen. Jeder einzelne der Lokführer kann dabei eine Zwangsbremsung auslösen.

Nach der erfolgreichen Fahrt freut sich Andreas Kramer riesig. «Es hat alles tipptopp funktioniert. Es macht mich auch stolz, dass ich vorne sitzen darf und bei einem so speziellen Event teilnehmen kann.» Beat Michel

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In dem technisch und organisatorisch aufwendigen Unternehmen sieht er für die RhB auch intern einen grossen Gewinn: «Wir erhoffen uns durch die Aufmerksamkeit mehr Gäste in unseren Zügen. Gleichzeitig wird uns der Weltrekordversuch weiter zusammenschweissen. Nach dem ganzen Pandemie-Frust fiebern wir gemeinsam einer aussergewöhnlichen Leistung entgegen. Den längsten Zug der Welt auf dieser anspruchsvollen Strecke fahren zu lassen, ist für alle eine Pionier-Erfahrung. Nicht nur die Züge werden für den Versuch technisch angepasst. Die 100 Wagen müssen aus dem ganzen Kanton erst mal an die richtige Stelle fahren, und nach dem Versuch wieder rechtzeitig zurück in ihrem Einsatzgebiet sein.»

Hirsche auf den Geleisen

Um 01.30 Uhr geht ein Ruck durch den Zug. «Ups», sagt ein Techniker, der sich voll auf sein Laptop konzentriert. «Das war etwas unsanft.» Danach aber setzt sich der 2336 Tonnen schwere Zug sehr kontrolliert in Fahrt. Er fährt aus dem Tunnel, langsam neigt sich die Strecke bergab. Alle halten den Atem an. Funktionieren die ganzen Umbauten? Machen die Signale auf der Strecke den Versuch mit? Dann wieder ein Ruck. Notbremsung. Vor dem Zug quert ein Rudel Hirsche die Geleise. Die 64 Wagen kommen rechtzeitig zum Stehen. Test bestanden!

Nach einem kurzen Check fährt der Zug weiter bergab in Richtung Bergün. Jetzt wird sich gleich zeigen, ob die Spezialsoftware funktioniert. Es wird elektronisch gebremst, die 16 Capricorn-Triebwagen pumpen bis 50 Millionen Watt in die elektrische Leitung. «Die Software deckelt die Leistung beim Rekuperieren, sonst beschädigen wir die Infrastruktur», erklärt Peter Klima (44), der technische Versuchsleiter und Inbetriebssetzungs-Lokführer.

Doch die Fahrt funktioniert einwandfrei. Mit knapp 30 Km/h fährt der Zug durch die für die Strecke typischen Kehr- und Spiraltunnel. Immer wieder sieht man durch die Fenster den Zug auf einer anderen Ebene gerade einen Tunnel verlassen. Dabei sitzt man doch im gleichen Zug! Es ist verwirrend. Zwei Mal stoppt der Zug unterwegs. Die Besatzung steigt aus und fotografiert. Um 03.30 Uhr kommt die Spitze des Zugs in Thusis an. «Jetzt haben wir alle Test bestanden», verkündet Direktor Renato Fasciati und gratuliert der Crew. «Wir sind bereit für den Weltrekordversuch Ende Oktober.»


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