Prof. Dr. Dominique J.-F. de Quervain, Stressforscher an der Universität Basel

Ex-Taskforce-Mitglied wütend auf den Bundesrat
Wegen Briten-Variante landen mehr Schweizer im Spital

Die Corona-Variante B117 ist mittlerweile für mehr als 90 Prozent der Ansteckungen in der Schweiz verantwortlich. Mit drastischen Folgen für den Teil der Bevölkerung, der noch nicht geimpft ist.
Publiziert: 22.04.2021 um 19:15 Uhr
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Aktualisiert: 22.04.2021 um 19:17 Uhr
Fabian Vogt

In einer Zeit, in der die Schweizer in den Restaurants wieder frisch gezapftes Bier und im Kino Popcorn essen können, hat die britische Mutante B117 die Schweiz endgültig im Griff. Mitte März waren über 90 Prozent der gemeldeten Corona-Fälle auf B117 zurückzuführen, wie Schweizer Labors und Wissenschaftler melden.

Seither sind fünf Wochen vergangen und es ist davon auszugehen, dass mittlerweile nur noch vereinzelt Fälle auftauchen, die nicht der Briten-Variante zugerechnet werden, wie die Prognosen der Wissenschafter zeigen. Das könnte zu kritischen Situationen führen.

Die Variante B117 dürfte gemäss Prognosen mittlerweile fast 100 Prozent der Schweizer Corona-Fälle ausmachen.
Foto: cevo-public.github.io

Bundesrat ignoriert Wissenschaftler

Trotzdem lockert der Bundesrat die Corona-Massnahmen und fördert damit Kontakte in der Bevölkerung. Einer, der das stark kritisiert, ist Dominique de Quervain. Vor einer Woche verliess der Neurowissenschaftler die Taskforce, weil er sich in ein politisches Korsett gedrängt fühlte. Nun sagt er, das Gremium sei vor den Öffnungsentscheiden nicht konsultiert worden. Die Folge seien viele Schwerkranke und Tote.

Rund 90 Prozent aller Corona-Fälle waren Mitte März auf B117 zurückzuführen.
Foto: cevo-public.github.io
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Dominique de Quervain befürchtet, dass besonders die Menschen im mittleren Alter von der dritten Welle überrollt werden. Diejenigen, die nur noch Wochen von der Impfung entfernt seien.

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Höheres Risiko für schwere Krankheitsverläufe

Die Taskforce des Bundes hat ausgerechnet, dass eine 55- bis 64-Jährige positiv getestete Person bis zum 31.Dezember 2020 – als B117 noch weniger verbreitet war – ein Risiko von 4,3 Prozent hatte, wegen Corona im Spital zu landen. Ende März wurde dieses Risiko mit 6,75 Prozent beziffert. Die anderen Altersgruppen über 35 entwicklen sich ähnlich. Über Todesfälle liessen sich keine Aussagen machen, weil die Fallzahlen zu klein sind.

Das zeigt sich auch in den täglichen Corona-Daten des Bundesamts für Gesundheit: Während die Zahlen der geimpften, älteren Bevölkerung auf allen Ebenen zurückgehen, sieht es in den anderen Bevölkerungsgruppen trister aus. Bei den ganz Jungen infizieren sich in den vergangenen Wochen verstärkt Personen, bei den 40- bis 59-Jährigen nehmen die schweren Verläufe, die zu Hospitalisierungen führen, zu.

BAG hat Sorgen, Taskforce warnt

BAG-Vertreter Patrick Mathys sagte diese Woche, dass ihm die Entwicklung Sorgen bereite. Denn es gebe nicht nur eine relative, sondern auch eine absolute Zunahme an Fällen und vermehrt schwere Krankheitsverläufe. «Seit Ende Jahr gibt es eine Verschiebung zur mobilen, jüngeren Bevölkerung. Ein Teil davon könnte auf die britische Variante zurückzuführen sein», sagt der Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit beim Bundesamt für Gesundheit.

Und die Taskforce sagt: «Alle unsere Modellierungen deuten darauf hin, dass die momentane Anzahl von Personen mit Immunität aufgrund von Impfung oder durchgemachter Infektion über die nächsten Wochen noch deutlich zu tief sein wird, um diesen steigenden Trend zu bremsen. Man erwartet zudem, dass jegliche Zunahme von Kontakten oder Mobilität zu einer weiteren Zunahme der Ansteckungen führen würde.»

«Seid nicht selbstgefällig»

Mit Virenjägerin Emma Hodcroft (34) warnt eine andere prominente Expertin von der Schweizer Corona-Strategie. In einem Interview mit der «Republik» sagt sie: «Ich warne davor, selbstgefällig zu werden. Es gibt Länder wie Chile, in denen viele Menschen geimpft und anschliessend die Massnahmen gelockert wurden. Mit der Folge, dass die Fallzahlen stark steigen.»

Zwar seien einzelne Länder nie direkt miteinander vergleichbar und kein Wissenschaftler würde genaue Aussagen zum Verlauf der Epidemie machen, aber die Schweiz sollte nicht glauben, dank den Impfungen Corona im Griff zu haben. «Stattdessen müssen wir genau beobachten, was andernorts geschieht und entsprechend reagieren. Nur zu hoffen, nicht das gleiche Schicksal zu erleiden, ist zu wenig.» Bisher habe die Pandemie jedenfalls deutlich gemacht, dass es keine besonders gute Strategie ist, zu denken, man sei speziell.

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