«Hier verdient man 1'500 Franken weniger als in Zürich»
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Schaffhausen fehlen Polizisten:«Hier verdient man 1'500 Franken weniger als in Zürich»

Dreiste Abwerbungen trotz hoher Ablösesummen
Die Kantone spannen sich gegenseitig Polizisten aus

Der Schweiz gehen die Polizisten aus. Im Kampf um die besten Beamten greifen einige Kantone darum zu verzweifelten Mitteln: Sie jagen anderen Polizeikorps die Leute ab. Das sorgt für giftige Stimmung zwischen den Polizisten.
Publiziert: 28.04.2023 um 00:38 Uhr
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Aktualisiert: 28.04.2023 um 12:31 Uhr
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Sebastian BabicReporter Blick

Die Schweiz leidet unter einem Polizistenmangel. Land auf, Land ab fehlen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deshalb werben sich die verzweifelten Korps gegenseitig die Beamten ab. Mitunter müssen gar Entschädigungen an den vorherigen Arbeitgeber ausgezahlt werden, im Extremfall über 100'000 Franken!

Der Kampf um die besten Polizisten treibt seltsame Blüten. So warb die Stadtpolizei Winterthur Ende des letzten Jahres auf Thurgauer Boden um Verstärkung mit Slogans wie: «Genug vom Job als Dorf-Sheriff?». Eine Kampagne, die somit nicht in erster Linie neue Polizei-Aspiranten sucht, sondern auf bereits ausgebildete Polizisten ländlicher Korps abzielt. Die Werbeaktion führte zu einer wütenden Reaktion der Kantonspolizei Thurgau, die die Kampagne scharf kritisierte.

Aus Gesprächen mit Polizisten und Verantwortlichen aus verschiedenen Kantonen wird deutlich: Besonders die verschiedenen Zürcher Korps gehen bei den Abwerbungen aggressiv vor.

Der Schaffhauser Polizeikommandant Philipp Maier (55) sagt gegenüber Blick: «Ich hatte ein Abschiedsgespräch mit einem Kollegen. Bei uns war er in einer Kaderposition angestellt, bei der Kantonspolizei Zürich wird er Sachbearbeiter sein und monatlich 1000 Franken mehr verdienen».
Foto: Babic Sebastian (bbs)
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Wertloses «Gentlemans Agreement»

Davon können ihre Kollegen aus anderen Kantonen ein Liedchen singen. Der Schaffhauser Polizeikommandant Philipp Maier (55) sagt gegenüber Blick: «Ich hatte eben gerade ein Abschiedsgespräch mit einem Kollegen. Bei uns war er in einer Kaderposition angestellt, bei der Kantonspolizei Zürich wird er Sachbearbeiter sein und dennoch monatlich 1000 Franken mehr verdienen».

Eigentlich gibt es unter den kantonalen Polizeikommandanten ein Gentlemans-Agreement, wonach man darauf verzichtet, ausgebildete Polizisten von anderen Kantonen abzuwerben. «Wenn man aber sieht, wie viele Abwerbungen es gibt, kann man eigentlich nur sagen: Das ist vorbei», sagt Maier.

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Und weiter: «Ich weiss von Telefonanrufen anderer kantonaler Corps bei unseren ländlichen Polizeiposten, bei denen direkte Abwerbeversuche unternommen wurden.» Das Resultat ist für den kleinen Kanton unschön: Jedes Jahr wird gegen ein halbes Dutzend Schaffhauser Polizisten in andere Kantone abgeworben.

Wird ein Beamter abgeworben, muss dem früheren Arbeitgeber unter Umständen eine Kompensation für die Ausbildung bezahlt werden. Nur: Diese Strafzahlungen bringen nicht viel. Im ersten Jahr beträgt die Kompensation im Kanton Schaffhausen rund 40’000 Franken. «Wenn man bedenkt, dass alleine die zweijährige Grundausbildung eine Viertelmillion Franken pro Kopf kostet, ist das natürlich ein Schnäppchen», sagt Kommandant Maier.

Ein Systemfehler mit Folgen

Der oberste Polizeigewerkschafter des Kantons Schaffhausen, Patrick Portmann (34) wird deutlich: «Wenn Leute, die teure Kaderausbildungen gemacht haben, zu anderen Kantonen abwandern, ist das für den Kanton Schaffhausen ökonomischer Irrsinn.» Portmann spricht von einem Systemfehler: «Die Polizisten werden mit öffentlichen Geldern ausgebildet und mit öffentlichen Geldern abgeworben. Manchmal erinnert das an den Fussball-Transfermarkt, nur mit kleineren Beträgen.»

Besonders für die Zürcher Flughafenpolizei sollen viele Beamte aus Schaffhausen abgeworben worden sein, sagt eine Quelle, die mit dem Thema vertraut ist.

Der Unterschied zu den Schaffhauser Löhnen, betrage in Vergleich zur Stadtpolizei Zürich beispielsweise bis zu 1500 Franken im Monat: «Ich sage nicht, wir bräuchten Zürcher Löhne. Aber mit der Ostschweizer Konkurrenz sollten wir mithalten können.» Im interkantonalen Lohnvergleich lande der Kanton Schaffhausen zusammen mit Uri, Schwyz, Jura und dem Tessin regelmässig auf den hintersten Plätzen, erklärt Portmann.

Anderer Kanton, gleiche Probleme

Selbst im urbanen Kanton Basel-Stadt hat man mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Um sich vor Abwerbungen zu schützen, ist fast jedes Mittel recht. Stephanie Eymann (43), Vorsteherin des kantonalen Polizei- und Sicherheitsdepartements sagt: «Uns sind mehrere Abwerbungen bekannt. Im ersten Jahr nach der Ausbildung müsste bei Abwerbungen innerhalb unseres interregionalen Ausbildungsverbundes rund 110’000 Franken Ausbildungsentschädigung gezahlt werden. Bei Abgängen in andere Korps gibt es nach der Ausbildung eine Rückerstattungspflicht, die bis zu 100'000 Franken betragen kann.»

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Aktuell versuche man in Basel die Entwicklung über eine Zulage für die Polizeibeamten abzufedern: «Der Konkurrenzkampf ist da und die Basler Löhne können mit anderen Korps teilweise nicht mithalten. Deshalb wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aktuell eine Arbeitsmarktzulage zahlen. Diese ist aber zeitlich beschränkt.»

Auch in Schaffhausen wäre eine solche Zulage grundsätzlich denkbar, wie Kommandant Philipp Maier sagt: «Eine Arbeitsmarktzulage hilft sicherlich kurzfristig, ist letztendlich aber Pflästerlipolitik. Wir müssen das Grundproblem in den Griff kriegen.»

Auf Blick-Anfrage schiebt die Zürcher Sicherheitsdirektion, die die Oberaufsicht über kantonale Sicherheitsfragen hat, die Verantwortung auf die einzelnen Korps ab. Diese agierten «unabhängig». Die Kantonspolizei widerspricht den Aussagen ihrer ausserkantonalen Kollegen: «Die Kantonspolizei Zürich wirbt weder aktiv Polizistinnen und Polizisten anderer Polizeikorps ab, noch leistet sie finanzielle Abgeltungen oder Entschädigungen bei einem allfälligen Übertritt». Bei der Polizei würde man sagen: Es herrscht Aussage gegen Aussage.

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