Der neue Roman von Thomas Hürlimann
Zwischen «Der Name der Rose» und Harry Potter

In seinem neuen Roman «Der Rote Diamant» beschreibt der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann (71) das Internat im Kloster Einsiedeln der 1960er-Jahre – eine harte Schule, die ihn weich werden lässt.
Publiziert: 10.08.2022 um 10:19 Uhr
Daniel Arnet

Ab heute glänzt ein Edelstein in den Buchhandlungen: «Der Rote Diamant» heisst der dort zum Verkauf aufliegende neue Roman des grossen Schweizer Schriftstellers Thomas Hürlimann (71) – eine Mischung aus Klosterkrimi («Der Name der Rose» steht Pate), Internatsgeschichte («Harry Potter» zeichnet sich in Figuren ab) und Entwicklungsroman («Die Verwirrungen des Zöglings Törless»).

«Das Kloster, in dessen Internat ich morgen Nachmittag als Zögling eintreten würde, lag in den Bergen», heisst es auf der ersten Seite in «Der Rote Diamant». Wer da aus dem Jahre 1963 zu uns spricht, ist der elfjährige Arthur Goldau – auf den Namen seiner Hauptfigur kam Hürlimann nach eigenen Worten, als der in Walchwil ZG wohnhafte Autor in Arth-Goldau SZ ein Einkaufscenter aufsuchte.

Edelstein aus Habsburger Krone soll in Einsiedeln versteckt sein

So zufällig der Figurenname scheint, so bewusst ist die Themenwahl, denn Hürlimann war selber in der hier beschriebenen Klosterschule Einsiedeln SZ. Mit «Der Rote Diamant» veröffentlicht er quasi eine Fortsetzung seiner Erfolgsnovelle «Fräulein Stark» (2001): Erzählte er damals von einem Jungen, der den Sommer vor der Klosterschule beim Onkel in der Stiftsbibliothek St. Gallen verbringt, so fährt ihn nun die Mutter ins Internat.

Auf «Fräulein Stark» folgt «Büblein Schwach»: «Den Kopf zwischen die Schultern duckend, drehte ich den Blick vorsichtig nach oben und bemerkte, dass sich vor mir ein Riese aufgebaut hatte.» Vor Arthur Goldau steht Bruder Frieder, der Vorstand des Klosterinternats. Diesen Lord Voldemort gilt es auf der Jagd nach dem Roten Diamanten zu überwinden – der Edelstein aus der Krone der Habsburger Krone soll seit 1918 in Einsiedeln versteckt sein.

Der gealterte Arthur Goldau findet verlassenes Kloster vor

Geschliffen, glänzend und scharfkantig ist die Sprache, mit der uns Hürlimann den harten Klosterschulalltag um 1968 schildert. Rot war nicht nur der Diamant, nach dem die Zöglinge suchten, sondern auch die Fahne, die sie aus Sympathie für die kommunistische Seite des Vietnamkriegs im Geiste schwangen – hinter dem Klostergemäuer erklang zwischen den Glockenschlägen Bob Dylans «The Times They Are A-Changin».

Bei allem Unmut klingt auch Wehmut mit: Im vierten Teil kehrt der gealterte Arthur Goldau nach Einsiedeln zurück. Das Kloster ist verlassen – kein Internat mehr, keine Wallfahrten, die wenigen alten Mönche sind im Krankenasyl. Der Gebäudekomplex kann höchstens noch als psychiatrische Klinik oder interkantonale Strafanstalt dienen. «So traurig das war, es war der Lauf der Dinge.»

Der ehemalige Klosterschüler Hürlimann hat seine frühere Kirche verloren.

Thomas Hürlimann, «Der Rote Diamant», S. Fischer, ab 10. August im Buchhandel

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