Datenleck bei Zürcher Justizdirektion
Druck auf Jacqueline Fehr steigt

Sensible Daten der Zürcher Justizdirektion landeten im Milieu. Chefin Jacqueline Fehr schweigt sich zu den Vorwürfen aus.
Publiziert: 04.12.2022 um 00:39 Uhr
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Aktualisiert: 04.12.2022 um 10:16 Uhr
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Camilla AlaborRedaktorin

Am frühen Morgen des 23. Februar 2021 betritt André Gisler (57) den Amtssitz der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl. Er muss Auskunft geben zu einem Strafverfahren wegen Gewalt sowie Drohung gegen Behörden und Beamte. Der Beschuldigte ist sein Bruder Roland Gisler (58). Der soll versucht haben, die Zürcher Justiz mit vertraulichen Daten zu erpressen.

Bei den elektronischen Dokumenten handelt es sich um hochsensibles Material – psychiatrische Gutachten von Angeklagten, Privatadressen von Staatsangestellten, Handynummern von Kantonspolizisten. Abgespeichert auf Computern, Druckern und Servern der Zürcher Justizdirektion.

Gisler entsorgte Computer für Justizdirektion

Der Beschuldigte Roland Gisler hatte die Daten von seinem Bruder André erhalten – wie viele andere auch, womöglich auf der ganzen Welt. Vom Jahr 2000 bis 2012 entsorgte André Gisler Computer und Server für die Zürcher Justizdirektion. Gisler holte die Geräte ab und sollte sämtliche Daten löschen – dafür durfte er die Rechner danach verkaufen.

Laptops mit sensiblen Daten: Die Zürcher Justizdirektion wird von einem Daten-Skandal durchgeschüttelt.
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«Es waren ca. 6000 Datenträger und noch einmal so viele Drucker», erklärt Gisler gemäss Einvernahme-Protokoll dem Staatsanwalt, «ganze Server, Laptops, PCs und Datensticks.» Die habe er anschliessend verkauft. Der Staatsanwalt will wissen, ob Gisler die Daten auf den Geräten vor dem Verkauf gelöscht habe. «Meistens nicht», gibt Gisler zu Protokoll.

Gisler arbeitete bis 2014 für die Justizdirektion. Umfang und Inhalt der vertraulichen Dokumente, die auf den ausgemusterten Geräten in alle Welt verschickt wurden, sind bis heute nicht bekannt. SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr (59) gab 2020 eine Administrativuntersuchung in Auftrag. Doch die Ergebnisse behält sie für sich – auch, nachdem Blick-Recherchen den Skandal am Donnerstag publik machten.

Fehr steht nicht für Interview zur Verfügung

Als Blick die Justizdirektorin zum ersten Mal mit dem Datenleck konfrontiert, behauptet ihr Sprecher, der Fall sei «längst bekannt» – was nicht stimmt. Später sagt er, das Leck habe es nur bis 2008 gegeben. Doch Blick und SonntagsBlick liegen geleakte Dokumente aus dem Jahr 2012 vor.

Für ein Interview mit SonntagsBlick stand Fehr nicht zur Verfügung.

Ein ähnliches Verhalten legte sie gegenüber der Geschäftsprüfungskommission (GPK) an den Tag. Laut Präsident und FDP-Kantonsrat Beat Habegger (47) informierte die Justizdirektorin die Kommission Anfang 2021 über den Verdacht auf Datenmissbrauch. «Doch das Ausmass und die Schwere des Vorfalls waren kein Thema», sagt Habegger.

Hinweis auf laufende Untersuchung

Auch das Ergebnis der Administrativuntersuchung bekamen die GPK-Mitglieder nie zu Gesicht.

Regierungsrätin Fehr blockte bislang vor allem ab. Am Freitagabend veröffentlichte ihr Amt ein dürres Communiqué, gemäss dem nicht abschliessend klar sei, welche Datenmenge und welche Art von Daten allenfalls in Umlauf gekommen seien. Mit dem Hinweis, diese Fragen seien Gegenstand einer laufenden Strafuntersuchung, lehnt die Direktion weitere Auskünfte ab.

Diese Strategie stösst mancherorts auf Unverständnis. Martin Steiger, Experte für Datenschutzrecht, fragt im Gespräch mit SonntagsBlick rhetorisch: «Was hat die Justizdirektorin zu verbergen?»

Strafverfahren wegen Gewalt und Drohung

SVP-Kantonsrat und Milieu-Anwalt Valentin Landmann (72) stellt die Behauptung der Justizdirektion infrage, man dürfe im Rahmen eines laufenden Verfahrens keine Auskunft geben. Landmann ist Gislers Anwalt – und hat den Fall mit einem Vorstoss zum Thema Datenklau erst ins Rollen gebracht.

Das Strafverfahren gegen seinen Mandanten Gisler laute auf Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte. «Dieses Verfahren hindert das Amt in keiner Art und Weise daran, zu den Festplatten Auskunft zu geben», sagt Landmann. Ob sich die Justizdirektion auf das oben genannte Strafverfahren bezieht, oder ob die Staatsanwaltschaft ein weiteres eröffnet hat, lässt sich dem Communiqué nicht entnehmen. Offen bleibt auch, welche Verantwortung der SP-Politiker Markus Notter (62), Justizdirektor von 1997 bis 2011, für das Datenleck trägt. Gegenüber SonntagsBlick erklärte Notter, er habe «keine Kenntnisse von diesem Sachverhalt».

Sicher ist: Politisch wird das Thema weiterhin zu reden geben. So verlangt die Zürcher SVP eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) – das schärfste Kontrollorgan der Politik. «Wir fordern eine PUK, um den Datenskandal lückenlos aufzuklären», sagt Präsident Domenik Ledergerber auf Anfrage. Die SVP will wissen, warum die Justizkommission nicht informiert habe, wer alles vom Datenskandal betroffen sei und ob heikle Daten mittlerweile fachgerecht entsorgt werden.

Der Druck auf Fehr steigt. Gestern Abend kündigte sie an, zu Beginn der kommenden Woche informieren zu wollen. Offenbar ist nun auch der Justizdirektorin klar: Schweigen ist keine Option mehr.

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