«Die handyfreie Zeit war die Schönste»
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BLICK bei Familie Stauffer:«Die handyfreie Zeit war die Schönste»

BLICK bei Familie Stauffer aus Aarau
«Nur 1 Stunde Handy-Zeit? Voll unfair!»

Es ist eine der grössten Herausforderungen überhaupt: Kinder erziehen. BLICK war in Aarau bei Monique Stauffer, Ramon Sager und ihrer Tochter Liya. Die drei erzählten, worum sie im Alltag ringen.
Publiziert: 16.11.2020 um 01:07 Uhr
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Aktualisiert: 17.11.2020 um 23:13 Uhr
Aline Wüst

7.05 Uhr. «Liya, du musst jetzt wirklich aufstehen.» Liya (11) murmelt Unverständliches unter ihrer Bettdecke. Mami Monique Stauffer (40) macht die Lichterkette über dem Bett ihrer Tochter an. «Ablöschen!», ruft Liya. «Du musst aufstehen», sagt die Mutter.

Monique Stauffer geht zurück in die Küche. Draussen dämmert es, drinnen brennen Teelichter, der Tisch ist gedeckt. Im Familienkalender hat jemand mit Bleistift zum 26. November geschrieben: «Baby?!?»

7.13 Uhr. Monique Stauffer geht zurück ins Kinderzimmer. «Liya, stehst du endlich auf?» Eine andere Tür geht auf. Ramon Sager (37) schlurft verschlafen ins Badezimmer.

Monique Stauffer, Liya und Ramon Sager leben in Aarau.
Foto: Thomas Meier
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Fünf Minuten später sitzen alle am Tisch: Liya, Hausarzt Ramon Sager und seine Lebenspartnerin Monique Stauffer, die freischaffende Fotografin ist. In ihrem Bauch: «s Bébé», wie die drei das Kleine nennen. Und da ist Liya, die Fünftklässlerin. Ramon hat heute seine Facharztprüfung, Liya einen Englischtest und Monique noch einiges an Büroarbeit zu erledigen, bevor «s Bébé» kommt. Doch nun müssen all die Herausforderungen einen Moment warten. Liya isst Mandarinen und will Kaffee. Ihre Mutter sagt, dass sie keinen bekommt. Liya gibt nicht auf. Ramon gibt ihr einen Schluck von seinem und erzählt, was er geträumt hat. Liya ist amüsiert und fragt nach. Ein friedlicher Moment frühmorgens.

Türklingel. Ella, ein Schul-Gspänli von Liya. «Tschüss!» Und weg ist die Fünftklässlerin. Auch Ramon bricht auf.

«Regeln» steht auf einem Blatt Papier auf der Pinnwand in der Küche. Und schon die Schrift zeigt, dass Liya nicht begeistert war, als sie diese Regeln aufschreiben musste. «Natel 20.15 Uhr abgeben. Eine Stunde nutzen max. Pyjama 21.30 Uhr. 22.00 Uhr fertig Liya in Zimmer.»

Es klingelt. Monique Stauffer drückt den Türöffner. «Was hast du vergessen?» – «Englisch!», sagt Liya, rennt ins Zimmer. «Tschüss!»

Die Konfliktpunkte der Familie sind momentan: aufstehen, Nachtruhe, Handynutzung, aufräumen und frech sein. Monique Stauffer lacht, als sie erzählt, wie ihre Tochter kürzlich, als es um diese Themen ging, sagte: «Chillt mal!»

«Will konsequenter sein»

Pünktliches Aufstehen sei schon lange ein Thema, sagt Monique Stauffer. Zuerst hatte Liya einen Wecker. Den schaltete sie aber einfach ab. Sie überlegten, was helfen könnte. Aktueller Versuch: Liya wird von einem alten Handy im Flugmodus mit einem Lied geweckt, das Natel kann gesnoozed werden – klappt nur mässig. Dauerbrenner ist die Handynutzung. Als sie und Ramon nach den Sommerferien merkten, dass der Konsum ausartete und Liya schnell reizbar war, nahmen sie es ihr für zwei Wochen weg. «Das waren die schönsten Wochen seit langem», sagt Monique Stauffer. Liya war ausgeglichener, wir hatten so viel mehr Zeit, die wir gemeinsam verbringen konnten. Nun beschränken sie Liyas Bildschirmzeit mit einer App auf eine Stunde pro Tag. Monique Stauffer sagt, sie wolle bei ihrem zweiten Kind konsequenter sein in der Erziehung. «Bin ich inkonsequent, tanzt mir mein Kind auf der Nase rum.» Sie erinnert sich an ein Weihnachtsfest mit ihrer Familie. Liya war noch klein und den ganzen Abend frech. «Wäre ich konsequent gewesen, hätte ich irgendwann gesagt: So, jetzt gehen wir nach Hause.» Aber als Alleinerziehende habe sie schlicht nicht die Kraft gehabt, das durchzuziehen. Zugleich findet sie es wichtig, ihre eigenen Regeln zu hinterfragen. Eine war: Nach dem Znacht wird nicht mehr gegessen. Doch ein Kind, das wächst, hat einfach grossen Hunger. Die Regel gibt es nicht mehr. Grundsätzlich helfe ihr in der Erziehung neben dem Austausch mit anderen Eltern und den von der Schule angebotenen Input-Veranstaltungen auch schlicht das Wissen, dass alles Phasen sind. «Phasen gehen vorbei!»

Es ist Mittag. Der Englischtest lief gut. Liya und ihre Mutter sprechen übers Mithelfen zu Hause. Liya findet, dass sie von allen ihren Gspänli am meisten tun müsse. Monique Stauffer zählt Kinder auf, die auch helfen müssen. Liya: «Mami, du musst nicht immer diese Kinder als Beispiel nehmen.» Und weiter: «Wenn du so weitermachst, geh ich ins Zimmer und schletze die Türe, dass dir die Ohren wackeln.» Die beiden beginnen zu essen und mit steigendem Blutzuckerspiegel wird die Stimmung entspannter. Sie freue sich auf «s Bébé», sagt Liya. Vor allem, weil dann ihre Mutter keinen Bauch mehr hat und sie ihr abends nicht mehr helfen muss, die Stützstrümpfe auszuziehen. Sie grinst. Ihre Mutter auch. Aufgaben und Regeln mag Liya nicht. Ausser in der Schule. In der Schule liebe sie es, wenn Lehrer streng seien, sagt sie. «Es fällt mir dann viel leichter, mich zu konzentrieren und brav zu sein.» Spaghetti und Salat sind gegessen.

«Regeln sind voll unfair»

Liya sitzt malend auf dem Bett und erklärt, was sie von der Handyregel hält: «Ich kann gar nichts dagegen tun. Sie haben jetzt eine App. Voll unfair!» Wenn sie selber die Regeln machen könnte, gäbe es keine Regel. Überhaupt sei es unfair, weil Ramon das iPad so lange nutzen dürfe, wie er wolle. «Dem müssten wir auch mal so eine App installieren», sagt Liya. Auch aufräumen ist doof. Aber sie habe da ohnehin einen Trick: «Ich schiebe einfach alles unters Bett oder stopfe es in den Kasten.» Monique Stauffer ruft. Liya muss zur Schule. «Hast du die Zähne geputzt?» – «Jaaaaa!» Und weg ist sie.

Am späteren Nachmittag sind alle wieder zu Hause. Ramon hat die Facharztprüfung hinter sich. Er und Liya sitzen zusammen auf dem Sofa und machen Aufgaben. Liya sagt: «Lach nicht so blöd!» Er kitzelt sie. Dann vertiefen sich beide wieder in Liyas Arbeitsblatt. Ramon sagt, er sei nicht der leibliche Vater von Liya, deshalb müsse er sich das Vertrauen für die Erziehungsberechtigung verdienen. Liya fragt: «Ramon, was sind Satzglieder?» Er erklärt es ihr und fährt dann fort: «Mein Anspruch ist es, Liya und unserem zweiten Kind die Fähigkeiten zu geben, respektvoll und tolerant mit ihren Mitmenschen und der Natur umzugehen.» Kinder dürfen mitreden, müssen sich aber an Regeln halten. Die Familiensitzungen, die sie regelmässig abhalten, helfen dabei. «Kinder verstehen diesen offiziellen Charakter sofort.»

Es wird dunkel draussen, und damit kommt ein täglicher Knackpunkt näher: die Nachtruhe. Ramon sagt, er selber sei um 22 Uhr müde. «Unser Kind aber ist gern sehr, sehr lange wach.» Monique Stauffer hält sich daran: Alles ist eine Phase, und am Ende kommt es gut. Liya würde es wohl mit ihrem neuen Lieblingswort kommentieren: «Safe, Mami!»

So erziehen wir unsere Kinder

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