Bis zu 700 Franken Rabatt für ÖV-Abtrünnige
Wer sein GA verlängert, ist der Dumme

Die SBB und andere Bahn-Betriebe wollen Stammkunden mit aller Kraft zurückholen. Bei treuen Abonnenten sorgt das für Unmut.
Publiziert: 22.01.2023 um 00:31 Uhr
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Aktualisiert: 22.01.2023 um 09:02 Uhr
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Die Pandemie und der Siegeszug des Homeoffice haben den öffentlichen Verkehr in der Schweiz um Zehntausende von Stammgästen gebracht. Von Ende 2019 bis Sommer 2021 ging die Zahl der Generalabos (GA) von 500'000 auf 395'000 zurück.

Zu den Abtrünnigen gehört seit wenigen Monaten Tabea W.* (34) aus Winterthur ZH. Im August hat sie den Luxus eines Zweite-Klasse-GA aufgegeben, das pro Jahr 3860 Franken kostet. Erstens, weil sie auch mit dem Velo zur Arbeit kommt. Zweitens, weil sie sich Anfang Jahr ein Auto gekauft hat. Tabea W. begnügt sich nun mit dem Halbtax.

Die SBB geben sich damit aber nicht zufrieden. Ende Jahr schrieben sie der Ex-GA-Besitzerin einen Brief, in dem sie die Vorzüge des Generalabos anpreisen: «Mit dem GA haben Sie freie Fahrt in den meisten Öffentlichen Verkehrsmitteln der Schweiz», heisst es da. Und weiter: «Es ist nie zu spät, sich diese Freiheit zurückzuholen.»

Die SBB haben in den vergangenen Wochen ehemaligen GA-Besitzern einen Brief geschrieben, in dem sie die Vorzüge des Generalabos anpriesen.
Foto: ZVG
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Grosszügiges Angebot

Weil Worte allein wohl kaum jemanden zum Umsteigen bewegen, machte der Leiter des SBB Contact Center gleich ein grosszügiges Angebot: «Beim Kauf eines GA 2. Klasse erhalten Sie jetzt für kurze Zeit einen Rabatt von 400 Franken.» Beim Kauf eines GA 1. Klasse offerierte er gar einen Preisnachlass von 700 Franken.

27'000 Ex-GA-Besitzer können von dieser Winback-Aktion profitieren. Für sie sind die Angebote verlockend. Bei Bahnkunden aber, die ihr GA behalten haben, sorgt die Kampagne für Unmut. «Gerade beim Service public und bei fehlenden Konkurrenzanbietern sollten alle in den Genuss von Vergünstigungen kommen und nicht nur eine Auswahl», sagt Bastian Bommer, Vorstandsmitglied von Pro Bahn Schweiz. Wenn mit Rabatten versucht werde, Kunden zurückzugewinnen, verärgere das die treuen GA-Kunden.

Die SBB wollen die Aktion nicht kommentieren und verweisen darauf, dass die Massnahme von allen ÖV-Unternehmen und Verbünden beschlossen worden sei. Für die Kampagne sei die Branchenorganisation Alliance SwissPass zuständig.

Alliance SwissPass verweist auf Mitfahrtageskarten

Deren Medienstelle will nicht auf die Frage eingehen, ob sich treue GA-Kunden durch die Aktion für dumm verkauft vorkommen könnten. Stattdessen betont Sprecher Reto Hügli, es gehe um eine Akquisitionsmassnahme für das GA, der Rabatt für die Kundschaft sei einmalig – und im Folgejahr müsse der reguläre GA-Preis gezahlt werden. An die Adresse der treuen Kundschaft gewandt meint Hügli: «Bestehende GA-Besitzerinnen und -Besitzer erhalten als Wertschätzung die beliebten Mitfahrtageskarten.» Dass eine Mitfahrtageskarte nicht annähernd 700 Franken wert ist, dürfte der ÖV-Branche dabei klar sein.

Doch nicht nur wegen kritischer Stimmen könnten die grosszügigen Rabatte für ÖV-Abtrünnige schon bald Geschichte sein. Auch die Zahlen sprechen dafür: Im Dezember 2021 waren immerhin wieder 431'000 Generalabos in Umlauf, Tendenz steigend. Gut möglich also, dass SBB und Co. bald nicht mehr um Rückkehrer betteln müssen.

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