Leben in der Schweiz wird immer teurer
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Steigende Preise:Leben in der Schweiz wird immer teurer

Schweizern droht Einkommensverlust
Preise steigen stärker als Löhne

Die Arbeitgeber wollen Gehälter erhöhen – aber zu spät. Und nicht entschieden genug, um die steigenden Lebenskosten ihrer Beschäftigten auszugleichen.
Publiziert: 01.05.2022 um 01:15 Uhr
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Aktualisiert: 01.05.2022 um 08:55 Uhr
Thomas Schlittler

Der 1. Mai ist der Tag der Arbeit. Lohnabhängige aber haben derzeit wenig Grund zur Freude: Die Teuerung frisst ihre Einkommen weg. Laut Landesindex der Konsumentenpreise war das Leben in der Schweiz im März 2022 um 2,4 Prozent teurer als im Jahr zuvor: die höchste Inflationsrate seit 2008 – und sie dürfte noch steigen.

Nur Lohnerhöhungen im gleichen Ausmass können diesen Kaufkraftverlust ausgleichen. Eine aktuelle Umfrage der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) zeigt jedoch, dass dies ein frommer Wunsch bleiben wird. Gemäss der Untersuchung, die SonntagsBlick exklusiv vorliegt, planen die Schweizer Firmen in den kommenden zwölf Monaten durchschnittliche Lohnerhöhungen von lediglich 1,6 Prozent.

Hinzu kommt das Problem, dass die Betriebe die Löhne in der Regel nur einmal im Jahr anpassen, oft zu Jahresbeginn. «Das dürfte dazu führen, dass die Nominallöhne 2022 kaum auf den Ukraine-Krieg und die dadurch ausgelösten Preissteigerungen reagieren werden», sagt KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm (52). Die Schweizer müssen also den Gürtel enger schnallen.

Reinigung: In der Gebäudebetreuung, wozu auch die Reinigung gehört, erwarten die von der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich befragten Firmen 1,5 Prozent mehr Lohn.
Foto: Shutterstock
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Wie hoch der Einkommensverlust am Ende ausfällt, hängt davon ab, wie sich die Teuerung in den kommenden Monaten entwickelt – und in welchem Wirtschaftszweig man tätig ist.

Druckgewerbe am untersten Ende

Das höchste Lohnwachstum erwarten gemäss Studie die Befragten aus den Branchen Finanzdienstleistung, IT, Beherbergung, Lagerei, Motorfahrzeuge, Holzindustrie, Maschinenbau sowie Hersteller von Datenverarbeitungsgeräten, zu denen die Uhrenindustrie zählt. Hier liegt der Median bei einem Lohnwachstum von zwei Prozent.

Am untersten Ende der Lohnsteigerung liegt dagegen das Druckgewerbe mit einem erwarteten Zuwachs von nur 0,5 Prozent. In der Immobilienbranche sowie im Bereich der sonstigen Warenherstellung, zu dem die Produktion von Schmuck, Musikinstrumenten, Sportgeräten, Spielwaren und medizinischen Apparaten zählt, geht sogar eine Mehrheit davon aus, dass die Löhne gar nicht steigen werden.

Daniel Lampart (53), Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, hält die in Aussicht gestellten Lohnzuwächse in allen Branchen für zu gering: «Es braucht jetzt unbedingt generelle Lohnerhöhungen – und zwar in einem Umfang, der den Kaufkraftverlust der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zumindest kompensiert.»

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Stellenabbau und Automatisierung drohen

Der Schweizerische Arbeitgeberverband will von dieser Forderung nichts wissen: «Die Arbeitgeber richten sich bei der Festlegung von Lohnerhöhungen nicht in erster Linie an der Teuerung aus, sondern am finanziellen Spielraum in den Unternehmen», sagt Chefökonom Simon Wey (46). Dieser Spielraum sei in den vergangenen Wochen und Monaten eher kleiner geworden, da auch die Firmen mit höheren Preisen konfrontiert seien, insbesondere in Bezug auf Energie und Rohstoffe.

Hinzu komme, dass die Betriebe diese Kostensteigerungen auch nicht umstandslos an die Konsumenten weitergeben könnten. «Gerade Firmen in kompetitiven Märkten haben wenig Preissetzungsspielraum. Die zusätzlichen Kosten schränken deren Handlungsspielraum für Lohnerhöhungen deshalb ein», so Wey weiter. Fielen bei diesen Firmen zusätzliche Ausgaben in Form höherer Löhne an, müssten diese unter Umständen anderweitig kompensiert werden.

Wey: «Im äussersten Fall könnte es dann sein, dass sie über einen Stellenabbau und zusätzliche Automatisierungen nachdenken müssten.»

Gewerkschafter Lampart schüttelt über diese Argumentation nur den Kopf. Die Schweizer Wirtschaft habe den Corona-Schock erstaunlich gut überstanden, die meisten Firmen seien bestens aufgestellt: «Der Krieg in der Ukraine und die stark steigenden Rohstoffpreise sorgen zwar für eine gewisse Verunsicherung. Die Auftragslage ist in den meisten Branchen aber hervorragend. Es wäre deshalb genug Spielraum vorhanden für Lohnanpassungen, die der aktuellen Situation gerecht werden.»

«Kein Nachholbedarf bei den Reallöhnen»

Ein Indiz dafür, dass die meisten Schweizer Unternehmen tatsächlich gute Jahre hinter sich haben, ist die Entwicklung der Gewinnsteuer-Einnahmen von Bund und Kantonen. Im Jahr 2010 beliefen sie sich noch auf 13,5 Milliarden Franken, im Corona-Jahr 2020 waren es 18,2 Milliarden – eine Zunahme um satte 35 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten in der Schweiz, die diese Gewinne erarbeitet haben, stieg dabei im gleichen Zeitraum nur um 10 Prozent, von 3,6 auf 4 Millionen Vollzeit-Äquivalente.

Den Arbeitgeberverband vermögen diese Zahlen nicht zu überzeugen. «Höhere Gewinnsteuer-Einnahmen lassen nicht zwangsläufig darauf schliessen, dass auch das einzelne Unternehmen mehr Gewinn machte, da im selben Zeitraum auch die Zahl an Unternehmen zugenommen hat», so Chefökonom Wey. Zudem seien die Reallöhne und die Produktivität in den vergangenen Jahren ziemlich gleichmässig angestiegen. Wey: «Entgegen den Behauptungen der Gewerkschaften gibt es deshalb keinen Nachholbedarf bei den Reallöhnen.»

Eines bestreitet aber auch der Arbeitgeberverband nicht: 2022 werden die Schweizer reale Lohneinbussen hinnehmen müssen. Arbeitgeber-Ökonom Wey findet das aber verkraftbar: «Schliesslich hatten wir im vergangenen Jahrzehnt auch viele Jahre mit einer negativen Teuerung – und da wurden die Löhne ja auch nicht gesenkt, ganz im Gegenteil.»

Diese Aussagen machen deutlich: Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Schweizer Arbeitgeber in den kommenden Monaten zu grösseren Zugeständnissen bereit sein werden.

Für das kommende Jahr indes macht KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm den Arbeitnehmern Hoffnung: «2023 sollten die Löhne auch inflationsbereinigt wieder um rund ein Prozent steigen.»

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