Der Mann in der Krise
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Ausstellung im Landesmuseum
Der Mann in der Krise

Der Mann von heute ist ein Problemfall: Er weiss nicht mehr, ob er ein Macho oder Softie sein soll. Oder beides. Eine Ausstellung im Landesmuseum zeigt: Der Mann war immer schon in der Krise.
Publiziert: 15.10.2020 um 11:14 Uhr
Vorne ein antikes Drama, hinten der ehemalige Fussballer Zinédine Zidane. Zwei gescheiterte Helden in der Ausstellung «Der gescheiterte Mann».
Foto: Nathalie Taiana
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Rebecca Wyss

Früher nannten sie Frauen Ladys, waren Helden in Kriegs- und Cowboyfilmen, ihr Gang breitbeinig, der Rücken durchgestreckt: Männer. Doch heute hat es dieser Held der Nachkriegszeit schwer. Die Männlichkeit steckt in der Krise. Eine Ausstellung im Landesmuseum zeigt: Die Krise dauert schon lange an.

In «Der erschöpfte Mann» geht es für einmal nicht um eine plumpe Erfolgsgeschichte mit mächtigen Kerlen. Die Kuratoren Stefan Zweifel (52) und Juri Steiner (51) inszenieren eine Zeitreise mit Männlichkeitsidealen aus mehreren Jahrtausenden, an denen die Männer selbst immer wieder zerbrochen sind. Die Krise des Mannes ist schon seit der Antike «courant normal». Und das zeigt sich in über 200 Objekten.

Schlangenangriff wegen verbotenem Sex

Den Auftakt macht eine monumentale Gipsskulptur. Ein 2000 Jahre altes Drama auf einem Sockel: der griechische Priester Laokoon im Todeskampf mit Schlangen, weil er an einem verbotenen Ort Sex mit einer Frau hatte. Er keucht im Kampf um Leben und Tod. Etwa so wie der Kerl, den ein Beamer auf die Leinwand hinter der Skulptur projiziert: Zinédine Zidane (48). Mit 17 Kameras gedreht, zeigt ihn der Film in den schwersten Stunden seines letzten Spiels. Der Franzose streckte 2006 seinen italienischen Gegenspieler Marco Materazzi (47) mit einem Kopfstoss in die Brust nieder – weil dieser ihn beleidigt hatte. Zidane bekam einen Platzverweis. «Und so endete eine der grössten Fussballer-Karrieren mit einer Demütigung», sagt Steiner. Beide seien sie Helden, die in einem schwachen Moment an ihrer Überheblichkeit scheiterten.

Erst rasiert, dann bärtig

Am selbst eingebrockten Männer-Drama hat sich bis heute wenig geändert. An ihrem optischen Ideal hingegen schon. In der Antike mussten die Körper muskulös, die Gesichter rasiert sein. Im frühen Christentum war das zu sexy. Christliche Asketen setzten sich auf Pfähle in der Wüste und verdorrten in der Sonne. Sie liessen sich Bärte wachsen, zogen durch die Gassen und peitschten auf ihre ausgemergelten Körper ein – um ein Beispiel dafür zu geben, wie unwichtig das irdische Dasein ist im Vergleich zum Himmelreich Gottes. Im Landesmuseum liegt der Prototyp: eine Figur von Jesus Christus, in Plastikfolie verpackt, sein Körper zerfallen. Zweifel sagt: «Wir haben die Figur absichtlich nicht ausgepackt, weil es seine Erbärmlichkeit unterstreicht.»

Schamkapsel zeigt: Hier kommt ein Mann

Später kompensiert der Mann seine Zerbrechlichkeit mit einer Ritterrüstung. Bei Turnieren versucht er, seiner Angebeteten zu imponieren. Und trägt seinen Penis in der wuchtigen Schamkapsel aus Blech zur Schau.

Letztlich ist der Mann als Kriegsmaschine aber doch nur eine Illusion. Das erfahren allen voran die Kämpfer des Ersten Weltkriegs. Sie sind den neuen Waffen schutzlos ausgeliefert. Auch der Baumwollanzug richtete auf den Schlachtfeldern nichts aus – ein Blick auf den fleckigen Lumpen in der Ausstellung, und man hat Gänsehaut.

Und so wendet sich der Mann sich selbst zu. Arbeitet sich an seiner Sexualität ab, und an der Frau. Er unterwirft sie. Bei Philosophen und Künstlern wie Marquis de Sade (1740–1814) und Alberto Giacometti (1901–1966) wird sie zum Objekt. Dafür steht das Wort «Phoenix» auf unserer 100er-Note – Giacomettis Stammbordell in Paris. Oder das Fetischobjekt «Chair», bei dem eine Frau als Stuhl dient.

Der neue Mann kann alles sein

Die Kuratoren zeigen gegen Ende, dass der Mann auch anders kann. Da tauchen weibliche Männer auf. Mit Abendkleidern in den 20ern, als Transsexuelle in den 70ern. Und in einem Kabinett wartet zum Schluss ein schlafender Hermaphrodit – ein Mensch mit Penis und Brüsten – auf die Besucher. Seine Träume sind als Filmfetzen an die Wände projiziert. Sie zeigen Ansätze für den heutigen Mann: Er kann ein durchtrainierter Brad Pitt und ein feinsinniger Bob Dylan sein.

Die Message der Kuratoren: «Wir brauchen neue Vorbilder für die Männer», sagt Steiner. Stolze Balkan-Männer etwa, die als Pflegekräfte arbeiten. Mehr Männer wie Ex-Mister-Schweiz Robert Ismajlovic also. Zweifel sieht eine historische Chance für die Männer: «Heute kann man als Mann spielerisch mit den Idealen umgehen, viele verschiedene Seiten ausleben.»

«Der erschöpfte Mann», 16. Oktober bis 10. Januar 2021, Landesmuseum Zürich.

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