Sie wollen aber sie können nicht
Warum es moderne Väter so schwer haben

Frauen erobern die Arbeitswelt, Männer sind dafür in der Familie immer präsenter. Doch gleiche Rechte bekommen sie nicht. Statt zu kämpfen, ziehen sich viele Väter der Pioniergeneration zurück.
Publiziert: 18.12.2017 um 22:50 Uhr
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Aktualisiert: 15.10.2020 um 10:52 Uhr
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Seraina Kobler

Ich bin die Erste, aber nicht die Letzte. Nach mir werden Tausende kommen», schrieb die Russin Nadeschda Suslowa im Jahr 1866, als sie mit
ihrer Schwester, der Geliebten des Schriftstellers Fjodor Dostojewski, nach Zürich reiste. Ein Jahr später schloss sie als erste Frau im deutschsprachigen Raum ein Studium ab – in Medizin. Die auf liberalem Gedankengut gegründete Universität Zürich wurde bald zum Treffpunkt intellektueller und selbstbewusster Frauen aus ganz Europa, Russland und den USA. Suslowa sollte recht behalten – viele sind ihr gefolgt.

Dieses Jahr haben zum ersten Mal mehr Mädchen als Jungen in ­allen Schweizer Kantonen die Matura gemacht. Es ist nicht nur, aber sicher auch diese Entwicklung, welche die Familie in den letzten Jahrzehnten fundamental umgewälzt hat. Die Frauen haben gekämpft für politische Mitsprache, gleiche Löhne und gegen patriarchale Systeme. In der Folge sind Männer nicht mehr allein im Bundesrat, sie haben Frauen, die beruflich erfolgreich sind, und es wird von ihnen erwartet, dass sie sich an der Erziehung ihrer Kinder beteiligen. Der Macho und das Alphamännchen haben ausgedient. Neue Bilder von Männlichkeit sind gewünscht. Reflektiv sollen sie sein, sensibel und empathisch. Das hat zu einer tiefen Verunsicherung geführt. Kein Wunder, boomt die Ratgeber- und Coachingindustrie. Es gibt Vater-Crashkurse und Männerkreise.

Trotz gestiegener Ansprüche hat sich strukturell wenig verändert. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Ankunft eines Kindes mit einem freien Tag für den Vater einem Umzug gleichgestellt ist. «Kinder sind Privatsache», so der Tenor in Wirtschaft und Politik.

Simon Wyss (45, Malermeister) betreut seine Kinder Selma und Dylan während eines Arbeitstages pro Woche.
Foto: Johan Bävman
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Ich schreibe diesen Text als Mutter. Und als eine der über 84 000 Frauen, die mit einer Mehrheit von
70 Prozent die Initiative für einen vierwöchigen Vaterschaftsurlaub unterschrieben haben. Die Zahlen legen die Frage nahe: Stülpen wir unseren Männern da etwas über, was diese gar nicht wollen?

Die neue Familie ist ein Erbe der 68er-Revolution

«Populismus für Papi», monierte die «Neue Zürcher Zeitung» kürzlich und gab zu bedenken, dass sich «gesellschaftlicher Wandel nicht mit gut gemeinten, populistischen Geschenk-Aktionen erzwingen» lasse. Das ist zu bescheiden gedacht. Denn der gesellschaftliche Wandel hat schon lange begonnen. Die Wegbereiterin der neuen Familie war die Revolution von 1968. Sie gebar alternative Bilder von Männlichkeit, die wenig gemein hatten mit den patriarchalen
Familienoberhäuptern der Nachkriegszeit. Weltbekannt wurde ein Foto des Ex-Beatle Paul McCartney: Mit Dreitagebart und grinsend trägt er Töchterchen Stella im Babytuch unter seiner Lederjacke. Kurz darauf kam der erste Tragesitz eines schwedischen Herstellers auf den Markt. In den 1980er-Jahren führte es zu Empörung, wenn sich Väter ihren Nachwuchs öffentlich umschnallten. Heute ist es normal. Ebenso wie Männer in den Kreisssälen oder am Kuchenbuffet in der Schule. Und es soll vorkommen, dass sie Kindern die Fingernägel schneiden oder das Klo putzen.
Die Entwicklung des Engagements zeigt sich auch in Zahlen.

Rund 584 Millionen Stunden pro Jahr engagieren sich Schweizer Männer in der Pflege und Betreuung, stand letzte Woche in einem Bericht über unbezahlte Arbeit des Bundesamts für Statistik. Die Frauen sind ihnen zwar mit 922 Millionen Stunden noch weit voraus, aber die Väter holen auf. Rund
88 Stunden pro Woche sind sie für Beruf und Familie im Einsatz, wie Forscher der Uni Freiburg letztes Jahr errechneten.

Obwohl Väter einen steigenden Betreuungsanteil übernehmen, sind sie noch ­immer für den Löwenanteil des Familien­einkommens verantwortlich. Das widerspricht den (zumeist weiblichen) Ansprüchen an die neue Männlichkeit. Und es zeigt ein schwerwiegendes Dilemma: Wirtschaft und Familien­leben folgen einer komplett gegensätzlichen Logik. Hier zählen das Kosten-Nutzen-Prinzip und Profitdenken, dort emotionale Zuwendung und Empathie. «In beiden Systemen erfolgreich zu sein, ist wie die Quadratur des Kreises», sagt die österreichische
Politikwissenschaftlerin Mariam Irene Tazi-Preve. Was am einen Ort nützt, führt am anderen zum Scheitern. Männer müssen lernen, der unbezahlten Arbeit den gleichen Wert beizumessen wie der bezahlten. Und in der Sorgearbeit Zufriedenheit und Anerkennung zu finden.

Es scheint, als sabotierten die Gerichte den Fortschritt

Erschwerend kommt hinzu, dass viele Väter keine Rechtssicherheit für die Beziehung zu ihren Kindern haben. Ein Stosstrupp von Aktivisten kämpft seit Jahren für die väterliche Gleichstellung. Mit Pflastersteinen erstritten sie sich vor sechs Jahren die Einführung des gemeinsamen Sorgerechts. Hunderte von Vätern hatten der Justizministerin Simonetta Sommaruga über drei Tonnen Stein geschickt. Diese baute damit einen Spielplatz – und setzte sich dafür ein, dass die Revision ins Rollen kam.

Im letzten Sommer trat der letzte Teil, das neue Unterhaltsrecht, in Kraft. Dort wurde die Möglichkeit der ­alternierenden Obhut nach einer Trennung explizit vom Gesetzgeber vermerkt. Eingang in die Praxis hat das Modell aber nicht gefunden. Hört man sich in juristischen Kreisen um, dann scheint es, als würden die politischen Errungenschaften der Väter von den Gerichten sabotiert. Dies zeigen auch publik gewordene Fälle. Dort scheint eine unheilige Allianz bestehend aus älteren Richterinnen, die den Geschlechterkampf ihrer Generation weiterführen, und männlichen Richtern traditionellen Zuschnitts am Werk.

Dabei hat das Parlament erstaunlich progressiv im Sinne der elterlichen Egalität entschieden. Vor einigen Tagen hat der Bundesrat sich in einem Bericht erneut für das Modell ausgesprochen. Es sei wichtig, «die Aufrechterhaltung einer regelmässigen Beziehung zwischen dem Kind und seinen Eltern nach der Trennung oder Scheidung zu fördern». Auch wenn die alternierende Obhut nicht zum Regelfall werde, solle der Staat weiterhin an der Stärkung der Rahmenbedingungen arbeiten, damit sich beide Elternteile nach der Trennung an der täglichen Betreuung des Kindes beteiligen können.

Das Vertrauen mancher Betroffenen in den Rechtsstaat ist zutiefst zerrüttet. Denn die Ungleichbehandlung der Geschlechter im ­Familienrecht bietet viel Potenzial für weiblichen Machtmissbrauch. Verzichtet ein Mann für die Familie auf berufliches Weiterkommen und arbeitet Teilzeit, wird er im Trennungsfall mit grosser Wahrscheinlichkeit vom Staat zum Zahlvater degradiert.

Am Ende steht er ohne Karriere, ohne Kinder, aber mit Schulden da. In keinem anderen Lebensbereich würde man ein derart hohes emotionales und finanzielles Risiko eingehen. Es ist nicht verwunderlich, dass sich viele auf vertrautes Terrain zurückziehen. Weil sie sich keine Blösse geben wollen, sprechen Männer nicht über ihre Gefühle und Nöte.

Der Wirtschaft ist der Status quo ganz recht

Ohne Aufschrei, sondern still und leise hängen sie ihre «Papi-Tage» an den Nagel und kehren zurück in die Rolle des Ernährers. So funktioniert das Schweizer Mainstream-Modell: Der Mann arbeitet Vollzeit und die Frau in einem kleinen Teilzeitpensum daneben. Das kommt nicht unbedingt ungelegen. Denn viele Leute haben – insbesondere in der Wirtschaft – ein Interesse da­ran, dass die alte Ordnung bestehen bleibt.

Ein Problem, das die Schweizer Journalistin Barbara Weber-Ruppli erkannt hat. Sie hat Väter der ­Pioniergeneration gesucht, ihnen zugehört und mit ihnen darüber gesprochen. In ihrem Buch «#Vatersein», das kürzlich erschienen ist, ermöglicht sie rare Einblicke in «die männliche Seele und verborgene Gefühlswelten». Die Porträtierten zeichnen kein geschöntes Bild und geben viel von sich preis. Hier ein Vater, der damit hadert, dass er in die Rolle des Ernährers gerutscht ist, dort einer, der sich plötzlich aus dem Familiennest ­geworfen sieht. Einer ist im Alter erstaunt, dass sich seine erwachsenen Kinder überhaupt mit ihm abgeben, ein anderer kann dem Sohn nicht helfen. Das berührt, denn ­Vatersein ist voller Emotionen. Etwas, was – anders als bei den Müttern – kaum thematisiert wird. Viel lieber wird immer noch das Bild der selbstlosen, fürsorglichen Mutter gepflegt wie eine Heiligenstatue.

Das führt nicht selten zu dem Phänomen des «Maternal Gatekeeping». Die Wissenschaft erforscht das mütterliche Kontrollbedürfnis seit über zwanzig Jahren. Eine Langzeitstudie des deutschen Familien- und Sozialforschers Wassilios E. Fthenakis kam zum Ergebnis: Fast jede fünfte Frau blockiert das väterliche Engagement im Familienleben. Zu Beginn ist das «Ich mach das schon» für die Männer komfortabel, längerfristig werden sie klein gehalten.

«Väter haben es heute schwerer»

Das neue Rollenbild: «Heute verbringt man als Vater viel mehr Zeit mit dem Kind. Kurz nach der Geburt sind es allerdings nach wie vor die Frauen, die sich mehrheitlich um den Nachwuchs kümmern. Das hat mit politischen Dingen zu tun. Dadurch haben die Väter schon mal schlechtere Startbedingungen im Familiensystem. Eigentlich ist das die wahre Erbsünde.»

Gleichheit der Geschlechter: «Wenn ich jetzt auf die Strasse rausginge, hin zu den Bauarbeitern und ihnen mitteilen würde: ‹Du bist von jetzt an 80 Prozent zu Hause, schaust zu den Kindern und gibst ihnen Geborgenheit›, dann wäre das für die meisten von ihnen eine ziemliche Herausforderung. Und das wäre es auch für einen Grossteil der übrigen männlichen Gesellschaft. Das heisst nun nicht, dass wir in 50 Jahren unmöglich eine Fifty-fifty-Aufteilung haben. Ich behaupte auch nicht, dass die Unterschiede zwingend im Biologischen gründen. Es scheint mir unterschiedliche Talente zwischen Mann und Frau zu geben, und insofern ist das Ergänzungsprinzip nicht einfach verwerflich. Es macht durchaus Sinn, auch mal ein bisschen Abstand zu nehmen von der
Vorstellung, alle müssten alles können.»

Rüstzeug für den Vater: «Ein Vater braucht emotionale Intelligenz, eine gewisse Belastbarkeit und eine gute Selbstbeobachtungsgabe. Man muss nicht abstrakt denken können, es braucht Sensibilität. Gegenüber anderen und sich selbst. Und Mut, die -eigenen Schwächen einzugestehen. Man befindet sich in einem Veränderungsprozess, und dabei kann es vorkommen, dass man andere Menschen enttäuscht, zum Beispiel Freunde, die keine Kinder haben und sich nicht vorstellen können, wie zeitintensiv das ist.»

Kind und Karriere: «Väter haben es heute sicherlich schwerer. Sie müssen Kind und Karriere unter einen Hut bringen. Aber das ist nur gerecht, schliesslich stehen die Mütter vor derselben Herausforderung. Das Leben kann dadurch aber reicher werden, vielseitiger, weniger eindimensional. Die Politik macht es derzeit jedoch weder für Männer noch für -Frauen leicht, Kind und Karriere zu -verbinden. Ich hoffe, dass unsere eigenen Kinder in Zukunft bessere Voraussetzungen haben.»

Das neue Rollenbild: «Heute verbringt man als Vater viel mehr Zeit mit dem Kind. Kurz nach der Geburt sind es allerdings nach wie vor die Frauen, die sich mehrheitlich um den Nachwuchs kümmern. Das hat mit politischen Dingen zu tun. Dadurch haben die Väter schon mal schlechtere Startbedingungen im Familiensystem. Eigentlich ist das die wahre Erbsünde.»

Gleichheit der Geschlechter: «Wenn ich jetzt auf die Strasse rausginge, hin zu den Bauarbeitern und ihnen mitteilen würde: ‹Du bist von jetzt an 80 Prozent zu Hause, schaust zu den Kindern und gibst ihnen Geborgenheit›, dann wäre das für die meisten von ihnen eine ziemliche Herausforderung. Und das wäre es auch für einen Grossteil der übrigen männlichen Gesellschaft. Das heisst nun nicht, dass wir in 50 Jahren unmöglich eine Fifty-fifty-Aufteilung haben. Ich behaupte auch nicht, dass die Unterschiede zwingend im Biologischen gründen. Es scheint mir unterschiedliche Talente zwischen Mann und Frau zu geben, und insofern ist das Ergänzungsprinzip nicht einfach verwerflich. Es macht durchaus Sinn, auch mal ein bisschen Abstand zu nehmen von der
Vorstellung, alle müssten alles können.»

Rüstzeug für den Vater: «Ein Vater braucht emotionale Intelligenz, eine gewisse Belastbarkeit und eine gute Selbstbeobachtungsgabe. Man muss nicht abstrakt denken können, es braucht Sensibilität. Gegenüber anderen und sich selbst. Und Mut, die -eigenen Schwächen einzugestehen. Man befindet sich in einem Veränderungsprozess, und dabei kann es vorkommen, dass man andere Menschen enttäuscht, zum Beispiel Freunde, die keine Kinder haben und sich nicht vorstellen können, wie zeitintensiv das ist.»

Kind und Karriere: «Väter haben es heute sicherlich schwerer. Sie müssen Kind und Karriere unter einen Hut bringen. Aber das ist nur gerecht, schliesslich stehen die Mütter vor derselben Herausforderung. Das Leben kann dadurch aber reicher werden, vielseitiger, weniger eindimensional. Die Politik macht es derzeit jedoch weder für Männer noch für -Frauen leicht, Kind und Karriere zu -verbinden. Ich hoffe, dass unsere eigenen Kinder in Zukunft bessere Voraussetzungen haben.»

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Egal, ob traditionelle Rollenteilung, Patchwork, Co-Parenting oder Regenbogenfamilie: Lebensmodelle sollten selbst gewählt werden dürfen. Sie sind so einzigartig wie die Menschen, die dahinterstehen. Darum sollten Gesetzgeber und Gesellschaft kein Konzept bevorzugen. Wollen wir Frauen in der Arbeitswelt aber weiterkommen, dann geht das nur, wenn wir unsere historisch gewachsenen Privilegien mit den Männern teilen und sie in der Familie gleichstellen.

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