Zweite Auffrischimpfung
Schweiz streitet – während andere längst boostern

Unsere Nachbarn sind längst dabei, den zweiten Booster zu verimpfen. Die Schweiz hinkt hinterher – und streitet lieber darüber, ob Reisende nicht selbst in die Tasche greifen sollen.
Publiziert: 02.06.2022 um 01:10 Uhr
Daniel Ballmer und Gianna Blum

Die Zeiten, als man an der Schweizer Grenze automatisch das Covid-Zertifikat zücken musste, sind vorbei. Doch eine Garantie, dass ein Impfnachweis fürs Reisen auch künftig nicht nötig sein wird, gibt es nicht – zu ungewiss ist, was Corona alles noch bringen könnte. Früher oder später laufen auch die Zertifikate der Geboosterten aus, was der Tourismusbranche Sorgen macht.

Das bringt die Frage nach einem zweiten Booster für Reisende aufs Tapet. Wenn es nach der Landesregierung geht, sollen Reiselustige selbst in die Tasche greifen. Sie schlägt den Kantonen ein Selbstzahlersystem für jene Impfungen vor, die nicht von den Behörden empfohlen worden sind.

Zu hoher Aufwand

Diverse Kantone zerreissen diesen Vorschlag allerdings als nicht umsetzbar in der Luft. Der Aufwand dafür sei «in keiner Weise zu rechtfertigen», hält der Kanton Zürich etwa fest. Ähnlich klingt es aus St. Gallen, Basel-Stadt, Appenzell Ausserrhoden oder Solothurn. Befürchtet wird ein Tarif-Tourismus, wenn je nach Kanton die Preise unterschiedlich veranschlagt werden. Solothurn lässt gar schon durchblicken, dass man die Kosten dann eben auf kantonaler Ebene übernehmen werde. Basel-Stadt weist auch darauf hin, dass es nicht angehe, die Leute für Impfstoff bezahlen zu lassen, der beim Bund noch lagert und ohnehin bald abläuft.

Während andere Länder bereits den zweiten Booster verimpfen, ist die Schweiz noch lange nicht so weit.
Foto: Keystone
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Nicht alle sperren sich gegen die Idee: Für die Thurgauer Regierung etwa ist klar, dass jeder selbst in die Tasche greifen muss, wenn man den vierten Piks nicht zugunsten der eigenen Gesundheit, sondern der eigenen Reiselust setzen lässt. Grundsätzlich offen zeigt sich auch Baselland. Der Halbkanton schlägt aber vor, mindestens bis Herbst abzuwarten, wenn man auch «stabilere Impfempfehlungen» erwarten könne.

Empfehlung steht noch aus

Der wunde Punkt der Impfempfehlung kommt in den Konsultationsantworten immer wieder vor. Wahrscheinlich ist, dass der zweite Booster nur Senioren und Risikopersonen empfohlen wird. Doch wenn die Eidgenössische Impfkommission (Ekif) und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) doch noch der gesamten Bevölkerung eine erneute Auffrischung empfehlen, wäre ein Selbstzahlersystem natürlich sofort wieder überholt.

Definitiv entschieden ist noch nichts. Bislang gibt es seitens Behörden nur eine Empfehlung für Personen mit besonders stark geschwächtem Immunsystem. «Spätestens vor den Sommerferien» werde man über die Impfempfehlung für den kommenden Herbst und Winter informieren, teilten die Behörden kürzlich mit. Zugelassen ist der zweite Booster in der Schweiz noch nicht.

Schon jeder 20. Deutsche ist viermal geimpft

Während die Schweiz noch über Finanzierung und Notwendigkeit des zweiten Boosters streitet, machen andere Länder längst vorwärts. Etwa Deutschland: Schon länger fordert die Bundesregierung Personen ab 70 Jahren oder Risikogruppen auf, sich rasch die vierte Impfung geben zu lassen. Die Impfkommission warnte davor, auf an die Omikron-Variante angepasste Impfstoffe zu warten.

Erst vor kurzem hat die Bundesregierung beschlossen, den zweiten Booster allen zu ermöglichen. Im landesweiten Durchschnitt haben sich schon über 5,5 Prozent der Menschen eine zweite Auffrischungsimpfung geben lassen.

Auch Nachbar Frankreich gibt Gas. Schon Anfang April hatte Gesundheitsminister Olivier Véran (42) angekündigt, dass sich auch Personen ab 60 Jahren mit einem zweiten Booster impfen lassen könnten. Bis dahin war diese Dosis Personen ab 80 Jahren vorbehalten.

Zweiter Booster soll deutlich mehr schützen

Die Europäische Arzneimittelagentur hat den vierten Stich für alle Menschen ab 80 Jahren empfohlen. Österreich hat die Empfehlung um Risikogruppen ergänzt. Die USA wiederum sehen die Altersgrenze bereits bei 50 Jahren.

Vorreiter ist hier aber einmal mehr Israel, wo seit Monaten der gesamten Bevölkerung zweite Booster verimpft wird. Mit Erfolg: Studien weisen darauf hin, dass der Schutz vor einer Corona-Infektion bei vierfach Geimpften zweimal höher ist als bei dreifach Geimpften.

Kantone zeigen sich besorgt

Schweizer Gesundheitspolitiker sowie die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK) zeigten sich bereits besorgt, dass die Schweiz ein weiteres Mal zu spät reagieren könnte. Seit Wochen fordert GDK-Präsident Lukas Engelberger (47) endlich Klarheit, damit sich die Kantone rechtzeitig vorbereiten können.

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