Viele Schweizer verzichten auf Sozialleistungen – trotz Anspruch
Jura ruft zum Geldabholen auf

Schweizweit verzichten Hunderttausende Menschen auf Sozialleistungen, obwohl sie Anspruch darauf haben. Der Kanton Jura will das ändern und lanciert eine Kampagne. Auch auf Bundesebene gibt es Bewegung.
Publiziert: 30.04.2024 um 20:01 Uhr

Im Kanton Jura sind 15 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen oder armutsgefährdet – rund 10'000 Menschen. Doch die Hälfte davon verzichtet auf Sozialleistungen, wie Zeitungen von CH Media schreiben. Gegen diesen Nichtbezug lanciert jetzt der kleine Westschweizer Kanton eine Kampagne, die in dieser Form für die Schweiz einzigartig ist.

Ab dem nächsten Donnerstag schaltet das Departement des Innern unter SP-Staatsrätin Nathalie Barthoulot (55) Inserate in Zeitungen und Plakate an öffentlichen Orten, um Menschen in finanziell prekärer Lage zu erreichen. Auch Vereine, Kirchen und Gemeinden sind bei der Kampagne mit im Boot, um auf die Problematik aufmerksam zu machen.

Für Armutsbetroffene gibt es auch spezielle Anlaufstellen, wo sie sich für ein vertrauliches Gespräch anmelden können. Der Kanton hofft, mit dem Aufruf zum Geldabholen armutsgefährdete Personen zu erreichen, bevor sie in eine Negativspirale mit Schulden und weiteren Problemen geraten – das würde die öffentliche Hand weit mehr kosten.

Viele Berechtigte nehmen den Anspruch auf Sozialleistungen nicht wahr.
Foto: Keystone
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Hunderttausende verzichten auf Sozialleistungen

Das Recht auf Sozialleistungen nehmen nicht nur im Jura, sondern schweizweit Hunderttausende Menschen nicht in Anspruch. So verzichten gut 230'000 Rentnerinnen und Rentner, die im eigenen Heim wohnen, auf Ergänzungsleistungen.

Und eine auf die Sozialhilfe in Basel bezogene Studie kommt zum Schluss, dass 30 Prozent der Anspruchsberechtigten auf den Gang zum Sozialamt verzichten.

Automatische Zahlung soll es richten

Die Problematik beschäftigt auch Bundesbern. So fordert GLP-Nationalrat Patrick Hässig (45, ZH) vom Bundesrat, dass die Kantone dazu verpflichtet werden, die individuelle Prämienverbilligung automatisch an die Anspruchsberechtigten auszurichten. Heute ist dies erst in sieben Kantonen der Fall. Andernorts schreckt die enorme Bürokratie viele Anspruchsberechtigte davon ab, einen Antrag zu stellen.

In eine ähnliche Richtung zielt SP60+. Die Vereinigung der SP-Senioren verlangt, dass Sozialleistungen schweizweit automatisch erbracht werden – von Prämienverbilligungen über Ergänzungsleistungen bis hin zu Überbrückungsrenten.

Dass viele Rentner auf den EL-Bezug verzichten, liege «im Holprinzip und in den komplizierten, von Kanton zu Kanton unterschiedlichen Abläufen», schreibt die Vereinigung in einer Mitteilung. Die SP-Senioren appellieren deshalb an die kantonalen Parlamentarier, entsprechende Vorstösse einzureichen. (SDA/rus)

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