Uno-Botschafter Zellweger erklärt, warum Diplomatie in der Ära Trump nötiger ist denn je
«Die Welt vertraut uns»

Trump, China, Russland – entsteht gerade eine neue Weltordnung, in der Macht wieder über das Recht obsiegt? Valentin Zellweger (56), Schweizer Botschafter bei der Uno in Genf, ist optimistisch, dass das internationale Genf seinen Platz dennoch behaupten wird.
Publiziert: 27.06.2019 um 23:43 Uhr
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Aktualisiert: 30.10.2020 um 09:10 Uhr
Interview Sermîn Faki

Nach dem Fall der Mauer war die Hoffnung gross: Endlich wird der Zweikampf der Grossmächte USA und Sowjetunion der Vergangenheit angehören. Künftig würden die Staaten – kleine wie grosse – im Süden und im Norden gleichberechtigt für Sicherheit und Wohlstand sorgen: multilateral, wie das genannt wird.

Tempi passati. Spätestens mit dem Einzug von Donald Trump (73) ins Weisse Haus herrscht wieder das Recht des Stärkeren. Man sieht das am aufgekündigten Atomabkommen mit dem Iran, am Austritt der USA aus dem Uno-Menschenrechtsrat, am Handelsstreit mit China.

Die Chinesen wiederum sind ein weiterer Grund dafür, dass der Multilateralismus an seine Grenzen stösst. Die schiere Wirtschaftskraft des Reichs der Mitte – gepaart mit dem autoritären kommunistischen System und den neuen Überwachungstechnologien – fordert den Westen heraus. Es scheint, als trete die Welt erneut in eine Ära der Grossmächte ein.

«Wir sind zur Zusammenarbeit gezwungen», sagt Valentin Zellweger, Schweizer Botschafter bei der Uno in Genf.
Foto: zvg
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Was bedeutet das für die Schweiz? Und für Genf, das die Verkörperung dieses Multilateralismus ist? Auf dem Dach des Maison de la Paix in Genf stellt sich Valentin Zellweger (56), Schweizer Botschafter bei der Uno in Genf, diesen Fragen.

Herr Zellweger, sind die Zeiten vorbei, in denen sich Staaten gemeinsam am runden Tisch über Probleme verständigten?
Valentin Zellweger: Noch heute geschieht es jeden Tag, dass sich Staaten miteinander an den Tisch setzen. Wir sind zur Zusammenarbeit gezwungen, denn Probleme machen nicht vor Staatsgrenzen halt.

Die Eskalation zwischen dem Iran und den USA beweist aber eindrücklich, dass dieser Multilateralismus versagt: Das in Genf ausgehandelte Atomabkommen ist faktisch tot.
Nein! Ein Vertrag ist immer nur so gut wie der Wille seiner Vertragsparteien. In diesem Fall hat sich eine Partei zurückgezogen, die USA. Nun betrachten die Vereinigten Staaten den Vertrag als gegenstandslos. Aber das heisst nicht, dass der Vertrag an sich gegenstandslos geworden wäre.

Aber der Nutzen des Abkommens ist nun eingeschränkt. Mal ehrlich: Die USA und China schaffen gerade eine neue Weltordnung – und der Rest der Staaten wird auf die Zuschauertribüne verbannt.
Sie haben nur teilweise recht. Zugegeben: Die Zusammenarbeit in den zentralen Fragen wird immer schwieriger. Das macht es aber nicht weniger wichtig, dass wir die grossen Herausforderungen gemeinsam lösen – an erster Stelle den Klimawandel. Und ja – das räume ich ein –, hier ist die internationale Gemeinschaft nicht auf dem besten Weg. Aber: Gerade erst hat sich die Internationale Arbeitsorganisation hier in Genf auf Massnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz geeinigt. Die sind jetzt weltweiter Standard. Sie sehen, es gibt viele Bereiche, in denen wir erfolgreich weiterarbeiten.

Täuscht der Eindruck also, dass Organisationen wie die Uno in der Krise sind?
Er täuscht nicht überall. Sie haben es gesagt: Es gibt Akteure, die eine grössere Rolle spielen – wie China. Und gleichzeitig bringt der technische Fortschritt neue Herausforderungen. Die Welt verändert sich – und so auch die Uno. Das geschieht nicht immer im Gleichschritt. Es gibt nun Leute, die das als Krise empfinden. Ich bin zuversichtlich, die Uno findet ihren Weg. Einfach, weil sie unverzichtbar ist.

Unser Mann in Genf

Seit drei Jahren ist der Basler Valentin Zellweger (56) unser Mann am Lac Léman. Er vertritt die Schweiz am Genfer Uno-Sitz. Der Völkerrechtler arbeitete sein ganzes Leben lang fürs Aussendepartement. Mit einer Ausnahme: Von 2003 bis 2007 leitete er das Büro des Präsidenten des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Valentin Zellweger ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

Seit drei Jahren ist der Basler Valentin Zellweger (56) unser Mann am Lac Léman. Er vertritt die Schweiz am Genfer Uno-Sitz. Der Völkerrechtler arbeitete sein ganzes Leben lang fürs Aussendepartement. Mit einer Ausnahme: Von 2003 bis 2007 leitete er das Büro des Präsidenten des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Valentin Zellweger ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

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Sie müssen das ja so sehen – denn wenn es die Vereinten Nationen nicht mehr braucht, braucht es das internationale Genf und Sie als Uno-Botschafter nicht mehr.
Einspruch! Selbst wenn es die Uno nicht mehr gäbe – und das halte ich für ausgeschlossen –, würde Genf noch gebraucht. Die Probleme der Welt verschwinden ja nicht. Es braucht einen Ort, an dem sich die Welt treffen und vertraulich miteinander sprechen kann. Kein Ort ist dazu so geeignet wie Genf.

Warum das? Man könnte sich auch in Helsinki treffen.
Dank seiner Tradition als Ort der Diplomatie geniesst Genf das Vertrauen der Welt. Man weiss, dass man hier vertraulich miteinander Lösungen erarbeiten kann. Doch der Weg dahin wird zunehmend komplexer, es fliessen immer mehr Themen ineinander – Klima und Gesundheit, Arbeit und Menschenrechte, Umwelt und Migration. Und da findet sich weltweit eben nur eine Stadt, in der all das notwendige Expertenwissen versammelt ist: Genf. Und die Schweiz sorgt dafür, dass das so bleibt.

Warum hat unser Land ein Interesse daran?
Die Schweiz weiss aus Erfahrung, dass es klüger ist, Lösungen in einer Gruppe zu finden als zu zweit. Mit mehreren am Tisch gibt es bessere Lösungen, die breiter abgestützt sind. Deshalb setzt sich die Schweiz für den Genfer Multilateralismus ein. Zudem entsprechen die Ziele unserer Aussenpolitik eins zu eins der Uno-Charta. In der Uno mitzuarbeiten, ist so, als ob die Schweiz bei der Gitarre den Verstärker einschalten würde – wir haben viel mehr Pfuus.

Also machen wir mit, weil unsere Stimme allein nicht kräftig genug ist – ein Problem, das grosse Staaten wie die USA nicht haben ...
Wer internationale Regeln – im Handel, in der Gesundheit oder beim Klimawandel – finden will, kann das nicht allein. Das ergeht auch grösseren Ländern so. Die Uno bietet die ideale Bühne dazu.

US-Präsident Donald Trump twittert einfach.
Die Schweiz hat eine andere Rolle als die USA. Wir haben einen eigenen Trumpf: Wir verfolgen keine versteckte Agenda und agieren unabhängig. Das verleiht uns eine besondere Glaubwürdigkeit. Unser Interesse an der Welt ist nicht gespielt. Aus einem einfachen Grund: Als Exportnation sind wir auf die Stabilität der anderen angewiesen. Wir leben von ihrem Wohlergehen. Und weil sie das wissen, vertrauen sie darauf, dass wir uns für sie einsetzen.

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