Umstrittener Nutzen
Was bringen günstige Kita-Plätze?

Eine Studie will belegen, dass Mütter ihre tiefen Pensen nicht erhöhen – selbst wenn Kita-Plätze günstiger werden. In den Kantonen zeigt sich ein anderes Bild.
Publiziert: 26.02.2023 um 13:43 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2023 um 08:53 Uhr
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Camilla AlaborRedaktorin

Kitas in der Schweiz sind teuer. Viel teurer als anderswo. In Deutschland oder Frankreich übernimmt der Staat einen Grossteil der Kosten für die Kinderbetreuung – hierzulande müssen Eltern tief in die eigene Tasche greifen.

Die nationalrätliche Bildungskommission will das ändern und dafür sorgen, dass mehr Bundesgelder in die Kinderbetreuung fliessen. Eines der Argumente: Wenn die Kita günstiger wird, stocken arbeitstätige Mütter ihre tiefen Pensen eher auf. Aber ist dem wirklich so?

Mitten in die heftige Debatte platzte vergangene Woche ein Artikel der «NZZ am Sonntag». Tenor: Billigere Kita-Plätze tragen kaum dazu bei, dass Mütter ihre Pensen erhöhen. Die 770 Millionen Franken, die Bildungspolitiker in Kinderbetreuung und Tagesschulen investieren wollen, seien demnach weitgehend wirkungslos. Der Beitrag beruht auf einer Studie des Arbeitsmarkt-Experten Josef Zweimüller (63) von der Universität Zürich.

Kita-Plätze in der Schweiz sind teuer. Die Bildungskommission des Nationalrats will deshalb mehr Bundesgelder in die Kinderbetreuung stecken.
Foto: Keystone
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Doch Zweimüllers Schlussfolgerung ist umstritten. Denn andere Studien kommen zu gegenläufigen Ergebnissen. So gehen zwei kürzlich publizierte Untersuchungen der Frage nach, welche Folgen eine Ausweitung des Betreuungsangebots hat. Konkret: Erhöhen Mütter in Kantonen, die das Angebot von Kita-Plätzen stark ausgeweitet haben, ihr Arbeitspensum? In beiden Studien lautet das Ergebnis: ja.

Eine Studie reicht nicht aus

Im einen Fall untersuchten Ökonomen, welchen Effekt die Schaffung von 800 zusätzlichen Kita-Plätzen in Neuenburg hatte. Der Kanton bietet im interkantonalen Vergleich überdurchschnittlich viele und günstige Plätze an. Die Studienautoren kamen zum Schluss, dass die neuen Betreuungsmöglichkeiten mit einer höheren Beschäftigungsrate der Mütter einhergehen.

Total nahm die Arbeitstätigkeit der Mütter um 625 Vollzeitstellen zu. Umgerechnet bedeutet dies: Durch die geschaffenen Kita-Plätze erhöhten 2000 Frauen ihre Erwerbsquote von 30 auf 60 Prozent.

Eine zweite Studie der Universität Neuenburg aus dem Jahr 2018 befasst sich ebenfalls mit der Ausweitung des Kita-Angebots. Die Autorin vergleicht Kantone, die verhältnismässig viele Betreuungsplätze schufen, mit solchen, die das nicht taten. Ihr Fazit: Mütter in Kantonen mit einem ausgebauten Kita- Angebot erhöhten ihre Teilzeitpensen.

Für Wirtschaftsprofessorin Christina Felfe (44) von der Universität Würzburg (D), die sich in mehreren Studien mit dem Schweizer Arbeitsmarkt auseinandergesetzt hat, zeigen die Ergebnisse: «Man kann nicht aus einer einzigen Studie den Schluss ziehen, eine Verbilligung der Kita-Plätze sei wirkungslos.»

Dieser Ansicht ist auch Wirtschaftsprofessor Rafael Lalive (50) von der Universität Lausanne. Er findet die Schlussfolgerung seines Zürcher Kollegen auch deshalb unhaltbar, weil in der Schweiz bisher gar keine Vergünstigung von Kita-Plätzen auf breiter Front stattgefunden hat. «Die Frage, welchen Effekt eine massive Verbilligung der Kita-Tarife in der Schweiz hätte, kann die Studie von Professor Zweimüller darum gar nicht beantworten», so Lalive.

Zweimüller kam in seiner Untersuchung zum Schluss, dass der Auslöser für eine höhere Erwerbstätigkeit von Müttern nicht günstigere Kita-Plätze seien, sondern eine Veränderung traditioneller Rollenbilder. Die Idee, dass der Vater den Lohn nach Hause bringt und die Mutter sich um die Kinder kümmert, sei in der Schweiz nach wie vor stark verankert.

Die Entscheidung über das Kita-Paket

Am kommenden Mittwoch diskutiert der Nationalrat über das Kita-Paket. Ursprünglich sollten nach dem Vorschlag der Bildungskommission jährlich 770 Millionen Franken in Kinderbetreuung und Tagesschulen fliessen. Angesichts der Finanzlage lehnt der Bundesrat die Kita-Förderung jedoch ab. Sollte das Parlament den Entwurf dennoch akzeptieren, will der Bundesrat lediglich 160 Millionen Franken pro Jahr einsetzen. Die Bildungskommission lehnt dies ab, schlägt aber als Kompromiss einen reduzierten Ansatz vor.

Am kommenden Mittwoch diskutiert der Nationalrat über das Kita-Paket. Ursprünglich sollten nach dem Vorschlag der Bildungskommission jährlich 770 Millionen Franken in Kinderbetreuung und Tagesschulen fliessen. Angesichts der Finanzlage lehnt der Bundesrat die Kita-Förderung jedoch ab. Sollte das Parlament den Entwurf dennoch akzeptieren, will der Bundesrat lediglich 160 Millionen Franken pro Jahr einsetzen. Die Bildungskommission lehnt dies ab, schlägt aber als Kompromiss einen reduzierten Ansatz vor.

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Immer mehr Väter arbeiten in Teilzeit

Professorin Felfe teilt die Einschätzung, dass traditionelle Geschlechternormen einen starken Einfluss auf die Erwerbstätigkeit der Frauen haben. Sie zieht daraus jedoch den umgekehrten Schluss: «Mehr und günstige Kita-Plätze tragen gerade dazu bei, die heutigen Rollenbilder in Frage zu stellen – und Müttern die Wahl zu geben, wie viel sie arbeiten möchten.»

Zudem seien Verbilligung und Ausweitung des Kita-Angebots nur Teile eines Gesamtpakets. «Die Familienpolitik umfasst viel mehr», sagt Felfe. Als Beispiele nennt sie den Elternurlaub oder die Bereitschaft von Unternehmen, Homeoffice anzubieten.

Solche Veränderungen führten nämlich durchaus zu einem Wandel der gesellschaftlichen Einstellungen, sagt Felfe. Die Wirtschaftsprofessorin verweist auf eine Studie zum Vaterschaftsurlaub in Spanien. Dabei zeigte sich: Kinder, die nach Einführung des Vaterschaftsurlaubs zur Welt kamen, sahen es als normal an, dass sich auch Männer um ihren Nachwuchs kümmern – im Gegensatz zu jenen Kindern, die vor der Reform geboren wurden.

«Gesellschaftspolitische Wertvorstellungen verändern sich nicht von heute auf morgen», sagt Felfe. Wer die Erwartung hege, dass alle Mütter ihre Pensen von 40 auf 80 Prozent aufstocken, sobald die Kita-Plätze günstiger sind, werde enttäuscht. «Aber vielleicht tun es dann die Kinder ihrer Kinder.»

Auch Professor Lalive plädiert für Geduld. Wie effektiv eine Massnahme sei, hänge immer vom gesellschaftlichen Umfeld ab. «Für jene Frauen, die vor 20 Jahren ihr Pensum aufstockten, lohnte sich das oft kaum: Die ganze Hausarbeit blieb weiterhin an ihnen hängen.» Doch wenn sich die Väter ebenfalls stärker im Haushalt und bei der Kinderbetreuung engagierten, ändere sich die Kosten-Nutzen-Rechnung für die Mütter.

Genau dies war in den letzten Jahren zu beobachten: Der Anteil Väter, die Teilzeit arbeiten, wächst langsam, aber stetig. Ein gewisses Umdenken hat also bereits eingesetzt.

Welchen Effekt eine deutliche Verbilligung der Kita-Plätze tatsächlich hat, werden indes künftige Studien untersuchen müssen – falls der Vorschlag der Bildungskommission im Nationalrat durchkommt.

Der Entscheid fällt am Mittwoch.

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