Theo von Atzigen gilt mit 60 als zu alt für Personentransporte
EU-Regel kostet ihn Job als Heli-Pilot

Wegen EU-Regelungen dürfen Schweizer Heli-Piloten ab 60 keine Personentransporte mehr übernehmen. Doch nun diskutiert die Politik eine eigene Schweizer Lizenz – für weniger als ein Dutzend Betroffene. Theo von Atzigen ist einer von ihnen.
Publiziert: 02.06.2021 um 01:02 Uhr
Gianna Blum

Theo von Atzigen hat die Hiobsbotschaft einen Tag vor Weihnachten 2020 und drei Monate vor seinem 60. Geburtstag erreicht: die Kündigung. Denn wegen seines Alters darf der Helikopterpilot aus Alpnach OW keine Personen mehr transportieren.

Grund dafür ist die EU, genauer das Luftverkehrsabkommen, das seit Jahrzehnten zwischen der Schweiz und der Union besteht. Dadurch gelten Regeln, die im Luftraum der EU gelten, auch in der Schweiz – darunter auch, dass über 60-Jährige keine Personentransporte fliegen dürfen. Bislang konnte das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) für sie eine Ausnahme ausbedingen. Bis die EU im vergangenen Jahr abwinkte.

Für Theo von Atzigen ist das «faktisch ein Berufsverbot», wie er sagt. Er darf zwar Arbeitsgeräte auf die Alp fliegen, nicht aber Arbeiter. Diese Unterscheidung ist für die Betriebe kaum umzusetzen, und bei von Atzigens früherem Arbeitgeber kamen die Konsequenzen schnell.

Theo von Atzigen ist seit 32 Jahren Helikopterpilot.
Foto: Nathalie Taiana
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Bubentraum vom Fliegen

Von Atzigen hat inzwischen eine neue Stelle gefunden und fliegt in Buochs NW für die Alpinlift AG. Allerdings nur Teilzeit, seine Stelle teilt er sich mit einem zweiten Piloten. «Ich hatte Glück», sagt er. Sorgen mache ihm nun aber die Pensionskasse, wo er den Verlust empfindlich spüre. «Fünf Jahre mit weniger Einzahlungen heisst, dass ich etwa 100'000 Franken weniger Vorsorgebeiträge habe.» Bekannte im gleichen Alter würden sich «durchseuchen», bis das ordentliche Pensionsalter erreicht sei. Denn Pilot ist kein Beruf, bei dem man so einfach umsatteln kann.

Seit 32 Jahren ist von Atzigen Helikopterpilot. Er hat 16'000 Flugstunden hinter sich, was in seiner Branche das entscheidende Zeitmass ist. Er ist über den Himalaya geflogen oder mit Air Glaciers und Air Zermatt Rettungseinsätze. «Das Fliegen war ein Bubentraum», sagt er. Ursprünglich Bergführer, entschied er sich, doch noch auf die Helis umzusteigen: «Da schwitzt du weniger, um auf den Gipfel zu kommen!»

Bereut hat er den Entscheid nie. Aber: «Jedem, der Heli-Pilot werden will, rate ich, es sich zweimal zu überlegen», sagt er. Denn die Ausbildung zum Berufspiloten kostet um die 110'000 Franken und muss im Normalfall selbst finanziert werden. Und bis man genug Flugstunden auf dem Buckel hat, um daraus auch einen Beruf zu machen, sei man schnell Mitte 30. Seine Tochter, die älteste seiner drei Kinder, habe sich eine Weile ebenfalls fürs Fliegen interessiert, sagt er. «Aber ich glaube, was mit mir passiert, schreckt sie schon ab.»

Nationalrat diskutiert nationale Lizenz

Von Atzigen ist einer von knapp einem Dutzend Heli-Piloten, die das Ende der Ausnahmeregelung trifft. Auch wenn es nur so wenige sind: Ihr Schicksal beschäftigt nun die Politik. Die zuständige Kommission des Nationalrats verlangt nun eine eigene Pilotenlizenz nur für den Schweizer Luftraum. Denn gar Studien aus der EU hätten ergeben, dass bei den über 60-Jährigen kein erhöhtes gesundheitliches Risiko existiere, das die Flugsicherheit gefährden würde. Am Donnerstag entscheidet der Nationalrat.

Obwohl die EU die Alterslimite ebenfalls diskutiert, ist eine Änderung des geltenden Rechts nicht wahrscheinlich. Und hierzulande warnt das Departement von Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga (61) vor einer Annahme der Motion: Wenn die Schweiz ihre eigenen Brötchen backe, drohten Gegenmassnahmen seitens EU. Denn auch eine Schweizer Lizenz müsste eigentlich von einem gemeinsamen Ausschuss genehmigt werden. Die Botschaft ist klar: Um einem knappen Dutzend Heli-Piloten Rente und letzte Arbeitsjahre zu sichern, lohnt sich der Konflikt mit der EU nicht – angesichts der insgesamt 9500 Schweizer Fluglizenzen, die EU-Recht unterliegen.

60 werden alle einmal

Anders sieht es Martin Candinas (40, GR), Mitte-Nationalrat und Präsident der Schweizer Helikoptervereinigung SHA. «Die Schweiz könnte durchaus die Regeln einseitig ändern», ist er überzeugt – schliesslich seien nur Inlandflüge betroffen. Zudem seien die Regelungen widersprüchlich: So dürfen über 60-Jährige zwar noch Rettungsflüge übernehmen, nicht aber kommerzielle Personentransporte. Zudem mahnt Candinas: «Es ist nicht nur eine Handvoll betroffen, sondern alle – denn sie werden alle einmal 60.»

Viele würden wegen der schlechten Aussichten im Alter künftig früher aus dem Beruf aussteigen, ist sich auch von Atzigen sicher: «Das gibt ein Pilotenvakuum.» Und Nachwuchs auszubilden, stosse letztlich wieder Unmengen CO2 aus, sagt er mit Seitenhieb in Richtung Umweltministerin.

Trotz Politdebatte: Von Atzigen rechnet nicht damit, dass sich für ihn noch etwas ändert. Schon vor Jahren wurde eine ähnliche Motion erfolgreich überwiesen, bis auf die Ausnahmeregelung geschah aber wenig. «Was interessiert die in Bern schon eine Handvoll Helikopterpiloten?», kritisiert er. Zudem gebe es so eine Lizenz nicht von heute auf morgen. Bis der Entscheid fällt, dürfte von Atzigen ohnehin pensioniert sein: «Für mich ist es wohl gelaufen.»


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