SVP-Regierungsräte verweigern dem Öffnungs-Euphoriker die Gefolgschaft
Aeschi verliert die Kantone

Die SVP stellt sich als einzige Partei vehement gegen den beschlossenen Corona-Kurs. Geht es nach der Parteispitze, sollten alle Geschäfte öffnen. Selbst parteiintern schüttelt man darüber den Kopf.
Publiziert: 15.01.2021 um 07:18 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2021 um 22:45 Uhr
Lea Hartmann und Daniel Ballmer

Die SVP kündigte umgehend Widerstand an. «Mit diesen Massnahmen treibt der Bundesrat die Schweiz in die Armut», tobte SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (42), nachdem der Bundesrat am Mittwoch einen zweiten Lockdown verkündet hatte. Ladenschliessungen, Homeoffice-Pflicht, schon nur die Verlängerung des Beizen-Lockdowns: Das alles geht der Partei zu weit. Man beantrage nun eine ausserordentliche Session, damit die Verschärfungen im Parlament rückgängig gemacht werden können, sagte Aeschi.

«Für die SVP ginge Schuss nach hinten los»

Mit dieser Forderung steht die SVP allerdings allein da. Die-Mitte-Fraktion lehnt eine ausserordentliche Session ab, stellt Fraktionschefin Andrea Gmür (56) klar. Man könne dem Bundesrat nicht monatelang vorwerfen, er nehme das Zepter nicht in die Hand, um es ihm gleich wieder wegzunehmen. «Eine solche Hüst-und-Hott-Politik ist äusserst schädlich.»

Auch die Freisinnigen versagen der SVP ihre Unterstützung. «Ich kann derzeit keinen Sinn in einer ausserordentlichen Session erkennen», sagt FDP-Fraktionschef Beat Walti (52). Falls sie nicht ohnehin zu spät käme, würden im Parlament vermutlich noch zusätzliche Massnahmen beschlossen, meint er. «Für die SVP ginge der Schuss damit nach hinten los.»

Die SVP kritisiert den erneuten Lockdown in der Schweiz scharf.
Foto: Keystone
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Die SVP hält dennoch an ihrer Forderung fest. «Es ist schockierend, dass die anderen Parteien nicht bereit sind, in dieser Krise Verantwortung zu übernehmen», sagt Fraktionschef Aeschi.

Regierungsräte üben Kritik

Die Totalopposition stösst allerdings auch innerhalb der SVP auf Unverständnis. «Es ist die Aufgabe der Parteien, ihre Positionen einzubringen und auch pointiert Kritik zu üben. Als Gesundheitsdirektor habe ich einen anderen Auftrag, nämlich die Epidemie zu bekämpfen», sagt der Berner SVP-Regierungsrat Pierre-Alain Schnegg (58). Und was das betrifft, widerspricht er seiner Partei: Die Erfahrungen in der Romandie zeigten, dass die Schliessung der Restaurants viel bringe. «Ich verstehe, dass der Bundesrat einen Schritt voraus sein will, als dem Virus immer hinterherzurennen», so Schnegg.

SVP-Gesundheitsdirektoren aus weiteren Kantonen haben ebenfalls eine ganz andere Meinung als die Parteizentrale in Bern. Die Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli (44) hatte sich schon vor dem Bundesratsentscheid im Dezember für die Schliessung von Restaurants starkgemacht. Und der Aargauer Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati (54) hat gar die Läden geschlossen.

Einige SVPler seien «faktenresistent»

Die Vorschläge seiner Partei würden ihn bisher nicht sonderlich überzeugen, sagt der Berner Schnegg. So fordert die SVP-Spitze seit Wochen immer wieder ein besseres Schutzkonzept für Altersheime.

Doch einen konkreten Vorschlag, was man dann verbessern könne, lege die Partei nicht auf den Tisch, kritisiert ein SVP-Regierungsrat, der nicht mit Namen hinstehen will. Der Parteileitung gehe es vor allem um eins: Aufmerksamkeit zu erregen. Einige Parteiexponenten seien dabei völlig «faktenresistent», so der Vorwurf.

Widersprüchliche Forderungen

Die Forderungen der SVP sind zudem widersprüchlich. So macht sich die Partei einerseits für die Öffnung sämtlicher Betriebe stark, weil es dort «nachweislich kaum zu Ansteckungen» komme. Gleichzeitig bemängelt sie aber das Fehlen einer verlässlichen Datenbasis, um Entscheide zu fällen. Schuld am Schlamassel ist aus ihrer Sicht immer: SP-Gesundheitsminister Alain Berset (48).

Mit Fokus auf diesen vernebelt die SVP die Tatsache, dass ohne Support der Bürgerlichen keine Corona-Massnahme beschlossen werden kann. So hat sich mit Bundespräsident Guy Parmelin (61) am Schluss auch ein SVP-Bundesrat hinter den zweiten Lockdown gestellt, wie Recherchen von BLICK und anderen Medien ergaben.

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