Streit unter Richtern
Swisscoy-Offizier schockte mit Hitlergruss – bis heute straffrei

Seit vier Jahren debattieren die Richter, ob der Thurgauer Leutnant M.N.* mit seinen Nazigesten gegen die Rassismus-Strafnorm verstossen hat. Nun soll das Gesetz verschärft werden.
Publiziert: 13.11.2021 um 19:48 Uhr
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Aktualisiert: 14.11.2021 um 09:20 Uhr
Fabian Eberhard

Vier Jahre ist der Abend jetzt schon her, doch er beschäftigt die Gerichte bis heute – er liefert die Geschichte einer Schweizer Besonderheit und juristischer Wortklauberei. Denn was damals geschah, ist eigentlich längst geklärt.

Am 4. November 2017 um 23 Uhr betrat der Swisscoy-Offizier M. N.* (28) die Brandhüsli-Bar im Feldlager Prizren im Kosovo. Dort leistete der Thurgauer Dienst bei der Schweizer Truppe. In der Bar feierten Soldaten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz eine Schlagerparty.

Am Tresen reckte N. – angetrunken und in Uniform – den Arm zum Hitlergruss, schrie «Heil Hitler!» und «Sieg Heil!».

Der Thurgauer Leutnant M. N.* fiel 2017 mit Nazigesten auf. Hier posiert er mit einem Sportpokal.
Foto: zvg
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Die Umstehenden waren laut Militärjustiz «sichtlich entsetzt». Ein Bar-Angestellter forderte den Schweizer Offizier auf, die Lokalität sofort zu verlassen. N. schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht.

Freispruch vom Militärgericht St. Gallen

Es waren nicht seine ersten rechtsextremen Ausfälle. Schon während seiner Swisscoy-Ausbildung und später im Balkan-Einsatz fiel er mit Nazigesten auf. Einen Hochdeutsch sprechenden Fourier in seiner Truppe begrüsste er mit «Sieg Heil» und nannte ihn wiederholt «Obersturmfourier» – eine Anspielung auf die SS-Obersturmführer, Offiziere in Hitlers Schutzstaffel.

Für die Militärjustiz war der Fall von Anfang an klar. Sie klagte den Thurgauer Offizier wegen Rassendiskriminierung an. Das Militärgericht St. Gallen verurteilte N. daraufhin zwar wegen Trunkenheit, sprach ihn jedoch im Punkt der Rassendiskriminierung frei. Ein Jahr später stützte das militärische Appellationsgericht das Urteil. Grund: Es sei nicht klar, ob der Offizier mit den Nazigesten Dritte «werbend beeinflussen wollte».

Die Richter stützten sich auf eine Besonderheit in der Schweizer Rechtssprechung. Hierzulande ist der Hitlergruss nur dann verboten, wenn der Absender damit für den Nationalsozialismus wirbt. Wer mit der Geste bloss seine Gesinnung kundtun möchte, bleibt ungestraft. So hat es das Bundesgericht entschieden.

Nach vier Jahren Entscheid vom Kassationsgericht

Die Ankläger der Armee zogen das Urteil im Fall des Swisscoy-Offiziers weiter ans Militärkassationsgericht, die oberste Rechtsinstanz im Land.

In ihrer Beschwerde legten sie auf vielen Seiten dar, dass N. den Hitlergruss nicht nur bewusst und öffentlich gemacht, sondern damit auch andere werbend beeinflusst habe. Der Offizier habe «mit dem direkten Ziel gehandelt, im Moment der Äusserung bzw. der Geste die rassendiskriminierende Ideologie zu vermitteln und die Zustimmung oder Anerkennung der Anwesenden zu erheischen und damit in einem werbenden Sinne zu beeinflussen.»

Und tatsächlich: Nach vier Jahren gab das Kassationsgericht den Strafverfolgern der Armee recht. Das Gericht entschied, der Tatbestand der Rassendiskriminierung sei erfüllt. Damit geht der Fall zurück an die Vorinstanz. Am 26. November wird der Fall erneut am Appellationsgericht verhandelt.

Strafgesetz soll ergänzt werden

Der jahrelange Zwist zeigt, wie schwierig die Anwendung der aktuellen Rechtslage in der Realität ist. SP-Nationalrätin Gabriela Suter will mehr Klarheit schaffen. In der kommenden Session reicht sie eine parteiübergreifende parlamentarische Initiative ein.

SonntagsBlick liegt ein Entwurf vor. Demnach soll das Strafgesetz dahingehend ergänzt werden, dass die öffentliche Verwendung nationalsozialistischer Parolen und Grussformen mit Busse bestraft wird. Auch dann, wenn sie ohne Werbecharakter gezeigt werden. Ausgenommen wäre die Verwendung im Rahmen von kulturellen oder wissenschaftlichen Zwecken.

Doch die parlamentarische Initiative geht noch weiter. Suter und ihre Ratskolleginnen und Ratskollegen wollen sämtliche rassendiskriminierenden Zeichen und Gesten verbieten. Die SP-Nationalrätin sagt: «Wenn wir solche Symbole dulden, tolerieren wir damit auch die dahinterstehende rassistische Ideologie.» Deshalb müssten diese in jedem Fall verboten werden.

Probleme mit Definition strafbarer Symbole?

Im Parlament dürfte die Initiative einen schweren Stand haben. Kritiker befürchten, dass ein generelles Verbot neue Anwendungsschwierigkeiten mit sich bringe, insbesondere bei der Definition der strafbaren Symbole.

Suters parlamentarische Initiative ist nicht der erste Anlauf für ein Verbot rassistischer Symbole. 2009 hat der Bundesrat gar eine Vernehmlassung für eine entsprechende Gesetzesänderung durchgeführt. Seine Vorschläge fielen bei Parteien und Organisationen jedoch mehrheitlich durch.

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