Glättli, Moret, Grüter
Diese Politiker schönen ihre Wikipedia-Einträge

Wer heute etwas über unsere Volksvertreter in Bern erfahren will, der googelt sie – und landet oft bei Wikipedia. Nun zeigt sich: So manche Politikerin, mancher Politiker versucht, die Einträge dort zu schönen.
Publiziert: 22.12.2021 um 11:00 Uhr
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Aktualisiert: 22.12.2021 um 13:17 Uhr

Am 1. November 2017 löschte ein anonymer User mit einer IP-Adresse aus der Bundesverwaltung auf Wikipedia den Hinweis, dass der neue Bundesrat Ignazio Cassis (60), der just an diesem Tag seinen ersten Arbeitstag als Bundesrat hatte, kurzzeitig Mitglied beim Waffenlobby-Verein Pro Tell war. Die Nachwelt sollte nicht mehr an das fragwürdige Intermezzo erinnert werden. Allerdings: Der Zensurversuch blieb erfolglos. Die Wikipedia-Community fügte den Hinweis auf Pro Tell prompt wieder ein.

Was auf Wikipedia steht, erreicht die Massen. Wen wunderts, dass der eine oder die andere versucht ist, sich im Internet in einem besseren Licht darzustellen oder unangenehme Informationen zu verschweigen. Davor sind gerade auch unsere Volksvertreter in Bern nicht gefeit.

Das unabhängige Recherche-Netzwerk «Reflekt» hat erstmals alle 253 Einträge der National-, Stände- und Bundesräte analysiert. Das Resultat: Auch Parlamentarierinnen und Bundesräte gehen zum Teil kreativ mit den Fakten um. Passend zum Thema hat «Reflekt» den Artikel im Wikipedia-Design dargestellt.

Ob links oder rechts, grün oder rot: Auf Wikipedia glänzen alle Politiker gerne.
Foto: Grafik Blick
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Im Wikipedia-Design: «Reflekt»-Artikel über geschönte Politiker-Einträge.
Foto: Screenshot Blick

Glättli wollte kein Studienabbrecher sein, ...

Beispiel Balthasar Glättli (49): Der Grünen-Präsident löschte den Eintrag, dass er 2015 sein Studium abgebrochen hatte – und auch gleich noch den Hinweis auf seine Ehe mit SP-Nationalrätin Min Li Marti (47). Gegenüber dem Fernsehen SRF, das aufgrund der Recherche von «Reflekt» nachfragte, erklärte der Gründer eines Internet-Consulting-Unternehmens dies als Versehen.

Beispiel Isabelle Moret (50): Ein Mitarbeiter der Waadtländer FDP-Nationalrätin löschte einen Hinweis auf ihre Mitgliedschaft bei der IG Erfrischungsgetränke – einer Lobbygruppe für Süssgetränke. Auch diese Löschung wird ein paar Tage später rückgängig gemacht.

... Grüter wollte nicht mehr Trump-Fan

Beispiel Maya Graf (59): Die Baselbieter Grünen-Ständerätin engagierte sogar eigens eine PR-Beraterin, um ihren Wikipedia-Eintrag mit einem Werbetext aufzupolieren, in dem auf ihr «starkes Engagement» in verschiedenen politischen Bereichen hingewiesen wurde. Von SRF auf den Vorwurf der unerlaubten Werbung angesprochen, reagierte Graf mit Unverständnis: Es gehe hier einzig um Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit.

Beispiel Franz Grüter (58): Mithilfe einer PR-Agentur änderte der Luzerner SVP-Nationalrat ein Zitat über sich selbst als «wohl grösster Fan von Donald Trump im Bundeshaus». Das Zitat sei falsch, begründete Grüter. Was nicht ganz stimmte – Grüter hatte das in einem Interview mit Blick so gesagt. Es ging mehrmals hin und her, dann schaffte es die Agentur, den Trump-Hinweis zumindest abzuschwächen.

Beispiel Josef Dittli (64): Der Urner FDP-Ständerat versuchte mehrmals, den Eintrag zu löschen, wonach er sich 2018 für eine Lockerung der Kriegsmaterial-Verordnung ausgesprochen hat.

«Nicht die Idee von Wikipedia»

Vielfach hätten die Politikerinnen und Politikern sachliche Informationen statt Fehler gelöscht, resümiert der redaktionelle Leiter von «Reflekt», Christian Zeier, gegenüber der SRF-Sendung «10 vor 10». So hätten sie Wikipedia als Werbeplattform missbraucht und versucht, sich besser darzustellen: «Und das ist einfach nicht die Idee von Wikipedia.»

«Politik und Eitelkeit sind eineiige Zwillinge», bringt es Politanalyst Mark Balsiger im gleichen TV-Beitrag auf. den Punkt. Da sei es natürlich verlockend, den eigenen Wikipedia-Eintrag aufzupolieren.

Doch wer hat nun eigentlich versucht, den Eintrag von Aussenminister Cassis zu manipulieren? Das interessiere auch im Aussendepartement, erklärt sein Sprecher Michael Steiner gegenüber SRF. Man habe bei Cassis und dessen Umfeld nachgefragt, alle hätten verneint. Es habe auch keinen entsprechenden Auftrag gegeben. Cassis selbst sei es sicher nicht gewesen, versichert Steiner: «An seinem ersten Arbeitstag hat ein Bundesrat anderes zu tun.» (dba)

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