«Wir brauchen unbedingt einen höheren Selbstversorgungsgrad»
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Marcel Dettling (41):«Wir brauchen einen höheren Selbstversorgungsgrad»

Mehr Nahrungsmittel – weniger ökologisch
SVP lanciert neue Bauern-Initiative

Der Selbstversorgungsgrad bei Nahrungsmitteln sinkt. Das ärgert die SVP. Die Nationalratsmitglieder Esther Friedli und Marcel Dettling wollen mit einer neuen Initiative Gegensteuer geben. Der Selbstversorgungsgrad soll auf mindestens 60 Prozent steigen.
Publiziert: 15.08.2022 um 00:39 Uhr
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Aktualisiert: 15.08.2022 um 06:30 Uhr
Ruedi Studer (Text) und Thomas Meier (Fotos)

An der Urne landen die Bauern einen Erfolg nach dem andern. 2017 sagte das Stimmvolk Ja zu einem Ernährungssicherheits-Artikel in der Bundesverfassung. Letztes Jahr schickte die Stimmbevölkerung die Trinkwasser- und Pestizid-Initiativen wuchtig bachab. Und am 25. September dürfte die Massentierhaltungs-Initiative das gleiche Schicksal erfahren.

Den Landwirten ist trotzdem nicht zum Jubeln zumute. Denn im April hat der Bundesrat ein neues Verordnungspaket für eine nachhaltigere Landwirtschaft verabschiedet. Da müssen sie auch Kröten schlucken. So wird das Nährstoff-Reduktionsziel bei Stickstoff und Phosphor bis 2030 auf mindestens 20 Prozent hochgeschraubt. Und ab 2024 müssen mindestens 3,5 Prozent der Ackerflächen in Biodiversitätsförderflächen umgewandelt werden.

Damit dürfte der Selbstversorgungsgrad bei Nahrungsmitteln weiter sinken. 2020 betrug dieser brutto noch 56 Prozent – nachdem er 2014 letztmals über 60 Prozent lag. Und da ein Teil der Inlandproduktion auf importierten Futtermitteln beruht, liegt der Netto-Selbstversorgungsgrad sogar bei nur 49 Prozent. Tendenz sinkend – auch wegen der Bevölkerungszunahme.

Die SVP-Nationalräte Esther Friedli und Marcel Dettling wollen eine neue Bauern-Initiative lancieren.
Foto: Thomas Meier
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Friedli und Dettling planen Initiative

Der Unmut in der Bauernschaft ist gross. Auch den SVP-Nationalräten Esther Friedli (45, SG) und Marcel Dettling (41, SZ) ist der Agrarkurs des Bundesrats ein Ärgernis. Blick trifft die beiden auf Dettlings Hof in Oberiberg SZ. «Der Bundesrat übertreibt völlig und steigert damit die Auslandsabhängigkeit bei Lebensmitteln noch mehr», sagt Friedli. «Der Ukraine-Krieg führt uns vor Augen, wie wichtig die Selbstversorgung ist», fügt Dettling hinzu. «Würden die Lebensmittelimporte vollständig wegfallen, müsste jeder Zweite hungern.»

Besonders stark nerven sich die beiden über Umweltministerin Simonetta Sommaruga (62), die im Bundesrat ihre Umweltanliegen durchgedrückt habe. «Sie hat es bei der Energieversorgung verbockt, und jetzt grätscht sie auch bei der Landwirtschaft mit voller Wucht rein», wettert Dettling.

Friedli und Dettling wollen nun Gegensteuer geben. Sie sind die Köpfe hinter einer neuen Volksinitiative aus den Reihen der SVP, die noch dieses Jahr – spätestens aber Anfang 2023 – lanciert werden soll. Ein Textentwurf liegt bereits vor.

Selbstversorgungsgrad soll steigen

Die Hauptforderung: Der Selbstversorgungsgrad soll auf «mindestens 60 Prozent» steigen. «Und zwar netto», betont Dettling. Die Quote soll also um über zehn Prozent steigen. Konkret müssten die einheimischen Bauern damit ein Fünftel mehr produzieren als heute. Ein ambitioniertes Ziel.

Geht die Rechnung überhaupt auf? «Natürlich, wenn die Anreize fürs Produzieren erhöht werden statt fürs Nichtstun», ist Dettling überzeugt. «Es kann doch nicht sein, dass man als Bauer mehr verdient, wenn man Schmetterlinge zählt statt Nahrungsmittel produziert.»

So beträgt der Anteil an Biodiversitätsflächen schon heute 19 Prozent, obwohl nur sieben Prozent vorgeschrieben wären. «Es braucht mehr Anbauflächen statt Brachflächen, Buntwiesen und Steinhaufen», sagt Friedli. Ökoflächen habe es mehr als genug. Dass nun weiteres Ackerland umgewandelt werden soll, macht die beiden besonders hässig. «Es geht um 10'000 Hektaren», so Friedli. «Baut man auf dieser Fläche Brotgetreide an, kann eine Million Menschen mit Brot versorgt werden.»

Viehwirtschaft stärken

Gleichzeitig will das Duo verhindern, dass seine Initiative auf Kosten des Viehbestands geht, indem nämlich der Getreideanbau ausgeweitet und die Viehhaltung reduziert werden muss. Im provisorischen Entwurf steht deshalb, dass die Viehwirtschaft gestärkt werden soll.

«Wir haben rund 70 Prozent Grünland, das wir nur mit Wiederkäuern wie Kühen oder Schafen nutzen können», sagt Dettling. Und gerade im voralpinen Bereich seien die Tiere auch zur Landschaftspflege wichtig, um eine Vergandung und Verwaldung zu verhindern. «Das kommt auch dem Tourismus zugute.»

Bürokratie abbauen

Und schliesslich steht für die Initiative ein dritter Punkt zur Diskussion: die Reduktion der Bürokratie im Landwirtschaftsbereich. «Die aktuelle Agrarpolitik macht die Bauernfamilien zunehmend abhängiger vom Staat, mit immer mehr Anforderungen und Vorgaben», so Friedli. «Die Bauern werden dadurch immer stärker zu Bürolisten.»

Eine Entwicklung, die den beiden SVP-Nationalräten Sorgen macht. Dettling macht klar: «Unsere Initiative sorgt für einen Befreiungsschlag, damit die jungen Bauern wieder eine Zukunftsperspektive erhalten.»

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