«Mich ärgert die Scheinheiligkeit der Wolfsgegner»
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Jäger zur Abstimmung:«Jagdgesetz schafft keine sanfte Regulation»

Schafhirte und Jäger David Gerke bekämpft das neue Jagdgesetz
«Mich ärgert die Scheinheiligkeit der Wolfsgegner»

Er ist Jäger, Schafhirte und Wolfsfreund: Der Solothurner David Gerke engagiert sich an vorderster Front gegen das neue Jagdgesetz. Im BLICK-Interview erklärt er, weshalb und wie er bei der Wolfsregulierung trotzdem Lücken schliessen will.
Publiziert: 15.09.2020 um 23:07 Uhr
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Aktualisiert: 09.11.2020 um 13:49 Uhr
Ruedi Studer (Interview) und Nathalie Taiana (Fotos)

David Gerke (35) ist Projektleiter bei Pro Natura für Gewässer-Renaturierungen. Er ist aber auch Schafhirte – seit bald 15 Jahren ein Sommerjob auf verschiedenen Alpen in Graubünden und im Wallis. Ebenso ist er Jäger – jedes Jahr während 20 bis 30 Tagen auf der Pirsch. «Ich schiesse vor allem Rehe und Wildschweine für meinen eigenen Fleischkonsum», sagt er. Und er präsidiert die Gruppe Wolf Schweiz.

BLICK trifft den Solothurner im Wald an den Hängen des Jura-Südfusses. Hier ist er öfter als Jäger unterwegs. An seiner Seite immer mit dabei: Hündin Mila (8). Im Gespräch mit Blick auf das Mittelland erklärt Gerke, weshalb er sich an vorderster Front gegen das neue Jagdgesetz engagiert.

BLICK: Herr Gerke, was haben Sie lieber: Schafe oder Wölfe?
David Gerke: Ich habe beide Tiere gern. Als Schafhirte habe ich zu Schafen aber eine wesentlich persönlichere und emotionalere Beziehung als zu Wölfen. Wölfe sind für mich zwar faszinierende Wildtiere, ich sehe sie aber neutral.

Jäger und Wolfsfreund David Gerke mit seiner Hündin Mila unterwegs in den Wäldern des Jura-Südfusses.
Foto: Nathalie Taiana
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Wölfe reissen jährlich 300 bis 500 Schafe und Ziegen. Tun Ihnen diese Tiere nicht leid?
Doch, sie tun mir sehr leid. Auch ich möchte, dass möglichst wenige Schafe gerissen werden. Mir tun aber auch die über 200'000 Schafe leid, die in der Schweiz jährlich auf der Schlachtbank landen. Mich ärgert die Scheinheiligkeit der Wolfsgegner: Sie tun so, als würden alle Schafe den Alterstod sterben. Doch ein Schaf lebt nicht ewig: Wenn es nicht vom Wolf gefressen wird, landet es beim Metzger.

Heute dürfen Wölfe nur unter gewissen Bedingungen geschossen werden – zum Beispiel, wenn ein Einzeltier innert vier Monaten 35 Nutztiere reisst. Diese Hürde ist doch absurd hoch.
Wölfe dürfen insbesondere dann geschossen werden, wenn sie trotz Schutzmassnahmen eine Herde angreifen. Doch die meisten Wölfe verursachen keine Schäden. Heute werden deshalb so wenige Wölfe geschossen, weil es fast keine Problemwölfe gibt!

Der Leitwolf

David Gerke (35) ist grün durch und durch. Der Umweltwissenschaftler arbeitet bei Pro Natura, kämpft als Präsident der Gruppe Wolf Schweiz für den Schutz des Raubtiers und ist auch noch Mitglied bei den Grünen. Doch Gerke ist auch Jäger und Hirte. Er lebt in Biberist SO.

David Gerke (35) ist grün durch und durch. Der Umweltwissenschaftler arbeitet bei Pro Natura, kämpft als Präsident der Gruppe Wolf Schweiz für den Schutz des Raubtiers und ist auch noch Mitglied bei den Grünen. Doch Gerke ist auch Jäger und Hirte. Er lebt in Biberist SO.

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Sie sehen keinerlei Handlungsbedarf?
Doch. Der Wolf war während über 100 Jahren ausgerottet und ist zu Recht geschützt. Eine hohe Hürde war nötig, damit der Wolf wieder heimisch werden konnte. Jetzt gibt es in der Schweiz gut zehn Rudel mit gegen 100 Wölfen. Die Rückkehr ist gelungen. Dass man die Hürde anpasst und senkt, ist deshalb nicht falsch.

Ein Halali fürs Jagdgesetz! Dieses will ja eine Lockerung.
Nein, das neue Jagdgesetz ermöglicht ein blindes Reinschiessen in die Population. Selbst wenn es keine Schäden gibt. Wir hingegen wollen eine gezielte Regulierung dort, wo es effektiv Schäden gibt. Da sind wir auch offen für einen Kompromiss.

Und wie sieht dieser aus?
Abschüsse müssen dazu dienen, Konflikte zu vermeiden. Heute können wir erst eingreifen, wenn schon relativ viel Schaden angerichtet ist. Man sollte künftig intervenieren können, wenn ein grosser Schaden unmittelbar droht. Eine abstrakte Drohung, wie sie das neue Gesetz vorsieht, sollte aber nicht reichen.

Machen Sie ein konkretes Beispiel.
Als neue Limite soll nicht die Anzahl gerissener Tiere, sondern die Anzahl Angriffe gelten. Wenn ein Wolf innert kurzer Zeit mehrmals hintereinander eine geschützte Herde attackiert, ist ein Abschuss nötig – selbst dann, wenn erst wenige Tiere gerissen wurden. Der Abschuss muss aber nahe bei der Herde stattfinden, damit das Rudel daraus lernt. Wölfe sind nämlich intelligente Tiere. Eine solche Regelung wäre bereits mit dem heutigen Gesetz möglich.

Sie betonen, dass ein Abschuss nur bei durch Zäune oder Hunde geschützten Herden erlaubt sein soll. Wer nicht aufpasst, ist selbst schuld?
Wölfe fressen Fleisch, sie sind keine Veganer! Deshalb führt kein Weg am Herdenschutz vorbei. Das neue Jagdgesetz hingegen suggeriert, dass es auch ohne Herdenschutz geht. Doch wir wehren uns dagegen, dass Wölfe abgeschossen werden, die ungeschützte Herden angreifen. Ein Abschuss darf nur die letzte Massnahme sein, wenn alle sonstigen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.

Es gibt auch Wölfe, welche die Scheu vor den Menschen verlieren und in Dörfer streifen. Was schlagen Sie hier vor?
Wenn sich ein Rudel mehrfach dem Siedlungsgebiet nähert, können Jungwölfe schon heute geschossen werden. Nähert sich aber nur ein Einzelwolf, sieht das Gesetz keinen Abschuss vor. Diese Lücke muss man tatsächlich schliessen. Dafür reicht eine Verordnungsanpassung durch den Bundesrat – dafür braucht es kein umfassendes Abschussgesetz.

Sie sind Jäger. Würden Sie persönlich einen Problemwolf erlegen, wenn Sie den Auftrag dazu hätten?
Nein, als Jäger würde ich einen solchen Auftrag ablehnen. Ich will keinen Wolf schiessen. Als Schafhirte hingegen würde ich in letzter Konsequenz einen Wolf erlegen, wenn er anders nicht von meiner Herde zu vertreiben ist und er den Herdenschutz überwindet. Der Abschuss wäre aber das allerletzte Mittel, nicht das erste.

Sie vertreten als Jäger im Nein-Lager nur eine Minderheit. Die grossen Jagdverbände stehen hinter dem neuen Gesetz.
Die Jagdverbände machen einen strategischen Fehler. Die erleichterte Wolfsregulierung ist eine Forderung der Landwirtschaft. Die Jagdverbände machen sich nun zum Vollzugsgehilfen der Landwirtschaft. Wenn Jäger den Abschuss geschützter Arten fordern, ist das hochproblematisch und schadet unserem Image.

Heute gibt es in der Schweiz rund zehn Rudel mit gegen 100 Wölfen. Wie viele Tiere erträgt das Land?
Ökologisch haben wir Platz für sehr viele Wölfe. Wir leben aber in einer Kulturlandschaft, deshalb ist die soziale Verträglichkeit entscheidend. Das ist ein ständiges Herantasten. So ist auch die regionale Akzeptanz des Wolfs sehr unterschiedlich. Im Tessin gibt es ein Wolfsrudel, das nur marginale Widerstände auslöst. Und auch im Jurabogen verläuft die Rückkehr des Wolfs bisher unproblematisch.

Im Abstimmungskampf steht der Wolf im Fokus, doch es gibt viele positive Punkte für den Naturschutz: Die meisten Wildentenarten werden geschützt, und es gibt mehr Geld für Schutzgebiete.
Natürlich gibt es im Gesetz auch positive Punkte, doch unter dem Strich sind die Verbesserungen marginal. In der Praxis ändert sich damit wenig. Die negativen Punkte hingegen überwiegen massiv. So könnten schon bald weitere geschützte Arten wie Luchs und Biber auf der Abschussliste landen. Ein Nein zu diesem Jagdgesetz hingegen schafft die Chance für einen neuen Anlauf, in dem der Artenschutz ein höheres Gewicht erhält.

Heute Mittwoch, um 18 Uhr, findet auf Blick TV der «BLICK-Abstimmungs-Kampf» zum Jagdgesetz statt. Moderiert von Blick-TV-Chefredaktor Jonas Projer kreuzen Bauernpräsident Markus Ritter und Urs Leugger von Pro Natura die Klingen. Und Sie bestimmen, wer das Rededuell gewinnt. Hier erfahren Sie mehr dazu.

Alle Abstimmungen auf einen Blick

Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.

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