Letzte welsche Studi-Party fand ohne Masken und Abstand statt
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Gesundheitsdirektorin Waadt:«Versuchen Lockdown mit aller Kraft zu vermeiden»

Regierungsrätin Ruiz warnt vor Kollaps des Gesundheitssystems
«Unsere Spitäler sind quasi voll»

Die Waadt hat alles verspielt: Die Regierung blieb trotz warnender Anzeichen untätig. Nun explodieren die Corona-Fallzahlen geradezu und drohen, die Spitäler zu überfordern. Doch der Kanton behauptet weiter, alles im Griff zu haben.
Publiziert: 15.09.2020 um 23:07 Uhr
|
Aktualisiert: 17.09.2020 um 21:09 Uhr
  • Corona-Alarm in der Waadt
  • Mehr schwere Erkrankungen
  • Regierungsrätin Ruiz warnt vor Kollaps
Die Zahlen steigen und steigen: Waadts Gesundheitsdirektorin Rebecca Ruiz an der Medienkonferenz am Dienstag.
Foto: Keystone
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Noa Dibbasey, Lea Hartmann, Rebecca Spring und Ruedi Studer

Am Donnerstag um 15 Uhr zieht die Waadt die Schraube an. Ab dann gelten im drittgrössten Kanton der Schweiz die strengsten Corona-Massnahmen im Land: Die Maskenpflicht wird von Geschäften auf sämtliche öffentliche Gebäude wie Kinos, Bibliotheken, Museen und Amtsstellen ausgeweitet.

Sogar in Restaurants müssen Gäste eine Maske tragen, wenn sie nicht gerade am Tisch sitzen. Nachtclubs müssen wieder schliessen, Veranstaltungen mit über 100 Personen sind verboten. Vorerst bis Ende Oktober.

«Die Situation ist entgleist»

Waadt war gezwungen zu handeln, wie Gesundheitsdirektorin Rebecca Ruiz (38) gegenüber BLICK zugibt: «Angesichts der Kurve, die nicht aufhört zu steigen, müssen wir nun Massnahmen treffen.» Der Kanton registrierte in den vergangenen zwei Wochen mit Abstand am meisten Neuinfektionen. Jeder dritte Test mit positivem Ergebnis stammt derzeit aus der Waadt. 193 Fälle waren es am Sonntag, die Positiv-Rate liegt derzeit bei 6,5 Prozent. Zum Vergleich: Im Kanton Zürich wurden am selben Tag 71 Infektionen gemeldet. Nur 2,5 Prozent der Tests fallen dort positiv aus.

Roger Nordmann (47), Waadtländer Nationalrat und SP-Fraktionspräsident, spricht angesichts der Zahlen Klartext: «In den letzten zwei Wochen ist die Situation bei uns entgleist.» Er hoffe, dass die Verschärfungen Wirkung zeigen.

Laut Ruiz sind bereits Schritte geplant, sollte das nicht der Fall sein. «Wir tun alles, um einen erneuten Lockdown zu verhindern», beteuert sie.

Beim Contact Tracing am Anschlag

Bedingung dafür ist, dass der Kanton mit dem Contact Tracing nachkommt. Doch daran bestehen Zweifel. Knapp 2000 Waadtländerinnen und Waadtländer befinden sich derzeit in Quarantäne, weil sie Kontakt mit einer infizierten Person hatten. Hinzu kommen 900 Personen, die aus einem Risikogebiet einreisten. Betroffene berichten, dass sie erst nach mehreren Tagen kontaktiert worden seien. Es wird Kritik laut, die Waadt nehme es bei der Nachverfolgung der Infektionsketten nicht sonderlich ernst.

Der Kanton hingegen behauptet, die Rückverfolgung im Griff zu haben. In der vergangenen Woche habe man die Kapazitäten verdoppelt – mit Zivilschützern. Insgesamt 100 Personen stünden derzeit im Einsatz.

Immer mehr Senioren erkranken schwer

Die Folge der explodierenden Fallzahlen: Die Spitäler sind zunehmend überlastet. «Sie sind quasi voll», sagt Ruiz. Nicht wegen Corona, sondern weil im Gegensatz zur ausserordentlichen Situation im Frühling der ganz normale Betrieb laufe. «Wenn es viele Infektionen gibt, die zu Hospitalisierungen führen, können wir sehr schnell überlastet sein», warnt sie.

Besorgniserregend ist, dass die Zahl der Senioren zugenommen hat, die schwer erkranken. «Im Vergleich zum Vormonat sind unter den Hospitalisierten immer mehr Personen über 65 Jahren», so Ruiz. 33 Corona-Patienten waren am Sonntag in einem Waadtländer Spital – 23 davon sind über 65 Jahre alt. Im letzten Monat sind in Altersheimen neun Personen gestorben.

Den Grund für die gefährliche Entwicklung? Die Waadtländer Regierung hat keine Ahnung. Es ist unklar, ob der Trend auch schweizweit zu beobachten ist. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) teilt mit, die Zahlen derzeit genauer zu analysieren.

Waadt schaute zu lange nur zu

Eine weitere Frage ist, weshalb ausgerechnet die Waadt zum Corona-Hotspot geworden ist. Ruiz schiebt die Schuld der Bevölkerung zu. «Im privaten Rahmen halten sich die Menschen nicht mehr an die Regeln», sagt sie. Jacqueline de Quattro (60), Waadtländer FDP-Nationalrätin und ehemalige Regierungsrätin, vermutet, dass sich die Bevölkerung von den Corona-Massnahmen eingeengt gefühlt habe. «Die Leute wollten wieder leben und den Sommer geniessen.»

Doch das dürfte nicht nur für die Waadtländer gelten. Vielmehr hat die Kantonsregierung wohl zu lange zugeschaut. Vor gut zwei Monaten gehörte der Kanton zwar zu denjenigen, die mit einer Maskenpflicht in Geschäften vorpreschten. Offensichtlich hat das aber nichts genützt. Nun liess sich die Regierung lange Zeit, um wirklich durchzugreifen.

De Quattro sagt ernüchtert, dass die Waadtländer gedacht hätten, die ganze Sache sei vorüber. «Da haben wir uns ein wenig zu früh gefreut. Nun ist das Virus wieder da.»

Andere Kantone haben genügend Spitalbetten

In den Spitälern im Kanton Waadt herrscht absolute Alarmstimmung: «Es könnte bald passieren, dass ein Spital keine Kapazität mehr hat», sagte Regierungsrätin Rebecca Ruiz (38). Sie warnt: «Unsere Spitäler sind quasi voll.» Wie sieht es im Rest der Schweiz aus?

«Stabil», heisst es vom Bundesamt für Gesundheit (BAG). Seit Mitte Juli kämen im Schnitt pro Woche rund 46 Covid-Patienten ins Spital und 32 werden täglich auf einer Intensivstation betreut. Im wöchentlichen Situationsbericht des BAG ist die Auslastung von Schweizer Intensivbetten dann mit rund 75 Prozent ebenfalls im normalen Bereich.

Allgemein hat die Anzahl der Corona-Patienten zwar wieder leicht zugenommen, melden viele Spitäler. Im Kanton Genf werden aktuell wöchentlich elf Corona-Patienten hospitalisiert, nachdem die Zahl im Juli kurz auf null gesunken ist. Das Universitätsspital Zürich (USZ) meldet: «Die Zahl der Covid-19-Patienten hat in letzter Zeit wieder zugenommen.» Aber: An der Grenze der Kapazität sei man noch nicht angekommen, heisst es doch relativ entspannt. Verbunden mit dem Verweis: Die Lage könne sich schnell ändern. «Bei Bedarf kann das USZ seine Kapazitäten wieder erweitern und die entsprechenden Prozesse innerhalb kurzer Zeit hochfahren.»

Eine ähnliche Antwort kommt aus dem zürcherischen Kantonsspital Winterthur: «Aktuell (Stand gestern) haben wir drei stationäre Patientinnen und Patienten mit Covid-19, davon eine Person auf der Intensivstation.» Allerdings: ein klarer Anstieg der Covid-Patienten sei im Spital in den letzten vier bis sechs Wochen feststellbar gewesen.

In Schaffhausen herrschte sogar – kurz – Jubelstimmung. Zum zweiten Mal seit Ausbruch der Pandemie waren keine Covid-Patienten im Kantonsspital, vermeldete das Gesundheitsamt diese Woche. Das hatte es seit dem 8. Juli nicht mehr gegeben. Eine kurze Freude: Momentan wird wieder ein Verdachtsfall hospitalisiert. Michael Sahli

In den Spitälern im Kanton Waadt herrscht absolute Alarmstimmung: «Es könnte bald passieren, dass ein Spital keine Kapazität mehr hat», sagte Regierungsrätin Rebecca Ruiz (38). Sie warnt: «Unsere Spitäler sind quasi voll.» Wie sieht es im Rest der Schweiz aus?

«Stabil», heisst es vom Bundesamt für Gesundheit (BAG). Seit Mitte Juli kämen im Schnitt pro Woche rund 46 Covid-Patienten ins Spital und 32 werden täglich auf einer Intensivstation betreut. Im wöchentlichen Situationsbericht des BAG ist die Auslastung von Schweizer Intensivbetten dann mit rund 75 Prozent ebenfalls im normalen Bereich.

Allgemein hat die Anzahl der Corona-Patienten zwar wieder leicht zugenommen, melden viele Spitäler. Im Kanton Genf werden aktuell wöchentlich elf Corona-Patienten hospitalisiert, nachdem die Zahl im Juli kurz auf null gesunken ist. Das Universitätsspital Zürich (USZ) meldet: «Die Zahl der Covid-19-Patienten hat in letzter Zeit wieder zugenommen.» Aber: An der Grenze der Kapazität sei man noch nicht angekommen, heisst es doch relativ entspannt. Verbunden mit dem Verweis: Die Lage könne sich schnell ändern. «Bei Bedarf kann das USZ seine Kapazitäten wieder erweitern und die entsprechenden Prozesse innerhalb kurzer Zeit hochfahren.»

Eine ähnliche Antwort kommt aus dem zürcherischen Kantonsspital Winterthur: «Aktuell (Stand gestern) haben wir drei stationäre Patientinnen und Patienten mit Covid-19, davon eine Person auf der Intensivstation.» Allerdings: ein klarer Anstieg der Covid-Patienten sei im Spital in den letzten vier bis sechs Wochen feststellbar gewesen.

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