Plötzlich für Atomförderprogramm
Was ist denn mit den Grünen los?

Der Kampf gegen Atomenergie liegt in der DNA der Grünen. Nun aber unterstützen sie ein EU-Atomförderprogramm. Damit überraschen sie Freund und Feind.
Publiziert: 07.12.2020 um 08:01 Uhr
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Aktualisiert: 07.12.2020 um 12:48 Uhr
Daniel Ballmer

Es war die Geburtsstunde der Grünen: der Widerstand gegen das AKW Kaiseraugst Mitte der 70er-Jahre. Die AKW-Pläne sind gescheitert, der Widerstand gegen die Atomenergie ist geblieben. Vor zwei Jahren kämpfte die Partei für ihre Atomausstiegs-Initiative, welche die Laufzeit der Schweizer AKW befristen wollte – erfolglos. Der Atomausstieg der Schweiz ist dennoch beschlossene Sache. Dieses Ziel ist in der DNA der Grünen tief verwurzelt.

Ist nun plötzlich alles anders? Haben die Grünen den Kampf aufgegeben? Es scheint so. Denn wie ein umgekehrter Handschuh sind die Grünen urplötzlich für die Förderung neuer Atomkraftwerke. So unterstützen sie das «Euratom»-Atomföderprogramm der EU. Rund 410 Millionen Franken soll die Schweiz in den nächsten sieben Jahren in das Projekt buttern.

Alles mit dem Segen der Grünen

Ziel ist etwa die Entwicklung neuer Reaktortypen. Subventioniert werden soll auch ein Kernfusionsreaktor in Südfrankreich, an dem bereits seit 2007 gebaut. Alles, obwohl die Schweiz den Atomausstieg beschlossen hat. Alles mit dem Segen der Grünen.

Die Schweiz soll sich mit über sechs Milliarden Franken am EU-Forschungsprogramm «Horizon» beteiligen.
Foto: Keystone
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Das Atomförderprogramm ist Teil des EU-Forschungsprogramms «Horizon Europe» 2021–2027. Für dieses hat der Ständerat die nötigen Gelder von total 6,15 Milliarden Franken bereits im September gesprochen. Der Nationalrat wird in der laufenden Wintersession darüber befinden.

SP fordert Teilausstieg aus EU-Atomprogramm

Die Beteiligung am EU-Atomförderprogramm Euratom sei nicht vereinbar mit der Energiestrategie der Schweiz, die den Ausstieg aus der Atomenergie vorsieht. Das steht für die SP fest. Mit einer Motion fordert Nationalrat Mustafa Atici (51) den Bundesrat daher auf, einen Ausstiegsplan vorzulegen. Die Schweizer Beteiligung sei schrittweise bis spätestens 2027 zu beenden. Aber nur teilweise: Bei der Forschung zur sicheren Entsorgung radioaktiver Abfällen sowie für Technologien zum Abbau von Atomanlagen solle die Schweiz weiter mitmachen. (dba)

Für SP-Nationalrat Mustafa Atici ist die Beteiligung am EU-Atomförderprogramm nicht vereinbar mit der Schweizer Energiestrategie.
Stefan Bohrer

Die Beteiligung am EU-Atomförderprogramm Euratom sei nicht vereinbar mit der Energiestrategie der Schweiz, die den Ausstieg aus der Atomenergie vorsieht. Das steht für die SP fest. Mit einer Motion fordert Nationalrat Mustafa Atici (51) den Bundesrat daher auf, einen Ausstiegsplan vorzulegen. Die Schweizer Beteiligung sei schrittweise bis spätestens 2027 zu beenden. Aber nur teilweise: Bei der Forschung zur sicheren Entsorgung radioaktiver Abfällen sowie für Technologien zum Abbau von Atomanlagen solle die Schweiz weiter mitmachen. (dba)

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Dass die Grünen dabei auch das Atomförderprogramm scheinbar vorbehaltlos unterstützen, sorgt im Parlament wahlweise für Schmunzeln oder Stirnrunzeln. «Sonst machen sie ein Riesen-Tamtam bei jedem Gartenschlauch, der Pestizide enthalten könnte. Aber hier rühren sie keinen Finger», kommentiert ein Parlamentarier, der anonym bleiben will.

Verunsicherung bei den Grünen

«Bei uns Grünen hat natürlich kein Sinneswandel stattgefunden», versichert Parteipräsident Balthasar Glättli (48). «Wir stehen nach wie vor für einen möglichst raschen Atomausstieg.» Immerhin aber enthalte das EU-Programm auch sinnvolle Projekte wie die Forschung zur Entsorgung atomarer Abfälle. «Das wird uns noch Zehntausende Jahre beschäftigen.»

Und: Bisher habe der Bundesrat den Standpunkt vertreten, das EU-Forschungsprogramm sei nur inklusive des Atomförderprogramms zu haben. Grünen-Nationalrat Fabien Fivaz (42) überlegt sich dennoch, für die Ratsdebatte einen Einzelantrag einzureichen, um Teile aus dem Programm streichen zu können. «Wir sind allerdings unsicher, ob wir eine Niederlage im Parlament riskieren wollen», sagt Fivaz. Denn langfristig könnte so die Atomförderung sogar wieder gestärkt werden.

SP fühlt sich von Grünen zu wenig unterstützt

Bei der Ratslinken gibt man sich damit nicht zufrieden. Auch SP-Energiepolitiker Eric Nussbaumer (60) nicht. Er hat selber bereits während der Vorberatung in der Aussenpolitischen Kommission für einen früheren Ausstieg aus dem Atomprogramm votiert, verrät er auf Anfrage von BLICK. Schliesslich gelten für die Efta/EWR-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein ebenfalls Ausnahmen.

«In der Kommission war allerdings wenig Unterstützung zu spüren», sagt Nussbaumer diplomatisch. Auch nicht von den Grünen. Eigentlich aber sollte die Schweiz das Programm vollständig verlassen, findet der SP-Nationalrat. «Immerhin hat die Bevölkerung den Atomausstieg beschlossen.»

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