FDP-Talfahrt bringt Cassis' Bundesratssitz ins Wanken
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Gössi macht mal Weiterbildung:FDP-Talfahrt bringt Cassis' Bundesratssitz ins Wanken

Parteichefin Petra Gössi denkt schon an ihre berufliche Zukunft
FDP-Talfahrt bringt Cassis' Bundesratssitz ins Wanken

Die FDP stolpert von Wahlschlappe zu Wahlschlappe. Setzt sich der Abwärtstrend fort, steht der zweite Bundesratssitz zur Debatte. Erst recht, weil den Freisinnigen in wichtigen Themen derzeit eine klare Linie fehlt.
Publiziert: 09.03.2021 um 01:41 Uhr
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Aktualisiert: 25.04.2021 um 17:33 Uhr
Ruedi Studer

Mitten in der Frühlingssession verabschiedet sich FDP-Chefin Petra Gössi (45) zur Weiterbildung an die Uni St. Gallen. Just in jener Woche, in welcher der Nationalrat das Covid-19-Gesetz debattiert, fehlt die freisinnige Präsidentin – ein symptomatisches Bild für ihre Partei.

Man stelle sich vor: Bei der Beratung des Gesetzes, mit dem die Schweiz ihre schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg meistern will, kümmert sich Gössi lieber um die eigene Berufsqualifikation für die Zeit nach dem FDP-Job.

20 Sitze verloren

Derweil stolpert die Partei von Wahlschlappe zu Wahlschlappe – am Sonntag auch in Solothurn: Vier Kantonsratssitze gingen flöten. Sogar sechs, zählt man die Sitze von zwei in der Legislatur zur FDP gewechselten BDPlern dazu. In der Stadt Freiburg flog die FDP aus der Exekutive. Und in Genf warf der von der FDP ausgeschlossene Pierre Maudet (43) den freisinnigen Kandidaten für den Staatsratssitz aus dem Rennen. Einzig im Wallis durfte sich die FDP über einen Sitzgewinn im Grossen Rat freuen.

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Die Tendenz ist deutlich: Seit den Nationalratswahlen im Oktober 2019 hat die FDP in zehn kantonalen Parlamenten 20 Mandate verloren – so viel wie keine andere Partei. Mit aktuell 534 Mandaten schweizweit liegt sie nur noch knapp vor der SVP mit 532 Sitzen.

Im Corona-Clinch

Die FDP steckt in der Krise. Und das hat vor allem einen Grund: Es fehlt ihr ein klares Profil. In den Schlüsselthemen ist sie gespalten. Das zeigt sich gerade bei der Corona-Politik, in der die FDP mit ihren eigenen Bundesräten im Clinch ist. Die Partei läuft mit ihrer Forderung nach sofortiger Öffnung schon bei ihren eigenen Magistraten auf.

In ihrem Ärger wollen freisinnige Wirtschaftspolitiker Öffnungsdaten im Gesetz fixieren und Maulkörbe für Wissenschaftler verteilen. Und das ausgerechnet in der Wirtschaftskommission, in der die FDP mit den Schwergewichten Gössi und Fraktionschef Beat Walti (52) sitzt. Und jetzt wird plötzlich Hinterbänklerin Daniela Schneeberger (53, BL) zu ihrer Wortführerin.

Selbst in den eigenen Reihen heisst es jetzt: In der Corona-Politik trottet die FDP bloss noch der SVP hinterher, statt pragmatischen Lösungen zum Durchbruch zu verhelfen.

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Hickhack um EU-Rahmenabkommen

Die Kakophonie innerhalb der Partei zeigt sich exemplarisch bei der Positionierung zum Rahmenabkommen mit der EU. Hier zerfleischen sich die Parteiexponenten gegenseitig. Aus dem Vernunfts-Ja ist ein Hickhack geworden.

FDP-Aussenminister Ignazio Cassis (59) zaudert bei seinem wichtigsten Dossier, und alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann (69) bemängelt faktisch mit seiner Fundamentalkritik seine frühere Arbeit zum Rahmenabkommen. Damit schlägt der einstige Wirtschaftsminister eine Bresche in die freisinnigen Reihen. Prominente Unternehmer haben sich in einem Nein-Komitee zusammengeschlossen, während der Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann (58) ein Unterstützerkomitee zusammenzutrommeln versucht, das einfach mal «blind» Ja sagt zum Rahmenabkommen – egal was die Nachverhandlungen der drei noch offenen Punkte Unionsbürgerrichtlinie, staatliche Beihilfen und Lohnschutz ergeben.

Aber auch in der Klimapolitik kann die FDP nicht punkten. Zwar unterstützt sie das CO2-Gesetz unter einem liberalen Gesichtspunkt, wie Gössi in einem BLICK-Interview betont hat. Doch mit dieser Haltung gewinnt sie keinen Blumentopf. Ökologisch eingestellte Wähler verliert sie trotzdem an die Grünliberalen und die mit dem grüneren Kurs Unzufriedenen an die SVP. Der Groll der Erdöl-Lobbyisten in der Partei ist ebenfalls noch nicht verraucht.

Zweiter Bundesratssitz wackelt

Und schon tauchen am Horizont weitere dunkle Wolken auf. Denn mit dem derzeitigen Abwärtstrend gerät der zweite Bundesratssitz 2023 immer mehr in Gefahr. Die auf einer Erfolgswelle reitenden Grünen beanspruchen einen der beiden FDP-Sitze für sich. Und auch die neue Mitte-Partei ist in Lauerstellung. Legen die Grünen in zwei Jahren weiter zu und sinkt die FDP in der Gunst der Wählerschaft ganz nach dem derzeitigen Trend weiter, ist der Sitz nur noch schwer zu halten.

Dabei glänzen derzeit gleich beide FDP-Bundesräte nicht. Justizministerin Karin Keller-Sutter (57) muss nach dem Ja zur Burka-Initiative und dem Nein zur E-ID gleich einen Doppelschlag verdauen. Doch wirklich zittern muss Cassis. Ausser bei der letztjährigen Corona-Rückholaktion hat der Tessiner als Magistrat kaum je «bella figura» gemacht, und das zentrale EU-Dossier hat er tief in den Sumpf gefahren. So gibt es mehrere Stimmen, die mit einem freiwilligen Abgang von Cassis rechnen, sollte ihm 2023 die Abwahl drohen.

FDP-Vize Caroni ortet bereits Trendwende

FDP-Vizepräsident und Ständerat Andrea Caroni (40, AR) hingegen macht sich um die Bundesratssitze keine Sorgen. «Niemand weiss, wie die Wahlen 2023 ausgehen – vielleicht ist die grüne Welle bis dahin längst verebbt», sagt er zu BLICK. Denn für die freisinnige Durststrecke macht er die politische Grosswetterlage verantwortlich, die derzeit auf Grün stehe. «Darunter leiden aber auch die anderen Bundesratsparteien.»

Dass seine Partei bei wichtigen Themen wie dem Rahmenabkommen oder der Corona-Politik zwischen Stuhl und Bank gerät, streitet Caroni gar nicht ab. «Uns geht es nicht um plakative Positionen, sondern um eine sinnvolle Güterabwägung.» Und mit Blick auf den Sitzgewinn im Wallis versprüht er bereits Optimismus: «Das ist vielleicht schon der Beginn der Trendwende.»

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