Léonore Porchet (Grüne) gegen Martin Candinas (Mitte)
Soll die Schweiz noch in Panzer investieren?

Streit über die Sprachgrenze: Alle zwei Wochen debattieren Léonore Porchet (Grüne) und Martin Candinas (Mitte) über ein aktuelles Thema. Heute auf dem Programm: die am Dienstag vom Parlament beschlossenen Ausgaben für die Armee.
Publiziert: 12.06.2021 um 15:02 Uhr
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Aktualisiert: 26.06.2021 um 11:24 Uhr
Sermîn Faki und Adrien Schnarrenberger

Es war eine hektische Woche im Parlament. Die Abstimmungen vom Sonntag (fünf Vorlagen!) sind in aller Munde, und die Erhöhung des AHV-Alters für Frauen war das grosse Thema. So sehr, dass andere in den Hintergrund traten, einschliesslich der Armeebotschaft.

Am Dienstag debattierten die Parlamentarier mehrere Stunden lang über den Entwurf, der die Zukunft der Armee definieren soll: Rüstung, Immobilien und die Beschaffung der Ausrüstung.

Die Grünen-Nationalrätin Léonore Porchet (31) war Teil der Minderheit im der zuständigen Kommission, die den Entwurf nicht weiterverfolgen wollte. Porchét wählt nun dieses Thema für unsere erste Ausgabe von «Blick-Pong» gegen Martin Candinas (Mitte), den zweiten Vizepräsidenten des Nationalrats.

Das ist der Blick-Pong

Deutschschweiz und Romandie ticken einfach anders – auch in der Politik. Wie sehr, zeigt sich im neuen Format Blick-Pong.

Dabei duellieren sich je zwei Politiker über den Röstigraben hinweg – und zwar per Whatsapp. Das Thema wird von der Blick-Redaktion vorgegeben und dann geht es los. Ist fertig gestritten, wird der Chat veröffentlicht.

Für den Blick-Pong werden sich im Wochenwechsel folgende Duos schreiben:

  • SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (33, ZH) vs. FDP-Vizepräsident Philippe Nantermod (37, VS)
  • Mitte-Nationalrat Martin Candinas (40, GR) vs. die grüne Nationalrätin Léonore Porchet (31, VD)

Deutschschweiz und Romandie ticken einfach anders – auch in der Politik. Wie sehr, zeigt sich im neuen Format Blick-Pong.

Dabei duellieren sich je zwei Politiker über den Röstigraben hinweg – und zwar per Whatsapp. Das Thema wird von der Blick-Redaktion vorgegeben und dann geht es los. Ist fertig gestritten, wird der Chat veröffentlicht.

Für den Blick-Pong werden sich im Wochenwechsel folgende Duos schreiben:

  • SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (33, ZH) vs. FDP-Vizepräsident Philippe Nantermod (37, VS)
  • Mitte-Nationalrat Martin Candinas (40, GR) vs. die grüne Nationalrätin Léonore Porchet (31, VD)
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Blick: Frau Porchet, ist es nicht verschwendete Energie, 2021 gegen die Armee zu sein, wenn sich die Bevölkerung 2013 erneut für das Pflichtmodell ausgesprochen hat (73,2% Ja)? Was sind Ihre Beschwerden? Sie haben freies Feuer, damit die Debatte zu eröffnen 😉.

Cyber-Attacken, Beeinflussung und Desinformation, Terrorismus, Katastrophen und Notfälle. Vor allem aber Klimagefahren und Pandemien. Diese Herausforderungen hat das VBS selbst beim Thema Sicherheit identifiziert.

Nichts davon braucht eine Schweizer Armee, wie sie heute ist: überbewaffnet, veraltet und sehr umweltschädlich (220'000 Tonnen CO2/Jahr gegenüber 40'000 für die übrige Verwaltung). Das «Greenwashing» in den Medienmitteilungen ändert nichts: Die Schweizer Armee wird den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gerecht!

Das Konfliktbild hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Die Bedrohungen werden zunehmend hybrider und damit vielschichtiger und komplizierter. Dieser Herausforderung muss die Schweizer Armee noch mehr gerecht werden. VBS-Chefin Viola Amherd hat beispielsweise mit der Cyber-Strategie klar gemacht, dass die sicherheitspolitische Bedeutung des Cyberraums für den Schutz unseres Landes in Zukunft hohe Priorität hat.

Auch hat die Schweizer Armee bewiesen, dass sie auf Pandemien sehr gut vorbereitet ist. Bis zu 6000 Soldaten waren gleichzeitig im Einsatz und haben das Gesundheitswesen in vielen Kantonen unterstützt. Zu behaupten die Schweizer Armee werde den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gerecht, grenzt übrigens fast an Desinformation, liebe Léonore!

Schön, dass du auf das Thema Mobilisierung während der Pandemie zu sprechen kommst, lieber Martin: Nach Jahrzehnten ohne Einsatz war das die Gelegenheit für die Schweizer Armee, ihren Nutzen zu beweisen.

Zivile Kräfte wären aber besser geeignet gewesen. Denn bei der Pandemie handelte es sich ausschliesslich um Einsätze im nichtmilitärischen, zivilen Bereich.Ausserdem gab es mehrere Probleme. Es wurde zu viel mobilisiert (junge Leute spielten in Kasernen Karten, statt sich ihrem Studium zu widmen), dann gab es Beschwerden von schlecht begleiteten Soldaten, ohne psychologische Betreuung, und obendrein auch noch Ausbrüche in einigen Kasernen 🤦‍♀️

Dazu kommt: Als vorgeschlagen wurde, in den Altersheimen zu intervenieren, wo es auch die meisten Todesfälle gab, hatte die Armee «andere Prioritäten».

Du hast aber in einem Punkt recht: Die Art der Gefahren hat sich verändert. Und das Militär ist eindeutig nicht die richtige Antwort darauf, vor allem in den Bereichen Gesundheit und Umwelt ➡️ es ist die Zivilgesellschaft, die diese Mittel haben muss, um auf (reale) Risiken zu reagieren!

Du hast vorher geschrieben, dass sich die Armee auf neue Herausforderungen konzentrieren muss, so auch auf Pandemien. Jetzt willst du plötzlich diese Aufgabe den Zivilen übertragen. Das zeigt klar, dass du die Armee nicht auf neue Herausforderungen ausrichten, sondern sie schlichtweg abschaffen willst.

Wir dürfen nicht den Fehler machen anzunehmen, dass eine Bedrohung die andere ersetzt. Sie summieren sich, was der Armee noch eine höhere Bedeutung verleiht, da diese breit aufgestellt ist.

Zwei Punkte noch zur Mobilmachung der Armee. Diese war einzigartig. Keine andere Organisation kann innert Wochen mehrere Tausend Personen aufbieten. Wenn zu viele Leute aufgeboten wurden, ist dies der beste Beweis für funktionierende Strukturen. Und noch etwas. Die Anzahl aufgebotene Personen erfolgte nach dem angemeldeten Bedürfnis der Kantone.

Interessanterweise haben gerade Westschweizer Kantone, die von rot/grün dominiert werden, in der Pandemie am meisten die Armee angerufen und Soldaten auf Vorrat bestellt. Modernisieren wir gemeinsam die Armee. Passen wir diese den zukünftigen Bedrohungen an. Aber philosophieren wir bitte nicht über Gesundheit und Umwelt zu Lasten der Sicherheit!

Was ich kritisiere, ist, dass die Armee Milliarden für Waffen ausgibt, von denen sie selbst sagt, dass sie nutzlos sind. Gerade heute Morgen hat das Parlament eine halbe Milliarde für Panzer genehmigt, die keiner Bedrohung entsprechen. Wir sind in einem Spielzeugladen!

Dieses Geld wäre an anderer Stelle nützlicher. Und wenn wir uns die vom VBS selbst identifizierten Risiken wirklich anschauen, sollte es an die Zivilgesellschaft gehen. Denn die Risiken sind hauptsächlich ziviler Natur, denken wir an die globale Erwärmung.

Das ist es, was auf dem Spiel steht: Wir dürfen militärische Macht nicht mit Sicherheit verwechseln. Gesundheits- und Umweltfragen sind Fragen der Sicherheit.

Langfristig werden wir sehen, welche Bereiche der Armee wirklich nützlich sind. Aber es ist möglich, dass wir zum Schluss kommen müssen, dass die Armee nutzlos ist und abgeschafft werden sollte.

Die Schweiz gibt sicher nicht Geld für Waffen aus, die nutzlos sind. Die Armeebotschaft wurde sorgfältig vorbereitet. Vergleicht man die Ausgaben im Sicherheitsbereich, so sind diese im Vergleich zu anderen Ausgaben immer noch sehr moderat. Auch im internationalen Vergleich ist die Schweiz nicht für übermässige Ausgaben bekannt.

Und doch muss auch die Schweiz ihren Anteil leisten. So ist es meines Erachtens auch richtig, dass die heutigen Panzer, die seit 1963 im Einsatz sind, ersetzt werden. Und es werden nicht alle Panzer ersetzt, sondern das VBS prüft, über welche Fähigkeiten die Armee verfügen soll und rüstet und bildet diese entsprechend aus.

Und übrigens: Auch heute und in Zukunft braucht es gepanzerte Fahrzeuge. Diese stellen die Mobilität sicher, errichten und beseitigen Hindernisse, entfernen Sperren oder öffnen Minengassen. Ich weiss nicht, was daran nutzlos sein soll.

Wir haben heute aber auch 200 Millionen Franken für den Ausbau der Führungs- und Kommunikationssysteme gesprochen. Diese Investitionen ermöglichen eine krisenresistente, geschützte und störungsfreie Kommunikation, die besser gegen Cyberangriffe geschützt ist als bisher. Diese Instrumente müssen zeitgemäss sein.

Und noch etwas zur künftigen Sicherheitspolitik: Der Bundesrat hat gerade letzte Woche den Fähigkeitsdialog der Armee verabschiedet. Dabei hat das Parlament die Möglichkeit, sich strategisch bei der Armee der Zukunft einzubringen. Wer glaubt, dass die Welt in Zukunft sicherer wird, irrt sich meines Erachtens gewaltig! Oder siehst du das anders?

Die Welt wird zu dem, was wir aus ihr machen. Die Investition in militärische Stärke wie Waffen ist kein Mittel zum Frieden. Zudem sagt das VBS selbst, dass im Falle eines Konflikts zwischen Russland und der Nato «unwahrscheinlich» ist, diese Panzer auch einsetzen zu müssen.

Die Instrumente, um die Sicherheit der Schweiz zu gewährleisten, finden sich anderswo, insbesondere in der Diplomatie, im kulturellen und wirtschaftlichen Austausch und in der internationalen gegenseitigen Hilfe. Auch nicht-militärische Sicherheitsdienste, wie der Nachrichtendienst, sind wichtig.

Aber, noch einmal, Sie haben Recht: Wir steuern auf keine beruhigende Welt zu. Wenn wir nicht drastische Massnahmen im Umweltbereich ergreifen, wird sie in wenigen Jahren für die Menschen unbewohnbar sein.

Wenn die Begeisterung für neue, umweltschädliche Panzer und die Zurückhaltung bei Investitionen in Umweltmassnahmen sehe, frage ich mich schon, wer sich mehr Sorgen um die Sicherheit der Bevölkerung macht ... Meinst du nicht, dass all dieses Geld zuerst den grössten und dringendsten Risiken zugute kommen sollte?

Ich bin völlig einig mit dir Léonore, dass wir zur Umwelt Sorge tragen müssen. Die Schweiz soll diesbezüglich eine vorbildliche Rolle einnehmen. So unterstütze auch ich das CO2-Gesetz. Diesbezüglich haben wir keine Differenz. Das darf uns doch freuen😉

Meines Erachtens ist es aber eine reine Träumerei, wenn man meint, mit Umweltmassnahmen Sicherheit für die Bevölkerung herstellen zu können. Es braucht Investitionen in den Umweltschutz, aber auch in der Sicherheit. Der Nachrichtendienst spielt für die Sicherheit im Inland eine zentrale Rolle. Wir müssen doch alles unternehmen, damit Situationen wie in Morges und Lugano sich nicht wiederholen.

Darum engagiere ich mich auch an vorderster Front für die neuen polizeilichen Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus. Hier sind wir leider wieder geteilter Meinung🙈 Für mich gehört der Terrorismus zu den grössten Gefahren der Zukunft. Ich kann mit grünen Wunschvorstellungen gut leben, aber behalten wir bitte eine breite Sicht auf die Sicherheit, ein Grundbedürfnis unserer Bevölkerung!

Ich bin sehr froh, dass wir uns beim (moderaten) CO2-Gesetz finden, vielleicht sollten wir lieber in der Urek zusammensitzen als in der SIK 😉 💚🌍💚(Anmerkung der Redaktion: Urek: Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie; SIK: Sicherheitspolitische Kommission)

Für mich ist investieren in militärische Macht keine Investition in Sicherheit. Das ist sicher unsere grundlegende Meinungsverschiedenheit, genauso wie weniger Freiheit kein guter Weg ist, den Terrorismus zu bekämpfen – im Gegenteil.

Du weisst auch, dass das die Finanzen des Bundes ihre Grenzen haben. Wenn ich sehe, dass wir eine halbe Milliarde in Panzer investieren, die nie für die Sicherheit von irgendjemandem genutzt werden, dann wäre es mir lieber, wenn dieses Geld in wirklich nützliche Bereiche stecken würden.

Was hältst du zum Beispiel vom grünen Vorschlag, ein Pandemie-Warnzentrum einzurichten?

In der Urek hätten wir vielleicht mehr Gemeinsamkeiten. Wenn ich jedoch an das Zweitwohnungsgesetz, an das Jagdgesetz, an das Bauen ausserhalb der Bauzone denke, bekomme ich zwar fast Hühnerhaut 😉

Welche Investitionen in Sicherheit richtig sind, wird die Zukunft weisen. Auch ich hoffe, dass wir die Panzer nie brauchen. So hoffe ich auch, dass wir nie mehr eine Pandemie haben werden. Beides wissen wir nicht. Hoffen alleine genügt nicht. Das eine tun und das andere nicht lassen, wird wohl die beste Devise in der Sicherheitspolitik sein! Was ein Pandemie-Warnzentrums uns bringen sollte, ist mir schleierhaft. Das musst du mir erklären. So schlage ich dir vor, dass wir das Gespräch hier abschliessen und uns zu einem Kaffee in der Galerie des Alpes im Bundeshaus treffen!

Blick: Ich danke Ihnen beiden für diese Debatte. Sie werden dem nicht zugestimmt haben, aber es wird unseren Lesern zweifellos ermöglicht haben, sich eine eigene Meinung über die Bedrohungen, denen unser Land ausgesetzt ist, und die verschiedenen von den Parlamentariern vorgeschlagenen Antworten zu bilden. Und vor allem: Prost!

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