Komitee mobilisiert
Kirchen wagen sich bei Frontex aus der Deckung

Zum ersten Mal seit dem giftigen Abstimmungskampf um die Konzern-Initiative mischen auch kirchliche Kreise wieder bei einer Abstimmung mit – über die Schweizer Beteiligung an der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Die Landeskirchen sind allerdings zurückhaltend.
Publiziert: 07.04.2022 um 17:22 Uhr
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Aktualisiert: 07.04.2022 um 18:18 Uhr
Gianna Blum

44'764 Tote. So viele Menschen sind, Stand 2021, seit 1993 an Europas Grenzen bereits gestorben. Am kommenden Sonntag wollen kirchliche Kreise via Menschenkette diese in zehn Büchern gesammelten Namen dem Bundeshaus übergeben.

Der Empfänger ist nicht zufällig, denn es geht um mehr als darum, auf das Elend der Geflüchteten von ausserhalb Europas aufmerksam zu machen. Aufhänger dafür ist auch der kommende Abstimmungssonntag. Am 15. Mai kommt die Aufstockung des Schweizer Beitrages zur EU-Grenzwacht Frontex an die Urne.

Organisationen aus dem Migrationsbereich hatten gegen die Aufstockung das Referendum ergriffen – einerseits wegen grundsätzlicher Kritik an der EU-Migrationspolitik, andererseits weil Frontex immer wieder mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht wird.

Im Abstimmungskampf um Frontex engagieren sich seit kurzem auch kirchliche Kreise – darunter Pfarrer Andreas Nufer von der Berner Heiliggeistkirche.
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«Protest an die Urne tragen»

Die Aktion «Beim Namen nennen» an sich ist nicht neu. Neu ist aber das Komitee «Kirchen gegen Frontex-Ausbau», das seit kurzem im Abstimmungskampf mitmischt. «Am Sterben an Europas Aussengrenze wird die Abstimmung wenig ändern», sagt Andreas Nufer (58), Pfarrer an der Berner Heiliggeistkirche, der sich im Komitee engagiert. Doch sie gebe die Gelegenheit, den «Protest dagegen an die Urne» zu tragen. Es sei auch die Aufgabe der Kirche, das zu kritisieren.

Ähnlich klingt es bei Nicola Neider (60), katholische Theologin aus dem Kanton Luzern, die mit Nufer im Komitee sitzt. Es sei die Aufgabe der Kirche, sich für die Schwächsten einzusetzen – und dazu gehörten jene an Europas Aussengrenze.

Konzern-Initiative sitzt in den Knochen

So dezidiert sich die zwei Geistlichen äussern, so zurückhaltend sind beim Thema Frontex die Landeskirchen. Im konfessionell breit aufgestellten Komitee fehlen die Stimmen der Institutionen an sich. Was durchaus typisch ist, denn seit der Konzern-Initiative haben sich Letztere kaum mehr in Abstimmungskämpfen positioniert. Die Kirchen hatten sich stark dafür eingesetzt, dass internationale Konzerne für Menschenrechtsverletzungen geradestehen sollen – und sich dabei arg die Finger verbrannt.

Im Nachgang der erbittert geführten Abstimmung entbrannte eine Debatte darüber, wie weit sich die Kirchen in die Politik einmischen dürfen. Eine Abstimmungsbeschwerde gelangte gar bis vor Bundesgericht, das letztlich aber darauf verzichtete, in der heiklen Frage Stellung zu beziehen.

Debatte begrüsst

Von einem initiativbedingten Trauma will man aber weder auf reformierter noch auf katholischer Seite etwas hören. Bei der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) heisst es, dass die Schweizer Frontex-Beteiligung für den Rat gar nicht infrage stehe, weshalb man sich auch nicht dazu äussere. Man begrüsse aber die asylpolitische Debatte und das Engagement des Komitees.

Etwas anders klingt es bei der Bischofskonferenz. Die Bischöfe hätten sich gar nicht mit dem Thema befasst, weshalb es auch keine offizielle Haltung zur Vorlage gebe, so ein Sprecher gegenüber Blick. Die Meinungen zur Vorlage gingen innerhalb der Kirche auch weit auseinander. Auffällig tief wird in Bezug auf das frühere Engagement gestapelt: Man habe sich damals nicht direkt zur Konzern-Initiative geäussert, sondern «lediglich darauf hingewiesen», dass die Anliegen der Initiative auch die eigenen seien.

«Fürchte dich nicht!»

«Ich bedaure, dass sich die Bischofskonferenz bei Frontex zurückhaltender gibt als noch bei der Konzern-Initiative», findet dagegen die Luzerner Theologin Neider, auch wenn politische Stellungnahmen für die Kirche immer schwierig seien. «Man sollte doch sagen: jetzt erst recht.» Sie plädiert dafür, dass sich auch die Kirche stärker exponiert und auch aneckt – denn das sei ihre Aufgabe.

«Die Kirche sollte sich nicht von der Angst leiten lassen, in Fettnäpfchen zu treten», sagt Neider. «Schliesslich sagte auch Jesus: ‹Fürchte dich nicht!›»

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