Erst vergeigen, dann schweigen
Berset liess den Bundesrat im Dunkeln

SP-Bundesrat Alain Berset informierte die Landesregierung nicht darüber, dass die französische Luftwaffe seinem Ausflug ein abruptes Ende setzte. Die Geheimnistuerei hat System.
Publiziert: 16.07.2022 um 23:57 Uhr
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Aktualisiert: 17.07.2022 um 08:27 Uhr
Simon Marti, Reza Rafi

Es ist nicht so, dass Alain Berset (50) komplett verstummt wäre. Am Freitagabend etwa meldete sich der SP-Bundesrat vom Klassikfestival in Verbier VS. Auf Twitter zeigte er sich berührt von einem gemeinsamen Auftritt ukrainischer und russischer Musiker sowie von ihrer «Botschaft des Friedens und der Solidarität».

Eine Woche zuvor, nachdem Ex-Premier Shinzo Abe einem Attentat zum Opfer gefallen war, hatte der polyglotte Magistrat dem japanischen Volk sein Mitgefühl auf Englisch ausgesprochen.

Während Berset das Weltgeschehen auch in den Sommerferien fest im Blick hat, schweigt er eisern zu heiklen Vorfällen, die ihn und seine Amtsführung unmittelbar betreffen.

Nun auch bei seinem letzten Aussetzer, der dem Sozialdemokraten einen Ehrenplatz in der Galerie der bundesrätlichen Kapriolen sichert.

Mit einer Cessna flog der Innenminister nach Frankreich. Dort stoppte ihn die Luftpolizei.
Foto: PRIVAT
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Privatsache?

Der Innenminister mit Pilotenschein mietete am 5. Juli eine einmotorige Cessna und brach vom freiburgischen Écuvillens in Richtung Frankreich auf. Im Luftraum des Nachbarlandes lief der Trip dann gehörig aus dem Ruder. Berset wurde von einem Rafale-Kampfjet der französischen Luftwaffe abgefangen und zur Landung gezwungen. Eine Rekonstruktion seiner Route legt nahe, dass der Schweizer Magistrat einem Militärflugplatz zu nahe gekommen war. Sogar der französische Präsident Emmanuel Macron (44) wurde gemäss «NZZ» in Kenntnis gesetzt.

Obwohl der Staatschef im Élysée über den Irrflug informiert war, versuchte Berset, in der Heimat den Vorfall unter dem Deckel zu halten. Wie SonntagsBlick-Recherchen zeigen, informierte Berset nicht einmal seine Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat.

Sein Sprecher Christian Favre bestätigt auf Anfrage: «Nach unserem Wissen wurde kein Gerichtsverfahren eingeleitet. Die Situation rechtfertigte keine Information des Bundesrates.» Erst auf Medienanfragen hin reagierte Bersets Departement (EDI) eine Woche nach dem Ausflug mit einem knappen Communiqué. Der Bundesrat sei allein unterwegs gewesen, hiess es. Privatsache.

Demnach dürften Mitglieder der Landesregierung erst aus den Medien erfahren haben, in welche missliche Lage sich ihr Kollege Berset in Frankreich manövriert hatte.

«Es ist mehr Posse als Staatsaffäre»
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BlickPunkt über Alain Berset:«Es ist mehr Posse als Staatsaffäre»

Pokerface

Erst vergeigen, dann schweigen: Das scheint bei dem Freiburger ein Muster zu sein. Der unter dem Deckel gehaltene Irrflug ist nicht Bersets erstes Versteckspiel. Ein weiteres Beispiel: Am 18. Mai 2022 gaben Energieministerin Simonetta Sommaruga (62) und Säckelmeister Ueli Maurer (71) nach der gemeinsamen Bundesratssitzung eine Medienkonferenz in Bern. Thema war der Rettungsschirm für die Strombranche.

Was die Landesregierung nicht wusste: Bersets rechte Hand, sein damaliger Medienchef Peter Lauener (52), sass zu diesem Zeitpunkt bereits seit 24 Stunden im Zürcher Untersuchungsgefängnis. Ihm wirft ein Sonderermittler im Zusammenhang mit der Crypto-Affäre Amtsgeheimnisverletzung vor. Für Berset und Lauener gilt die Unschuldsvermutung.

Auf Anfrage geben sich Maurers und Sommarugas Sprecher diplomatisch: Man kommentiere die Personalgeschäfte anderer Departemente grundsätzlich nicht. Recherchen ergeben jedoch, dass es der Innenminister nicht für nötig befand, das Gesamtgremium über den brisanten Vorgang um seinen Mitarbeiter zu unterrichten. Ein Bundesratsmitglied soll ausser sich gewesen sein, dass es davon aus der Presse erfahren musste.

Während Berset in der Regierung ein Pokerface zeigte, zogen seine Leute im Hintergrund eifrig die Fäden, um ihren wichtigen Mitarbeiter wieder auf freien Fuss zu bekommen. Denn Lauener war mehr als nur Bersets Medienchef. Die zweijährige Pandemie hat die beiden zusammengeschweisst, sie zu Sparringspartnern gemacht.

Regierungsmitglieder driften auseinander

Erst am 22.Mai kam Lauener frei, rechtzeitig zum Start des World Economic Forum (WEF) in Davos GR. Dort hatte sein Chef eine dichte Agenda; Gespräche mit dem kolumbianischen und dem simbabwischen Präsidenten standen an, ebenso Treffen mit den Regierungschefs von Tunesien und dem Kosovo sowie die Teilnahme an einer Debatte über die globale Gesundheit. Dass der Kommunikationschef vom strengen U-Haft-Regime gezeichnet war, lässt sich nur erahnen. Der sonst so sendungsbewusste Innenminister jedenfalls «verzichtet am WEF auf Medienauftritte», wurde lapidar vermeldet.

Zwei Wochen später wurde Lauener geschasst – und die Öffentlichkeit mit einem kurzen Text abgespeist, der nur wenig mit der Realität zu tun hat: «Der ehemalige Journalist und Kommunikationsspezialist will sich beruflich neu orientieren», teilte das Innendepartement am 8. Juni mit.

Intransparenz gegenüber Bundesratskollegen sagt einiges über das Selbstverständnis aus, das dort herrscht. Und noch mehr über die Stimmung in einer Regierung, deren Mitglieder nach dem von der Pandemie erzwungenen Schulterschluss mehr und mehr auseinanderdriften. Eine Sicht, die derzeit viele in National- und Ständerat teilen. Man sehe, dass sich die Bundesräte nicht mehr über den Weg trauten, sagt SVP-Aussenpolitiker Roland Rino Büchel (56, SG). «Das Schlimme ist, dass dieses Misstrauen untereinander gerechtfertigt scheint. Dieses Gremium ist in einer schwierigen Phase.»

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«Ich wähle Berset im Winter nicht zum Bundespräsidenten»

FDP-Ständerat Damian Müller (37) betont zwar, dass der Grundsatz «Privat ist privat» gelte. «Aber sicher haben diese Vorfälle auch einen politischen Aspekt, und darum hätte Berset seine Kollegen ins Bild setzen müssen.» Die Geheimnistuerei stehe sinnbildlich für die Atmosphäre im Bundesrat, so der Luzerner.

Auch in der Verwaltung sorgen die Eskapaden des EDI-Vorstehers für Unmut. Ein hoher Funktionsträger aus der Verwaltung sagt zu SonntagsBlick: «Wir arbeiten unter Hochdruck, um die anstehenden Herausforderungen der Nation zu meistern – Inflation, Energiekrise, Flüchtlinge. Ich habe Kollegen im Amt, die sich kaum eine Kaffeepause gönnen. Und der Innenminister gönnt sich einen gemütlichen Rundflug.»

Es gibt bürgerliche Parlamentarier, die Alain Berset im Dezember nicht turnusgemäss zum Bundespräsidenten wählen wollen. Denkbar also, dass sie dem Gesundheitsminister mit einem schlechten Resultat eine symbolische Watsche erteilen: «Ich wähle Berset im Winter nicht zum Bundespräsidenten», sagt SVP-Nationalrat Büchel schon heute. «Und es würde mich nicht überraschen, wenn einige der durchaus fähigen und ambitionierten Leute bei der SP sich überlegen, ob nun ihre Zeit gekommen ist.»

Berset fliegt in militärische Sperrzone in Frankreich
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Er wollte Hobby geheim halten:Berset fliegt in militärische Sperrzone in Frankreich
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