Ex-CVP-Präsident hat uns das Rahmenabkommen eingebrockt
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Er ist schuld am EU-Poker
Ex-CVP-Präsident hat uns das Rahmenabkommen eingebrockt

2005 forderte Philipp Stähelin, dass der Bundesrat einen «Rahmenvertrag zwischen der Schweiz und der EU» prüft. Er selbst hatte nie vorhergesehen, welchen Weg dieses Abkommen nehmen würde.
Publiziert: 16.12.2020 um 07:50 Uhr
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Aktualisiert: 21.02.2021 um 21:51 Uhr
Sermîn Faki

SP-Ständerat Christian Levrat (50) erwartet ein «politisches Theater». Aufführen wird es die SVP, am Mittwoch im Nationalratssaal, am Donnerstag im Ständerat. In beiden Räten hat die Partei nämlich eine ausserordentliche Session durchgeboxt. Thema: das Rahmenabkommen. In zwei Vorstössen verlangt sie, dass der Bundesrat dieses entweder gleich versenkt oder zumindest sicherstellt, dass die noch offenen Punkte verbindlich im Vertragstext festgehalten werden.

Es ist das gefühlt 327. Kapitel in diesem nun schon sieben Jahre dauernden EU-Poker. Ganz vergessen gegangen ist dabei, wie es eigentlich dazu kam: Es war ein ehemaliger CVP-Präsident, dem die Schweiz dieses Gezerre zu verdanken hat.

«Vater» genannt zu werden, findet Stähelin übertrieben

Am 5. Oktober 2005 reichte der damalige Thurgauer Ständerat Philipp Stähelin (76) im Parlament einen Vorstoss mit dem Namen «Rahmenvertrag zwischen der Schweiz und der EU» ein. Ganze 15 Jahre sind seither vergangen. Was sagt er heute dazu, dass er uns die Schwierigkeiten mit der EU eingebrockt hat?

Sie soll es richten: Staatssekretärin Livia Leu ist die neue Chefunterhändlerin für das Rahmenabkommen.
Foto: Keystone
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«‹Eingebrockt› ist schön!», so Stähelin lachend, als BLICK ihm in seinem Büro in Frauenfeld TG gegenübersitzt. Ihn als Vater des Abkommens zu bezeichnen, findet er «übertrieben». Dabei hat er den Begriff erfunden: Einige Monate nachdem die Schweiz in einer Abstimmung den bilateralen Weg bestätigt und dem Schengen-Dublin-Abkommen zugestimmt hatte, fanden Gespräche zwischen der damaligen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (75) und der zuständigen EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner (72) statt.

«Da tönte es plötzlich nach so einem Abkommen», erinnert sich Stähelin, der damals die Aussenpolitische Kommission präsidierte. «Ich wollte vom Bundesrat wissen, was das überhaupt sein soll und welche Vorstellung er hat.»

Wer hat das Sagen?

Stähelin plagten staatspolitische Fragen: Wer in der Schweiz ist eigentlich zuständig für die EU-Politik? Zwar habe der Bundesrat formell das Recht, mit anderen Staaten oder Organisationen Abkommen zu schliessen. Doch der überzeugte Föderalist – vor seiner Zeit in Bern war Stähelin Thurgauer Regierungsrat – fand, dass etwas von solcher Tragweite nicht erst am Schluss vor Parlament und Volk sollte. «Nur ist das alles nicht so klar geregelt. Das war ein einziges Gnusch.»

Diese Frage steht zehn Jahre nach Stähelins Abschied aus dem Ständerat nicht mehr im Zentrum. Stattdessen geht es um Lohnschutz, Staatsbeihilfen und Sozialhilfe-Ansprüche. Dem Thurgauer behagt das nicht. «Ich bin grundsätzlich gegen das, was jetzt auf dem Tisch liegt.
Es steht zu viel Inhaltliches drin – Löhne und was weiss ich nicht alles.»

Stähelin wollte ein Dach

Was er wollte, war ein Dach über alle bilateralen Verträge, das die Formalien regelt. Verfahren, wie man Recht anpasst, wie man neue Verträge aufsetzt, was gilt. Von dieser Idee ist man weiter entfernt denn je. So fallen noch fünf bilaterale Verträge unters Rahmenabkommen.

Das sind die Knackpunkte beim Rahmenabkommen

Der Bundesrat ist grundsätzlich einverstanden mit dem Rahmenabkommen. In drei Bereichen aber verlangt er Nachbesserungen:

  • Lohnschutz: Brüssel will, dass die Schweiz den EU-Lohnschutz übernimmt. Gewerkschaften, aber auch die Arbeitgeber sind grundsätzlich dagegen. Sie fürchten um das Schweizer Lohnniveau.
  • Staatliche Beihilfen: Im EU-Raum sind staatliche Beihilfen wie Subventionen und Steuererleichterungen verboten, wenn sie den Wettbewerb verfälschen. Für die Schweiz ein Problem: Das könnte etwa auch die Wasserkraft umfassen, die von den Kantonen gefördert wird.
  • Unionsbürgerrichtlinie: Müsste die Schweiz sie übernehmen, könnten EU-Bürger in der Schweiz schneller an Sozialhilfe gelangen. Dagegen gibt es breiten Widerstand.

Der Bundesrat ist grundsätzlich einverstanden mit dem Rahmenabkommen. In drei Bereichen aber verlangt er Nachbesserungen:

  • Lohnschutz: Brüssel will, dass die Schweiz den EU-Lohnschutz übernimmt. Gewerkschaften, aber auch die Arbeitgeber sind grundsätzlich dagegen. Sie fürchten um das Schweizer Lohnniveau.
  • Staatliche Beihilfen: Im EU-Raum sind staatliche Beihilfen wie Subventionen und Steuererleichterungen verboten, wenn sie den Wettbewerb verfälschen. Für die Schweiz ein Problem: Das könnte etwa auch die Wasserkraft umfassen, die von den Kantonen gefördert wird.
  • Unionsbürgerrichtlinie: Müsste die Schweiz sie übernehmen, könnten EU-Bürger in der Schweiz schneller an Sozialhilfe gelangen. Dagegen gibt es breiten Widerstand.
Für den Bundesrat braucht es drei Klarstellungen, bevor er Ja zum Rahmenabkommen sagt. Bild: Keystone
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Auch dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) bei Streitigkeiten das Recht auslegen soll, passt Stähelin nicht. «Wir werden von einem fremden Gericht abhängig!» Er glaubt, dass sich jetzt rächt, dass man vor Jahren nicht vorwärtsgemacht hat. «Hätte man zwischen 2005 und 2010 eine Lösung gefunden, hätte der EuGH nie diese Rolle bekommen. Es hätte einfach ein Schiedsgericht gegeben, wie das damals normal war.»

«Der Bundesrat läuft Gefahr, in einer Wand zu landen!»

Stähelin hält die Chancen des Abkommens für gering. «Ich glaube, der Bundesrat hat noch nicht begriffen, was abläuft. Der Widerstand wächst – und zwar weit über die SVP hinaus», sagt er und spielt damit auf Kritik aus seiner eigenen Partei und der FDP an. Er sagt: «Je klarer der Inhalt wird, desto mehr wird das Abkommen unter Beschuss kommen.» Zumal die EU auf stur geschaltet habe. «Der Bundesrat läuft grosse Gefahr, dass er an einer Wand landet.»

Ein Dach, das die Spielregeln festhält, fände Stähelin immer noch sehr sinnvoll, so eng, wie die Beziehungen zur EU sind. «Aber dass man bis hin zu Lohnfragen alles regelt – das kann nicht gescheit sein.» Das «politische Theater» am Mittwoch wird der alt Ständerat aber nicht verfolgen. «Ich kann meine Zeit besser füllen», so der fünffache Vater.


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