Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Gesetzesänderung
Stalking soll strafbar werden

Die britische Netflix-Serie «Baby Reindeer» zeigt einen beklemmenden Fall von Stalking. In der Schweiz kommen Täter aber oft ungeschoren davon. Der Nationalrat will Stalking nun als eigene Straftat anerkennen.
Publiziert: 06.06.2024 um 12:21 Uhr
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Aktualisiert: 06.06.2024 um 15:28 Uhr
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Céline ZahnoPraktikantin Politik

Martha stalkt Donny. Sie lauert Tag und Nacht vor seinem Haus, stört seine Auftritte als Comedian und nimmt die gemeinsamen Gespräche auf. Die britische Netflix-Serie «Baby Reindeer» zeigt die tatsächlichen Erlebnisse des Hauptdarstellers Richard Gadd. Seine Geschichte zeigt, wie schwer es für Stalking-Opfer sein kann, sich Hilfe zu holen.

In der Schweiz dürfte das noch viel schwieriger sein als in Grossbritannien. Hierzulande ist Stalking – anders als im Vereinigten Königreich – kein Straftatbestand. Das könnte sich allerdings schon bald ändern. Am Donnerstag hat der Nationalrat einer entsprechenden Gesetzesänderung mit 151 zu 29 Stimmen und 9 Enthaltungen angenommen. Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was soll sich ändern?

Heute können Stalker nur für einzelne Taten verurteilt werden, wie etwa Drohung oder Nötigung. Allerdings sind typische Stalking-Handlungen im Einzelnen oft nicht strafbar – wie zum Beispiel ständiges Belästigen durch SMS und Telefonanrufe. Mit zunehmender Dauer und Intensität sind sie trotzdem eine grosse Belastung für die Opfer. Stalker sind für die Justiz also momentan schwer fassbar. Darum soll Stalking neu als eigenständige Straftat ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden. Vorgesehen ist eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Und: Stalking in Paarbeziehungen soll von Amtes wegen verfolgt werden und nicht nur auf Antrag hin.

Sie belästigen ihre Opfer per Telefon oder lauern ihnen auf: In der Schweiz gibt es keinen eigenen Straftatbestand für Stalking.
Foto: imago images/photothek
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Auch der Bundesrat anerkennt das Bedürfnis für eine solche Gesetzesänderung, wie er vergangenen Monat mitgeteilt hat. Er warnt aber vor zu hohen Erwartungen – es wäre weiterhin schwierig, festzustellen, wo die Grenze zu Stalking überschritten wäre und das Opfer in seiner Freiheit zur Lebensgestaltung beschränkt würde.

Wer ist dagegen und warum?

Ausser der SVP sind alle Parteien für die Gesetzesänderung. Die SVP bezeichnet diese als Symbolpolitik: Es sei schon heute möglich, rechtlich gegen einzelne Taten von Stalkern vorzugehen. Ein eigener Strafbestand sei also unnötig.

Was ist Stalking überhaupt?

Das Wort «Stalking» kommt aus dem englischen Jägerjargon und bedeutet so viel wie sich anpirschen oder anschleichen. Heute versteht man darunter wiederholtes Verfolgen oder Belästigen eines Opfers, welches seine Lebensgestaltung und Sicherheit einschränkt.

Laut der Schweizerischen Kriminalprävention können Stalker ganz verschieden vorgehen. Typische Verhaltensweisen sind zum Beispiel jemanden ständig anzurufen, zu beobachten oder bei der Polizei oder beim Arbeitgeber falsch zu beschuldigen.

Wer ist betroffen?

Stalking-Opfer sind grösstenteils weiblich. Im Jahr 2022 gingen bei der Beratungsstelle Bern rund 85 Prozent der Meldungen von Frauen ein. Eine nationale Erhebung gibt es nicht.

Allein in der Stadt Bern haben im erwähnten Jahr 120 Personen einen Fall von Stalking gemeldet. Diese Zahl ist seit der Corona-Pandemie ziemlich stabil, davor war sie leicht höher.

Was tun bei Stalking?

Die Beratungsstellen empfehlen, dem Stalker deutlich klarzumachen, dass kein Kontakt gewünscht ist. Es ist besonders hilfreich, das vor Zeuginnen oder Zeugen zu tun. Ebenfalls sollten Familie und Freunde informiert werden. Generell gilt: Die Öffentlichkeit einzubeziehen, ist eine gute Abwehr.

Professionelle Unterstützung gibt es bei Opferberatungsstellen oder bei Frauenhäusern, falls akute Gefahr droht. Regionale Opferstellen sind hier gelistet.

Wer sind die Stalker?

In knapp der Hälfte der Fälle war der Stalker ein Ex-Partner oder eine intime Bekanntschaft des Opfers. 13 Prozent waren Nachbarn des Opfers, 5 Prozent mit dem Opfer verwandt.

Die Statistik der Stadt Bern zeigt auch: In über der Hälfte der Fälle war es nicht möglich, gegen die Täter Anzeige zu erstatten, weil die einzelnen Handlungen der Täter nicht strafbar waren. Die Opfer könnten dann nur zivilrechtlich vorgehen und wegen Persönlichkeitsverletzung klagen. Das kostet oft sehr viel Zeit und Geld. Die Täter kommen meist mit einer Busse oder einem Kontaktverbot davon. Der neue Stalking-Strafbestand könnte hier Abhilfe leisten.

Wie geht es weiter?

In trockenen Tüchern ist die Gesetzesänderung noch nicht. Die Vorlage muss auch vom Ständerat noch abgesegnet werden. Da dürften noch Abschwächungen erfolgen. Selbst wenn der Stalking-Straftatbestand in Kraft tritt, warnt Justizminister Beat Jans vor überzogenen Erwartungen: Es werde in vielen Fällen ein Beweisproblem geben, sagte er. Und eine Weile dauern, bis sich bei den Strafverfolgungsbehörden eine einheitliche Praxis etabliert habe.

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