Die wichtigsten Fragen und Antworten
Darum geht es bei der Einheitskrankenkasse

Nach dem Nein zur Prämienentlastungs-Initiative plant die SP eine Initiative für eine Einheitskrankenkasse. Auch die Bevölkerung wünscht sich eine solche, wenn dafür die Prämien sinken. Doch was bedeutet eine solche Lösung wirklich? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Publiziert: 10.06.2024 um 14:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.06.2024 um 14:57 Uhr
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Tobias BruggmannRedaktor Politik

Auch nach dem Nein zu den beiden Gesundheitsinitiativen bei den Abstimmungen am Sonntag bleiben die Gesundheitskosten weit oben auf der Traktandenliste. Für die beiden Parteien ist das jeweilige Nein zwar ein Dämpfer. SP wie Mitte werden die Thematik aber weiter beackern. Erstens vermochten sie weit über ihre Wählerbasis hinaus zu mobilisieren. Zweitens bleiben die hohen Gesundheitskosten im Sorgenbarometer der Bevölkerung weit oben. 

Und so wird die SP ihr nächstes Projekt vorantreiben: Sie plant eine Initiative für eine öffentliche Krankenkasse. Dabei sollen kantonale oder überregionale Einheitskassen für Entlastung sorgen. Anfang 2025 wird die Initiative lanciert. Eine Einheitskrankenkasse käme bei der Bevölkerung nämlich nicht schlecht an, wie eine repräsentative Umfrage des Vergleichsdiensts Comparis zeigt. Mittlerweile sind 71 Prozent für eine Einheitskasse als Grundversicherung, wenn dafür die Prämien sinken. 

Doch was bedeutet eine Einheitskasse? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Könnte eine Einheitskrankenkasse gegen hohe Prämien helfen.
Foto: Keystone
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Was ist die Einheitskasse?

Vor einem Jahr gab es 44 Versicherungen, die eine obligatorische Krankenversicherung, die sogenannte Grundversicherung, anboten. Bei einer Einheitskasse würde es nur noch eine oder deutlich weniger Kassen geben – zum Beispiel eine für die ganze Schweiz oder eine pro Kanton oder Region. Bei den Zusatzversicherungen könnte es weiterhin verschiedene Anbieter geben.

Was sind die Vor- und Nachteile?

Besonders in linken Kreisen gibt es viel Zustimmung für eine Einheitskrankenkasse. «Damit fallen die Werbekosten und die hohen Gehälter der Krankenkassenchefs weg», sagt SP-Ständerat Baptiste Hurni. Ausserdem würden auch die ständigen Wechsel der Krankenkassen das System verteuern. «Ein Krankenkassenwechsel kostet 800 bis 1000 Franken – das sind mehrere Milliarden pro Jahr!» 

Auch die Ärzte und Spitäler könnten besser kontrolliert werden, sagt Hurni. «Es gibt skrupellose Ärzte, die mehr als 24 Stunden pro Tag abrechnen. Mit einer Einheitskrankenkasse können sie schneller überführt werden.» Auch sei Prävention einfacher machbar, und das Gesundheitswesen würde transparenter werden. 

Bei den Bürgerlichen kommt eine Einheitskasse hingegen nicht gut an. «Wer sich heute am Service oder an den Prämien einer Kasse stört, hat eine Alternative und kann zu einer Kasse mit tieferen Prämien oder besserem Service wechseln», sagt FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt (30). «Viele Menschen nutzen diese Freiheit jedes Jahr.» Eine Einheitskasse hätte keinen Anreiz für besseren Service oder innovative Angebote. «Dass eine Einheitskasse noch günstiger würde, ist eine reine These und in der Praxis nicht bewiesen.»

2014 schätzte der Bund selbst das Sparpotenzial auf 300 bis 400 Millionen Franken – bei jährlichen Prämienzahlungen von damals über 24 Milliarden.

Werden dadurch die Prämien günstiger?

Gemäss der Comparis-Umfrage müssten die monatlichen Kosten 10 Prozent tiefer ausfallen, um die Bevölkerung zufriedenzustellen. Das ist kaum realistisch, sagte Krankenkassen-Experte Felix Schneuwly (63), gegenüber Blick. «5 Prozent der Prämien sind Verwaltungskosten der Krankenkassen. Selbst wenn die Einheitskasse gratis arbeitete, würde das 10-Prozent-Ziel bei weitem nicht erreicht.»

SP-Ständerat Hurni verspricht sich weitere Kostensenkungen, weil die Abrechnungen der Ärzte und Spitäler besser kontrolliert werden können. Doch ob das reicht, um die Kosten wirklich stark zu senken, darf bezweifelt werden. Dafür bräuchte es wohl mehr Verzicht bei den Gesundheitsleistungen, sagt Comparis-Experte Schneuwly.

Stimmen wir bald über eine Einheitskasse ab?

Nein. Zwar plant die SP eine neue Initiative zur Einheitskasse. Doch momentan konzentriert man sich auf die Prämienentlastungs-Initiative. «Wir arbeiten momentan am Initiativtext, sind aber noch nicht fertig», sagt Hurni. Geplant ist, dass jeder Kanton oder mehrere kleinere Kantone je eine Kasse anbieten müssen. Spätestens bis 2025 muss der SP-Parteitag über den Initiativtext entscheiden, danach beginnt die Unterschriftensammlung. Bis das Volk also entscheiden kann, dürften noch Jahre vergehen.

Was hat es mit der aktuellen Abstimmung zu tun?

Nichts. Die Prämienentlastungs-Initiative der SP verlangt, dass die individuellen Prämienverbilligungen erhöht werden, die Mitte-Initiative will eine generelle Kostenbremse in die Verfassung schreiben.

Gibt es bereits Pilotversuche?

Noch nicht. Aber der Kanton Genf prescht vor. Im vergangenen Jahr reichte der Kanton einen Vorstoss im Bundesparlament ein, der eine Einheitskasse erlauben soll. Gleichzeitig muss der Staatsrat einen Bericht über Risiken und Chancen einer staatlichen Krankenkasse schreiben, die mit privaten Akteuren konkurriert. Allerdings dürfte Genf in Bern auflaufen: Erst in der Frühjahrssession lehnte das Parlament einen Vorstoss des Kantons Waadt ab, der die Einheitskasse auf kantonaler Ebene einführen wollte.

Haben wir nicht schon mal über die Einheitskasse abgestimmt?

Doch. Viermal stimmte die Bevölkerung bereits darüber ab – nie fand die Einheitskasse eine Mehrheit. Doch waren 2007 ganze 71 Prozent dagegen, waren es 2014 noch rund 62 Prozent. 

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