«Links-grüne Intoleranz ist das Gegenteil der Willensnation Schweiz»
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Marco Chiesa zum 1. August:«Links-grüne Intoleranz ist das Gegenteil der Willensnation Schweiz»

Der SVP-Präsident und die «echten» Probleme
Chiesa wettert gegen woke Linke

Auch dieses Jahr deckt SVP-Präsident Marco Chiesa zum 1. August die Linken und Grünen mit einer Schimpftirade ein. Diese müsste sich allerdings auch seine Jungpartei zu Herzen nehmen.
Publiziert: 01.08.2022 um 10:52 Uhr
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Aktualisiert: 01.08.2022 um 16:04 Uhr
Lea Hartmann

Den Nationalfeiertag nehmen Politikerinnen und Politiker in der Regel zum Anlass, um am mit der Schweizerfahne geschmückten Rednerpult ein Loblied auf die Willensnation Schweiz anzustimmen und an den Zusammenhalt des Landes und seiner Bevölkerung zu appellieren.

Doch SVP-Präsident Marco Chiesa (47) spaltet lieber, als zu vereinen – auch am 1. August. Nachdem der Tessiner vergangenes Jahr den Feiertag zum Anlass genommen hatte, um sich über die «Luxus-Linken und Bevormunder-Grünen» in den Städten aufzuregen, wettert er dieses Mal, zur Feier des Tages im Edelweisshemd, über den «freiheitsfeindlichen Gender-Woke-Unsinn».

«Darf nur ein ‹richtiger› Schweizer jodeln?»

Chiesa nimmt dabei die aktuelle Debatte auf, die wegen eines abgebrochenen Konzerts einer Reggae-Band in der Berner Brasserie Lorraine entflammt war. Anonyme Zuschauende hatten der Band wegen ihrer Rastamähnen und afrikanischer Kleidung «kulturelle Aneignung» vorgeworfen.

Dieses Jahr ist es die Kontroverse um die Berner Band Lauwarm und deren Rasta-Frisuren, die Chiesas Blut in Wallungen bringt.
Foto: Instagram/lauwarm_music
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«Dürfen nur Schwarze schwarze Musik spielen und afroamerikanische Frisuren tragen?», will Chiesa wissen. «Oder anders gefragt: Darf etwa nur ein ‹richtiger› Schweizer jodeln oder schwingen? Wollen wir einen Chinesen zur Beiz hinausjagen, weil er ein Fondue essen möchte?»

Unterschiedliche Prioritäten

Der SVP-Präsident regt sich auch darüber auf, dass sich Kinder an der Fasnacht nicht mehr als Indianer verkleiden dürften und die Stadt Zürich, wie er behauptet, Millionen für geschlechtsneutrale Toiletten ausgebe. Chiesas Urteil: «Das sind die Probleme einer abgehobenen, linksgrünen Wohlstandselite, die die Schweiz verachtet.» Dabei hätten die Menschen in der Schweiz andere Sorgen: beispielsweise die Inflation, die AHV, die drohende Energiekrise oder die Sicherheit und Neutralität der Schweiz.

Darauf hätte Chiesa wohl zuerst mal die eigene Jungpartei hinweisen sollen. Die Junge SVP unter der Leitung von David Trachsel (27) hat sich in den letzten Wochen nicht etwa darüber den Kopf zerbrochen, wie verhindert werden kann, dass wir kommenden Winter frieren, oder was es zu tun gilt, damit künftige Generationen im Alter genügend Rente haben, um würdevoll zu leben.

Stattdessen hat die Jung SVP Anzeige gegen die Brasserie eingereicht, in der die Reggae-Band aufgetreten war. Zuvor hatte die Jungpartei zudem eine Petition lanciert, um den sexistischen Ballermann-Hit «Layla» auf Platz 1 der Schweizer Charts zu hebeln, und hat sich wegen eines Gender-Sprachleitfadens der UBS medial in Szene gesetzt.

Sache der Kantone

Auch Chiesa selbst setzt die Prioritäten anders, wenn man den Inhalt seiner 1.-August-Rede zum Massstab nimmt. Zum Abschluss seiner Rede schlägt er vor, Universitäten die Steuergelder zu streichen, wenn diese «diesen freiheitsfeindlichen Gender-Woke-Unsinn verbreiten».

Wie man das kontrollieren könnte? Das weiss die SVP auch nicht. Generalsekretär Peter Keller (51) verwies auf Anfrage der «SonntagsZeitung» darauf, dass die Unis – abgesehen von der ETH – den Kantonen unterstünden. Deshalb sei das die Sache der Kantonalparteien.

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