Pfarrer Anselm Burr
Tiergottesdienste und ein nackter Jesus

Er provozierte und revolutionierte die reformierte Kirche in der Schweiz wie kein anderer. Segnungen von gleichgeschlechtlichen Paaren hatten Kirchenaustritte zur Folge. Heute sagt Anselm Burr, er würde alles genau so wieder machen.
Publiziert: 22.05.2021 um 10:06 Uhr
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Aktualisiert: 25.05.2021 um 17:27 Uhr
Flavia Schlittler

Er war der Erste in der Schweiz, der die reformierte Kirche wortwörtlich für jedes Lebewesen öffnete. Anselm Burr (73) war in den Jahren 1991 bis 2009 Pfarrer in der Kirche St. Jakob am Stauffacher in Zürich – und sorgte damals für viele Schlagzeilen. So zeigte er in einer Ausstellung grossformatige Fotos der Künstlerin Elisabeth Ohlson, die Jesus in der Schwulenszene, in Stöckelschuhen und als Aidskranken in Szene setzten. Seine Absicht: «Es gilt – wie Jesus es tat –, die Berührungsängste abzulegen, die uns von Menschen mit anderen Lebensentwürfen trennen», erklärt Burr. Die «offene Kirche» bot auch anderen Veranstaltern Gastrecht. So gab es etwa eine Modeschau «für die Dame über 40» oder 1995 das Refugium für tamilische Flüchtlinge. Neue Gottesdienstformen etablierten sich, wie etwa die Tiergottesdienste.

Anselm Burr erteilte den Segen allen, die ihn wollten. So auch vielen gleichgeschlechtlichen Paaren, die damals ihre Partnerschaft noch nicht eintragen lassen konnten, aber ein starkes Bedürfnis nach deren Anerkennung hatten. Die Folge waren Kirchenaustritte und der Vorschlag der Kirchenpflege an das Stimmvolk, Burr 1994 nicht mehr zu wählen. Doch seine Beliebtheit war grösser, er wurde klar wiedergewählt. Kurz bevor er in Pension ging, prangte im Rahmen der Minarett-Abstimmung ein Banner am Kirchturm mit der Frage: «Bin ich auch ein Minarett?» Es nahm Bezug auf den Slogan der Zürcher Verkehrsbetriebe: «Ich bin auch ein Schiff.» Heute würde Burr dies alles wieder tun, sagt er. «Mir war es wichtig, gesellschaftliche Realitäten in der Kirche abzubilden und sie mit biblischen Aussagen zu verknüpfen, die an Vielfarbigkeit nicht zu überbieten sind.»

Anselm Burr plädiert dafür, Mauern der Scham und der Vorurteile hinter sich zu lassen

Pfarrer wurde er, weil ihn das Vorbild der Eltern – beide waren Ärzte – zur Hingabe an die Menschen inspirierte und verpflichtete. Pfingsten bedeutet für ihn, die «tod-sicheren» Mauern der Scham und der Vorurteile hinter sich lassen zu können und einander in Liebe zu begegnen. Seine Lieblings-Bibelstelle dazu lautet: «Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes erhalten und er wird euch zu Zeugen des Lebens machen.»

Der heute pensionierte reformierte Pfarrer Anselm Burr.
Foto: Zvg
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