Grossbritannien-Experte über Kritik an Elizabeth II.
«Der Hass gegen die Queen ist nicht repräsentativ»

Nach dem Tod von Elizabeth II. wurden die Stimmen der Monarchie-Gegner lauter, einige jubelten sogar über ihr Ableben. Grossbritannien-Experte Gerhard Dannemann erklärt, was es damit auf sich hat – und dass die Unmutsbekundungen selten gegen ihre Person direkt gehen.
Publiziert: 15.09.2022 um 22:19 Uhr
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Aktualisiert: 15.09.2022 um 22:26 Uhr
Laszlo Schneider

Ein Tweet der nigerianischen Professorin Uyu Anya (42), die an der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh (USA) angewandte Sprachwissenschaften lehrt, sorgte kurz vor der Bestätigung des Todes der Queen (†96) für Aufregung. Darin hatte sie der zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Regentin, gelinde gesagt, alles Böse gewünscht – so schrieb sie: «Ich habe gehört, die Monarchin eines ausbeutenden, vergewaltigenden Genozid-Reiches liegt endlich im Sterben. Mögen ihre Schmerzen qualvoll sein!» Damit sprach sie die Zeit an, in der Nigeria Teil des britischen Empires war – von Ende des 19. Jahrhunderts bis 1960. Elizabeth II. war also de facto noch acht Jahre ebenfalls Oberhaupt des westafrikanischen Staats.

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Grossbritannien-Experte und Professor am Centre for British Studies an der Humboldt-Universität Berlin, Gerhard Dannemann (63), sagt im Interview mit Blick, dass der Hass gegen die Queen nicht repräsentativ sei. «Die Queen war eine bekannte Persönlichkeit, vielleicht sogar die bekannteste der Welt. Wenn nur ein Prozent der Weltbevölkerung etwas Böses über sie sagt, sind das schon viele.» Ausserdem hätten sogar die ausgesprochenen Gegner der Krone in Grossbritannien die Diskussion um die Abschaffung der Monarchie nicht gegen die grösstenteils beliebte Regentin persönlich gerichtet.

Woher kommt der Hass?

Dass es auch abgrundtiefen Hass gibt, der sich gegen das britische Königshaus richtet, versteht Dannemann. Immerhin habe es von seinen Kolonien profitiert. Ein Beispiel dazu ist sehr aktuell: Manche Edelsteine auf den Kronen der Queen (und bald derjenigen von König Charles III. (73)) stammen nicht aus heimischen Gefilden, sondern aus Südafrika und Indien – Südafrika war zwischen 1795 und 1803 sowie zwischen 1806-1961, Indien von 1858 bis 1947 unter britischer Herrschaft. Die Staaten wurden zu Kolonialzeiten aufs Äusserste ausgebeutet – Dannemann gibt zu: «Die Verbindung zu diesen Grausamkeiten kann ich nachvollziehen.» Die Ablehnung richte sich jedoch nicht gegen die Queen als Person.

Queen Elizabeth II. war nicht nur die Königin von England, sondern auch das Oberhaupt des Commonwealths.
Foto: AFP
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Im Internet-Portal Politico.eu behauptet Autor Saim Saeed, Elizabeth II. hätte für die «kolonialen Sünden» einstehen können, es aber nicht getan. Experte Dannemann widerspricht – solche Äusserungen hätten ausserhalb ihrer politischen Macht gelegen. Obwohl die Queen ihre Verbindung zum Commonwealth of Nations, einem eher losen Staatenbund unter britischem Vorsitz, stets sehr ernst genommen habe, «wäre die Aufarbeitung der Zeit Sache von Regierung und Parlament gewesen». Hier lägen die Defizite.

So funktioniert das Commonwealth

Das Commonwealth, korrekterweise Commonwealth of Nations, ist ein loser Verbund aus insgesamt 56 Staaten. Es wurde 1931 gegründet und besteht grösstenteils aus ehemaligen britischen Kolonien. Sein Oberhaupt ist König Charles der III. 15 Staaten sind mit der britischen Krone in Personalunion verbunden, die meisten dieser Länder stellen aber ihr eigenes Staatsoberhaupt.

Die Flagge des Commonwealth

Das Commonwealth, korrekterweise Commonwealth of Nations, ist ein loser Verbund aus insgesamt 56 Staaten. Es wurde 1931 gegründet und besteht grösstenteils aus ehemaligen britischen Kolonien. Sein Oberhaupt ist König Charles der III. 15 Staaten sind mit der britischen Krone in Personalunion verbunden, die meisten dieser Länder stellen aber ihr eigenes Staatsoberhaupt.

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Fällt das Commonwealth nun auseinander?

Nebst der Kritik gegen das Königshaus wurden auch Stimmen laut, die einen Zusammenbruch des Commonwealth vermuten. Der «Indian Express» schrieb beispielsweise von einigen Tagen, dass die Zukunft des Staatenbunds nach dem Ableben der Queen unsicher geworden sei. Immerhin sei der Monarchin sein Zusammenhalt stets eines der grössten Anliegen gewesen. Auch hier relativiert Gerhard Dannemann: «Kein Staat möchte derzeit aus dem Commonwealth austreten».

In den letzten Jahrzehnten seien die Mitglieder eigentlich mehr geworden – und lediglich 15 der 56 Staaten unterliegen direkt der britischen Krone, einige (zum Beispiel Brunei) sind sogar eigene Monarchien. Zwar gäbe es einige karibische Länder, die sich nun überlegten, Republiken zu werden, auch in Australien habe es bereits vor dem Tod der Regentin solche Postulate gegeben. Das Commonwealth ist hingegen nicht mit beispielsweise einem Staatenbund wie der EU vergleichbar, in dem die Länder stark wirtschaftlich und politisch verbandelt sind. «Das Commonwealth hat ein gutes Diskussionsforum – es ist etwas zwischen der UNO und der G20 – ausserdem hätten die Mitgliedsstaaten auch indirekte wirtschaftliche Vorteile.

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