«Es ist wunderbar, wie komplex der Körper ist»
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«Körperwelten»-Schau in Zürich:«Es ist wunderbar, wie komplex der Körper ist»

Die Frau hinter den «Körperwelten»-Schau in Zürich
Schlafen Sie wirklich immer gut, Frau Dr. Whalley?

Seit dem 7. Mai läuft die Ausstellung «Körperwelten – am Puls der Zeit» in Zürich-Oerlikon. Blick hat die Kuratorin Dr. Angelina Whalley – Ehefrau von Schöpfer Dr. Gunther von Hagens – vor Ort in der Halle 622 getroffen.
Publiziert: 13.05.2021 um 01:40 Uhr
Jean-Claude Galli

Hell beleuchtet stehen die Plastinate in der Halle 622 in Zürich-Oerlikon, menschliche Leichen in lebensnahen Posen. Für die einen ist die «Körperwelten»-Schau ein spektakuläres Ereignis, für andere gruselig bis furchterregend. Unbestritten ist der Publikumserfolg, 50 Millionen waren weltweit schon dabei. Blick trifft Dr. Angelina Whalley (61), Kuratorin der Ausstellung und seit 1992 Ehefrau des Schöpfers Gunther von Hagens (76), der sich aufgrund seiner Parkinson-Erkrankung weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat.

Frau Whalley, Sie sind täglich von Leichen umgeben. Schlafen Sie wirklich immer gut?
Angelina
Whalley: Ich habe keinen Grund, schlecht zu schlafen oder schlimm zu träumen. Als Ärztin bin ich dankbar dafür, mit meiner Arbeit vielen Menschen einen genaueren Blick auf sich selber verschaffen zu können, den sie sonst nie hätten. Normalerweise können wir nicht in unseren Körper hineinschauen. Hier schon, deshalb scheint es anfangs vielleicht etwas komisch. Doch es ist wunderbar zu erfahren, wie komplex der Körper ist und wie schön es in uns drin aussieht. Viele, die sich vorher sträubten und Bedenken hatten, waren hinterher begeistert, weil die Schau ästhetisch und lehrreich ist.

Was ist Ihre Aufgabe als Kuratorin?
Als Kuratorin erzähle ich eine Geschichte, ich wähle alle Präparate aus und schreibe die Texte dazu. Ich möchte die Menschen aufklären, in einer unterhaltsamen Art und Weise. Keine Anatomie-Unterrichtsstunde erteilen, sondern eine Lektion über das Leben geben. Ich sehe viele Menschen, tief versunken in die Präparate, sie entdecken sich selber in einem fremden Körper und erfahren Dinge über sich, zu denen sie sonst nie Zugang gehabt hätten. Sie denken über ihr Leben nach. Und vielleicht überdenken sie auch das eine oder andere Lifestyle-Verhalten. Sehen, was Rauchen mit einem macht, wie eine Raucherlunge aussieht, wie Krebs aussieht, das löst etwas in ihnen aus. Ich bin natürlich auch froh, dass sich so viele Menschen nach ihrem Ableben für unsere Arbeit zur Verfügung stellen.

Dr. Angelina Whalley, Kuratorin von «Körperwelten – am Puls der Zeit». Die Schau läuft bis zum 15. August in der Halle 622 in Zürich-Oerlikon. © HO Pressebilder Körperwelten sind seit 1995 bestehende Wanderausstellungen plastinierter, überwiegend menschlicher Körper. Initiator der Ausstellungen ist der Anatom Gunther von Hagens.
Foto: HO Pressebilder
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Wie Sie und Ihr Mann selber auch ...
Natürlich sind wir auch Körperspender. Wir hoffen aber beide, dass es noch nicht so frühzeitig der Fall sein wird (lächelt). Ich denke, es wäre komisch, wenn wir uns selber nicht vorstellen könnten, hier ausgestellt zu sein.

Was sagen Sie zu Vorwürfen, die Schau sei Effekthascherei?
Information steht für uns an erster Stelle. Dass Präparate eine Qualität über ihre wissenschaftliche Aussage hinaus erhalten, haben wir erst durch die Besucher gelernt. Unsere ersten Ganzkörperplastinate waren gar nicht für öffentliche Ausstellungen gedacht. Sie waren steif und recht unansehnlich. Unsere Erkenntnis war: Wenn wir ein Laienpublikum ansprechen wollen, müssen die Präparate ästhetisch sein. Deshalb haben wir sie in lebensnahe Posen gebracht. Das ist uns über die Jahre hinweg auch immer besser gelungen. Und ganz ehrlich: Wir gehen ja nicht in ein Museum, um uns zu langweilen. Wir wollen etwas lernen und eine Erfahrung machen. Wir wollen berührt werden. Und das leisten diese Präparate.

Sie zeigen auch einen Liebesakt. Wo liegen für Sie die Grenzen?
Wir sind stets bemüht, den Menschen als Menschen darzustellen. Wir würden niemals Körperteile entmenschlichen, beispielsweise ein Bein als Golfschläger zeigen. Was diesen Akt anbelangt: Er ist absolut menschlich. Ohne ihn wären wir nicht da, ohne ihn gäbe es die «Körperwelten» nicht. Er hat eine anatomische und medizinische Relevanz. In einer aufklärerischen Ausstellung hat auch ein solcher Akt seinen Platz. Wenn wir uns darum herum Gedanken machen, sagt das mehr über die eigene Fantasie als über den Akt selbst aus.

Glauben Sie an Gott?
(Denkt nach.) An einen Gott, der denkt und lenkt und schafft – in dieser Form nicht.

Und an Wiedergeburt?
Ich bin mehr auf der wissenschaftlichen Seite. Und überzeugt, dass all das, was wir Leben und Bewusstsein nennen, das Ergebnis unseres Körpers ist, von Vorgängen, die vor allem in unserem Gehirn stattfinden. Und all diese Materie geht nach dem Tod verloren.

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