Interview mit Gunther von Hagens
«Nichts ist uns näher als der eigene Körper»

Ab 7. Mai präsentiert Plastinator Gunther von Hagens seine neueste Ausstellung «Körperwelten – am Puls der Zeit» in der Halle 622 in Zürich. Im Interview spricht von Hagens über seinen Erfolg, seine Krankheit und ob er sich selber plastinieren lassen würde.
Publiziert: 04.05.2021 um 01:40 Uhr
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Aktualisiert: 07.05.2021 um 18:54 Uhr
Interview: Jean-Claude Galli

Ab diesem Freitag läuft in Zürich die spektakuläre Schau «Körperwelten – am Puls der Zeit» mit plastinierten menschlichen Körpern. Blick konnte sich mit Schöpfer Gunther von Hagens (76) unterhalten. Aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit wurde das Interview schriftlich geführt.

Guten Tag, Herr Doktor. Wo erreichen Sie unsere Fragen und wie geht es Ihnen?
Sie erreichen mich in Guben, wo sich die Gubener Plastinate GmbH und das öffentlich zugängliche Plastinarium befinden. Hier entstehen die Präparate für die «Körperwelten»-Ausstellungen sowie für die Lehre an Universitäten in der ganzen Welt. Mir geht es den Umständen entsprechend gut. Auch wenn mir die Parkinson-Erkrankung viele Selbstverständlichkeiten erschwert, wie zum Beispiel das Sprechen. Deshalb habe ich mich bereits vor einigen Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und konzentriere mich auf meine Forschung. Damit es mir gut geht, treibe ich Sport, ernähre mich gesund und versuche zehn Stunden zu schlafen.

Sie zeigen Ihre Ausstellung nach 2009 erneut in Zürich. Was wird alles neu?
Erstmals wird in der Schweiz die «Körperwelten»-Ausstellung «Am Puls der Zeit» gezeigt. Meine Ehefrau Angelina Whalley ist Kuratorin dieser sowie sämtlicher anderen «Körperwelten». Mit dem Thema möchte sie den Menschen die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen für Körper und Geist in der heutigen Zeit demonstrieren.

Gunther von Hagens, Schöpfer der Ausstellungsreihe «Körperwelten», trägt meistens Hut. «Der Hut ist aber keine Marke, er steht vielmehr für mein Demokratieverständnis und Individualität», sagt der Anatom.
Foto: HO Pressebilder
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Weshalb haben Sie derart grossen Erfolg?
Die Menschen besuchen die Ausstellung aufgrund ihres Interesses am eigenen Körper, denn nichts ist uns näher als dieser, und die indirekte Befriedigung dieses Interesses durch Modelle oder Abbildungen kann das Original so wenig ersetzen, wie auch ein Bild von einem Wald nicht einen Waldspaziergang ersetzen kann. Natürlich gehört auch eine gewisse Portion Voyeurismus dazu. Sie ist jeder Betrachtung anatomischer Präparate eigen, schon allein, weil diese normalerweise nicht möglich ist. Dies trifft für kleine Präparate wie eine Hand oder missgebildete Föten genauso zu wie für Grossplastinate.

Haben Sie keine moralischen Bedenken, Tote auszustellen?
Nein, denn es werden ja «Tote» ausgestellt, die das zu Lebzeiten ausdrücklich gewünscht haben. Das ist mir moralische Verpflichtung.

Sie zeigten in der Vergangenheit auch Präparate beim Liebesakt. Auch jetzt in Zürich wieder? Ist Ihnen nichts heilig?
Auch dieses Mal wird in Zürich ein Akt zu sehen sein. Es gibt keinen Grund, den Akt mit Tabus zu belegen, auch wenn dieses Gefühl noch vielfach in bestimmten Kreisen der Gesellschaft verankert ist. Der Liebesakt ist einfach die normalste und menschlichste Sache der Welt und essenziell für den Fortbestand der Menschheit. Auch ich als Anatom ziehe ganz klare ethische Grenzen zu dem, was ich für präsentationswürdig halte und was nicht. Ich «entmenschliche» niemals ein Präparat. Niemals würde ich beispielsweise aus einer Harnblase eine Vase werden lassen, in die ich Gänseblümchen stelle. Menschliches muss menschlich bleiben, denn ich bin und bleibe Humananatom.

Sind die «Körperwelten» für Kinder geeignet? Und welches Vorwissen brauchen sie?
Kinder gehen in der Regel besonders unverkrampft mit den gezeigten Exponaten um, denn sie sind neugierig und wollen entdecken. Von Anfang an stellen wir Lehrern und Eltern Begleitmaterial zur Verfügung, das sie nutzen können, um sich auf den Besuch vorzubereiten.

Sie haben noch viele Leichen im Keller, wie Sie selber scherzhaft sagen. In Ihrer Kartei finden sich die Adressen von 19'000 Menschen, die im Fall ihres Todes ihren Körper plastinieren lassen wollen, darunter 100 Schweizer. Was sind das für Menschen?
Die Körperspender spiegeln die Vielfalt unserer Gesellschaft wieder. Die Gründe, weshalb sich Menschen für die Körperspende entschliessen, sind ebenso vielfältig. Meist ist es der Wunsch, nach dem Tod der medizinischen Ausbildung und Aufklärung dienen zu wollen oder auch einfach nicht begraben und von Würmern zerfressen zu werden.

Erfahren wir in den «Körperwelten» etwas über ihre Identität?
Die «Körperwelten» sind der Grosszügigkeit und der Initiative der Körperspender zu verdanken, die zu Lebzeiten darüber verfügt haben, dass ihr Körper nach dem Ableben dauerhaft konserviert werden darf. Wie mit den Körperspendern vereinbart, bleiben Identität, Alter und Todesursache der einzelnen Körperspender ungenannt, da sich diese Ausstellung mit dem Wunder des menschlichen Körpers beschäftigt, nicht aber mit privaten, persönlichen Schicksalen.

Würden Sie und Ihre Frau sich auch plastinieren lassen?
Ja, wir beide sind seit Anbeginn Körperspender. Ich habe meine Frau gebeten, mich nach einem Jahr der Trauerarbeit zu plastinieren. Anfangs fand sie die Idee entsetzlich, aber mittlerweile ist sie damit einverstanden. Sie weiss, dass dies mein Herzenswunsch ist, quasi die Vollendung meines Lebenswerks. Unsere qualifizierten Mitarbeiter werden sie dabei zum Glück mit Herzblut unterstützen.

Wie ist Ihre Haltung zum Thema Organspenden? Sind Sie für eine Widerspruchslösung?
Eine Organspende steht einer Körperspende zur Plastination in keinem Fall entgegen. Da sie lebensrettend oder lebenserhaltend ist, hat die Organspende Vorrang vor der Körperspende. Auch nach der Entnahme von Organen bleibt der Körper für die Plastination geeignet. Ich kann nur jeden Menschen ermutigen, Organspender zu sein. Letztlich ist es aus meiner Sicht als Demokratisierer eine individuelle Entscheidung, zu der niemand gezwungen werden sollte.

Und was sagen Sie zu aktiver Sterbehilfe, wie sie in der Schweiz über Exit möglich ist?
Das befürworte ich ganz im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das jedem Menschen das Recht auf Selbstbestimmung zuspricht.

Haben Sie keine Mühe damit, wenn man Sie in der Öffentlichkeit als «Dr. Tod» bezeichnet?
Dieser «Titel» hat mich nie gestört. Im Gegenteil, ich verwende diesen Titel manchmal selbst mit einem Augenzwinkern. So zum Beispiel auf einer speziellen Visitenkarte: Diese zeigt ein Röntgenbild meines Kopfes, natürlich mit Hut sowie zwei implantierten Elektroden in meinem Gehirn. Dabei handelt es sich um die sogenannte Tiefe Hirnstimulation (THS) oder umgangssprachlich einen Hirnschrittmacher, der durch Stimulation meine Parkinson-Beschwerden insbesondere Tremor und Bewegungsstörungen lindert.

Haben Sie selber Angst vor dem Tod und dem Sterben?
Ich bin heute noch der Meinung, dass der Tod die grösste Beleidigung des gefühlten menschlichen Seins ist, obwohl ich mich seit Jahrzehnten tagtäglich mit den Körpern Verstorbener beschäftige. Durch die Plastination gelingt es mir zwar, dem Sterben gewissermassen ein Schnippchen zu schlagen, aber leider nur körperlich. Mehr noch als die Arbeit hat allerdings die Parkinson-Krankheit meine Ansichten über Leben und Tod verändert. Das Sterben ist emotional erfahrbar geworden und der Tod selbst normaler.

Sie sind jetzt 76, scheinen aber unermüdlich. Wird der Ruhestand nie ein Thema?
Ich möchte meine Zeit, so lange und so gut es mir möglich ist, nutzen. Mein Kopf ist nach wie vor gefüllt mit Ideen, und ich arbeite weiter an der Verbesserung sowie alternativen Plastinationsverfahren wie der «Easy Plastination», die ohne Lösungsmittel auskommt.

Haben Sie ein Wunschalter, das Sie gerne erreichen möchten?
Ich eifere meinem Vater nach, mit dem wir diesen Juli seinen 105. Geburtstag feiern werden.

Sie haben einen kurzen Auftritt in «Casino Royale», wo auch die drei Pokerspieler-Objekte von Ihnen vorkommen. Weshalb sind Sie so fasziniert von 007?
James Bond war für uns als jüngere Generation hinter dem Eisernen Vorhang eine Inspiration. Er stand für die Stärke des Einzelnen gegenüber dem Kommunismus, war antiautoritär und aussergewöhnlich, verkörperte Freiheit und Möglichkeiten. Wie der britische Agent der Queen geriet auch ich als DDR-«Republikflüchtling» zwischen die Fronten des Kalten Kriegs und musste 1969 als 24-Jähriger sogar eine zweijährige Haftstrafe antreten. Mein Lieblings-Bond-Film ist natürlich «Casino Royale».

Man nennt ihn «Dr. Tod»

Gunther von Hagens wurde 1945 in der Nähe von Posen im heutigen Polen geboren. Seine Eltern flohen mit ihm zehn Tage nach Geburt vor der Roten Armee nach Deutschland.

Wegen seines Protests gegen den Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei 1968 wurde er von den DDR-Behörden der Universität verwiesen und bis 1970 inhaftiert. Von der Bonner Regierung freigekauft, beendete er sein Studium in Lübeck.

Ende der 1970er-Jahre entwickelte von Hagens die Methode der Plastination. Gunther von Hagens gründet das Institut für Plastination in Heidelberg, es sorgte ab Mitte der 1990er-Jahre durch die Wanderausstellung «Körperwelten» erstmals für breites öffentliches Interesse. Seither trägt er den Übernamen «Dr. Tod».

Von Hagens, in zweiter Ehe mit der Medizinerin Angelina Whalley verheiratet und Vater von zwei Töchtern und einem Sohn, leidet seit 2008 an Parkinson.

Gunther von Hagens wurde 1945 in der Nähe von Posen im heutigen Polen geboren. Seine Eltern flohen mit ihm zehn Tage nach Geburt vor der Roten Armee nach Deutschland.

Wegen seines Protests gegen den Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei 1968 wurde er von den DDR-Behörden der Universität verwiesen und bis 1970 inhaftiert. Von der Bonner Regierung freigekauft, beendete er sein Studium in Lübeck.

Ende der 1970er-Jahre entwickelte von Hagens die Methode der Plastination. Gunther von Hagens gründet das Institut für Plastination in Heidelberg, es sorgte ab Mitte der 1990er-Jahre durch die Wanderausstellung «Körperwelten» erstmals für breites öffentliches Interesse. Seither trägt er den Übernamen «Dr. Tod».

Von Hagens, in zweiter Ehe mit der Medizinerin Angelina Whalley verheiratet und Vater von zwei Töchtern und einem Sohn, leidet seit 2008 an Parkinson.

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