Stress, Müdigkeit, zu wenig Zeit fürs WC
Basler Postauto-Chauffeure packen aus

Drei Postauto-Chauffeure, die in Basel vom Bahnhof zum Flughafen fahren, beklagen sich über die happigen Arbeitsbedingungen. Postauto wehrt sich.
Publiziert: 19.09.2018 um 00:46 Uhr
|
Aktualisiert: 23.09.2018 um 11:34 Uhr
Patrik Berger

Ob sie auf engen Bergstrassen unterwegs sind oder im dichten Stadtverkehr: Postauto-Chauffeure tragen eine grosse Verantwortung. Auf die fast 4000 Fahrer muss Verlass sein. Und das bei einem Lohn, der manchen kaum bis Ende Monat reicht.

Umso mehr erschütterte die Recherche über den neuen Spesen-Bschiss der Posttochter, den BLICK öffentlich machte, die Chauffeure. Betroffene meldeten sich, darunter auch Werner S.* (52). BLICK traf ihn und zwei seiner Kollegen gestern in Basel. Die Postauto-Angestellten bedienen die Strecke vom Bahnhof Basel SBB zum Flughafen Basel-Mulhouse – meist ein Dutzend Mal pro Schicht.

Diese Chauffeure erheben schwere Vorwürfe gegen Postauto Schweiz, die die Linie 50 für die Basler Verkehrsbetriebe BVB fährt.

Postauto-Chauffeur Werner S. packt über die Arbeitsbedingungen aus.
Foto: Peter Gerber
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«Wir sind zu wenige Chauffeure»

Seit drei Jahren steht S. auf der Gehaltsliste von Postauto. Sein Verdienst: 5500 Franken brutto. Anfang 2019 geht die Strecke ganz an die BVB über. Deswegen ist die Stimmung jedoch nicht am Boden. «Wir sind zu wenige Chauffeure, der Druck steigt. Es wird immer schlimmer», sagt er.

Es komme vor, dass er acht Tage am Stück arbeite, einen Tag Pause habe. Und dann wieder vier Tage hinter dem Steuerrad sitze. Das Arbeitszeitgesetz lässt dies zu. «Solche Dienste gehen auf Kosten der Verkehrssicherheit», klagt er an. Und zeigt BLICK seine Einsatzpläne.

Er hat den Vorgesetzten schon mehrfach auf die Missstände der Linie 50 aufmerksam gemacht. «Es ändert sich nichts. Man bekommt zu hören, dass man an sein Arbeitszeugnis denken solle, das man demnächst bekomme.»

Die Situation von Werner S. ist verfahren: «Der Chef hat mir gar gedroht, dass er in der Region jeden Chef von anderen Unternehmen kenne und ich nie mehr einen Job bekommen würde!»

«Dann muss ich weniger aufs WC»

Ein Beispiel für den Arbeitsdruck: Weil die Zeit für einen WC-Gang oft nicht reicht, trinkt S. extra wenig und isst während der Schicht höchstens einen Apfel. «Dann muss ich weniger aufs WC», sagt er. Weitere Folgen, die seine Arbeit direkt betreffen: «Zuweilen fallen mir mitten im Basler Feierabendverkehr die Augen zu, weil ich so schlapp bin.» Er berichtet auch von Schwindelanfällen in der Pause.

Auch Erwin K.* (55), seit 15 Jahren Postauto-Chauffeur, leidet unter dem Druck: «Mir graut am Vorabend schon vor der Schicht vom nächsten Tag. Ich kann dann kaum einschlafen.» Er gibt im Gespräch auch zu, dass er und andere Kollegen oftmals extra zu schnell unterwegs seien, um Verspätungen aufzuholen.

«Ich bin körperlich am Limit»

Auf der Basler Flughafenlinie werden offenbar auch die Pausen nicht korrekt eingehalten. «Wenn wir Verspätung haben, dann haben wir nur 20 statt 30 Minuten Pause. Ich verdrücke dann halt schnell ein Sandwich und starte den Motor wieder», sagt der Chauffeur. «Wegen des Stresses habe ich fünf Kilo abgenommen. Ich bin körperlich am Limit.»

Die Chauffeure beklagen sich auch über die hygienischen Zustände. «Wir müssen am Flughafen im Gebüsch pinkeln», sagt Erdin L.* (42), seit fünf Jahren bei Postauto. Auch die öffentlichen WCs am Bahnhof seien zu weit weg. Andere wiederum kosten 2.50 Franken. «Das ist viel Geld.» Geld, das er von seinem Arbeitgeber nicht zurückbekomme.

«Staus lassen sich leider nicht planen»

Postauto widerspricht gegenüber BLICK den Vorwürfen. So sagt sie, es gebe keine Probleme mit den WCs. «Den Chauffeuren stehen mehrere Toiletten zur Verfügung, zum Beispiel 30 Sekunden entfernt in einer Confiserie. Wir akzeptieren ausnahmsweise sogar eine minimal verspätete Abfahrt wegen eines WC-Besuches», sagt Postauto-Sprecherin Valérie Gerl.

Abgesehen von «wenigen kurzfristigen Engpässen» stehe auf der Linie 50 genügend Personal zur Verfügung. In Fällen, in denen Pausen nicht eingehalten werden können, seien die Chauffeure angewiesen, sich jederzeit bei der Leitstelle zu melden. «Staus und Verspätungen lassen sich leider nicht planen.»

Zu Sekundenschlaf und Schwindelanfällen während der Dienstfahrten meint sie: «Sollte ein Fahrer in einem solchen Zustand weiterfahren, handelt er fahrlässig.» Der Fall des Mitarbeiters, der acht Tage am Stück arbeitete, sei Postauto nicht bekannt. Die Dienstpläne, die die Chauffeure BLICK vorlegten, zeichnen ein anderes Bild. 

* Name geändert

Im Februar kam der Postauto-Bschiss ans Licht

Im Februar trat die damalige Post-CEO Susanne Ruoff (60) vor die Medien und sagte: «In einer Ecke der Postauto AG ist etwas Unrechtes geschehen.» Mittels gesetzeswidriger Buchhaltungstricks hatte die Postauto-Spitze mindestens zwischen 2007 und 2015 über 100 Millionen Franken Subventionen erschlichen. Direkt nach Bekanntwerden des Bschisses musste Postauto-Chef Daniel Landolf (58) den Hut nehmen. Nach einer internen Untersuchung wurde auch der Rest seiner Geschäftsleitungskollegen freigestellt.

Im Juni trat Ruoff als CEO zurück, beteuert jedoch, nichts vom Bschiss gewusst zu haben. «Wie in jedem Unternehmen habe ich mich als CEO auf die internen und externen Kontrollsysteme verlassen», sagte sie. Als oberste Chefin übernehme sie aber die Verantwortung. Aktuell führt Ulrich Hurni (59) den Postkonzern interimistisch.

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Chauffeure verlangen korrekte Abrechnung

Weit über 1300 Postauto-Chauffeure fordern, was bei Bundesbetrieben eine Selbstverständlichkeit sein müsste: eine korrekte Arbeitszeitabrechnung (BLICK berichtete). Die Bus-Chauffeure des Unternehmens wehren sich dagegen, systematisch Gratisarbeit leisten zu müssen. Ihre Einsätze sind so eng geplant, dass sie in ihrer Arbeitszeit fast nur fahren können. Chauffeure berichten davon, dass sie in der regulären Arbeitszeit nicht dazu kommen, das Geld der Fahrgäste für die Tickets einzuzahlen. Oder: Um sicher ans Ziel zu kommen, müssen die Postauto-Chauffeure vor den Fahrten einen Sicherheitscheck durchführen – für diesen Check räumt ihnen Postauto gerade mal vier Minuten Arbeitszeit ein. «Viel zu wenig», sagt ein früherer Postauto-Mitarbeiter zu BLICK. Sven Zaugg, Pascal Tischhauser

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Auf Benno Bucher (44) wartet bei seinem Amtsantritt am 1. Oktober ein Haufen Arbeit. Der neue Finanzchef wird Postauto-Chef Christian Plüss (56) tatkräftig darin unterstützen müssen, den Postautobschiss sauber und transparent aufzuarbeiten.

Ganz wichtig: Bucher muss eine Buchhaltung ohne Trickli aufstellen und bei Neuausschreibungen im regionalen Personenverkehr – da, wo Postauto keinen Gewinn machen darf – mit realistischen Preisen kalkulieren.

Der neue Finanzchef wird nicht darum herumkommen, nicht nur die französische Tochter Car Postal, sondern auch Postauto Liechtenstein abzustossen. Und zwar zu einem Preis, bei dem Postauto nicht das Gesicht verliert. Eine weitere Baustelle sind die Leihräder der Postauto-Tochter Publibike, die wegen schlechter Schlösser massenhaft geklaut wurden. Dieses Geschäft wird er genau überdenken müssen.

Die wichtigste Aufgabe: Bucher wird alles daran setzen müssen, das Vertrauen in der Öffentlichkeit, bei Politikern und in der Branche, wiederherzustellen – dank sauberen Zahlen. Patrik Berger, Pascal Tischhauser

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