Der deutsche Ökonom Niko Paech (59) erklärt, warum weder Greta, Trump noch das WEF den Planeten retten können
«Die Grünen sind am unfähigsten, Klimaschutz umzusetzen!»

Postwachstumsökonom Niko Paech, lange Enfant terrible der Wirtschaftswissenschaften, spricht im BLICK-Interview über die grösste Krise der Welt, das WEF und was er für 2020 erwartet.
Publiziert: 19.01.2020 um 23:46 Uhr
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Aktualisiert: 21.01.2020 um 09:55 Uhr
Was er predigt, ist jetzt Trend: Der Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech ist wachstumskritisch.
Foto: Sabine Wunderlin
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Interview: Fabienne Kinzelmann

Würden alle wie Niko Paech leben, wäre der Klimawandel wohl Geschichte. Erst ein einziges Mal in seinem Leben ist der 59-jährige Professor überhaupt geflogen: Weil ihn sein Doktorvater 1993 dazu zwang, ihn in Amerika zu treffen. In seiner Disziplin, den Wirtschaftswissenschaften, galt Wachstumskritiker Paech lange als Aussenseiter. Dank der Klimadiskussion ist seine Kritik an der Lehre vom ewigen Wachstum im Trend – BLICK sprach mit ihm klimaschonend via Telefon über die Welt und ihre grösste Krise.

Australien brennt, der Amazonas ist in Gefahr, überall Unzufriedenheit. Wer rettet denn jetzt den Planeten: Greta Thunberg oder die Teilnehmer des WEF 2020?
Niko Paech: Keiner von beiden. Wir brauchen einen Aufstand der Handelnden – Gruppen von Menschen, die eine Lebensweise praktizieren, die übertragbar ist auf 7,5 Milliarden Menschen.

Ist das nicht das Ziel von Greta und ihren Mitstreitern?
Protest sichert noch nicht das Überleben der menschlichen Zivilisation. Das kostet etwas. Und zwar das Fallenlassen ganz bestimmter Forderungen, materielle Wünsche und Freiheiten.

Sie predigen Verzicht?
Nein, ich rede von Suffizienz, einer freiwilligen Reduktion oder Begrenzung der Ansprüche auf ein ökologisch verantwortbares Mass. Dies wäre kein Verzicht, weil wir längst psychische Wachstumsgrenzen durchstossen haben. Die Reizüberflutung, die Orientierungslosigkeit, der Stress, das Burn-out-Syndrom, Depressionen und so weiter – das alles nimmt zu wegen des Wohlstands, der unsere Sinne überfordert.

Nützt es etwas, dass die globale Führungselite auf dem WEF auch über Zukunftsthemen wie Klima und Gesundheit diskutiert?
Das wird das Grundproblem nicht lösen: Die Politik ist komplett handlungsunfähig, weil die Mehrheit der Menschen in den parlamentarischen Demokratien ökonomisch und ökologisch über ihre Verhältnisse lebt. Diese Menschen müssten somit jemanden wählen, der sie zu etwas zwingt, was sie freiwillig nicht zu tun bereit sind. Diese Paradoxie lässt sich nicht auflösen.

Dabei ist grüne Politik doch im Trend – bei den vergangenen Wahlen in Europa haben die Grünen fast überall abgeräumt.
Die Grünen sind am unfähigsten, Klimaschutz umzusetzen. Der Grund ist simpel: Keine Partei kann gegen die eigene Wählergruppe vorgehen – und niemand hat einen grösseren CO2-Rucksack als grüne Wähler. Die Massnahmen der Grünen reichen nicht, und starke Forderungen stellen sie nur, wenn sie nicht an der Macht sind.

Was halten Sie vom «Green New Deal» der neuen EU-Chefin Ursula von der Leyen?
Das ist eine Mogelpackung, die das Unmögliche verspricht: keine Wohlstandsreduktion bei gleichzeitig hinreichendem Umweltschutz. Das Gleiche gilt in den USA für den Plan der Demokraten.

Macht es China besser?
China könnte nicht weiter von einer nachhaltigen Entwicklung entfernt sein. Das Gros der Mobilität beruht auf Auto- und Flugverkehr. Und dass China zusätzlich zu all den zerstörerischen Massnahmen den Zugverkehr fördert und in erneuerbare Energien investiert, ist genau das europäische Prinzip: Wir ummanteln den CO2-intensiven Luxus, der nicht reduziert werden soll, mit grünen Symbolen.

Was würden Sie machen, wenn Sie morgen am Drücker wären?
Erstens, ein Bildungssystem, das jungen Menschen schlicht und ergreifend ökologische Verantwortung für das 21. Jahrhundert vermittelt. Das setzt voraus, dass Menschen in regelmässigen Abständen ihre eigene CO2-Bilanz kalkulieren. Zweitens ein Verbot aller Urlaubsflüge, Kreuzfahrten und von anderem schamlosen Luxus. Drittens: Einführung der 20-Stunden-Woche, um bei halbierter Produktion dennoch Vollbeschäftigung erreichen zu können.

Die neue, finnische Premierministerin befürwortet die 4-Tage-Woche. Und eine australische Studie hat gerade gezeigt, dass Länder mit mehr Politikerinnen zu einer ambitionierteren Klimapolitik tendieren. Sind Frauen progressiver?
Ich finde es grossartig, wenn Frauen in hohen politischen Ämtern sind. Davon braucht es noch mehr, nämlich aus Gründen der Gleichberechtigung. Aber Nachhaltigkeit haben weder Margaret Thatcher, noch Angela Merkel, Golda Meir oder Indira Gandhi hingekriegt. Bei der SP sehe ich jetzt auch keine wirksame Nachhaltigkeitspolitikerin.

Wir befinden uns in einer Phase aktuell schwachen Wachstums und niedriger Zinsen. Freuen Sie sich darüber?
Ich sehe nicht, dass das Wachstumspotenzial gesunken ist. Nur weil das Bruttoinlandprodukt an einer Stelle nicht stark wächst, bedeutet das nicht automatisch eine ökologische Entlastung. Man muss dann schon hinschauen, welche Sektoren schrumpfen und ob nicht während dieses Schrumpfungsprozesses schädlichere Sektoren sogar wachsen.

Wir stehen jetzt am Beginn eines neuen Jahrzehnts. Was erwarten Sie für 2020 und darüber hinaus?
Wir haben aus den vergangenen Krisen nichts gelernt – weder aus der ökologischen, noch aus der Lehman-Brothers-Pleite, noch aus der kaum diskutierten Ölkrise der Nullerjahre. Aber dies wird sich wiederholen. Moderne Gesellschaften werden einen enormen Stress erleben, was die Stabilität bisheriger Lebensverhältnisse anbelangt. Ich kann nur hoffen, dass mehr soziale Bewegungen entstehen, deren Teilnehmer alternative Lebensformen erproben. Wenn das eine kritische Masse erreicht, könnte dies zum Selbstläufer werden. Die Politik eilt dem gesellschaftlichen Wandel niemals voraus, sondern immer nur in sicherem Abstand hinterher.

Die Schweiz ist für ihn ein Vorbild

Dem Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech (59) gefällt das Schweizer Politikmodell – weil es auch zwischen den Wahlen Abstimmungen zulässt. Dass die nicht immer zugunsten der Umwelt ausfallen, rechnet er einem Problem zu: Herr und Frau Schweizer sitzen in der Wohlstandsfalle. Er selbst schwört auf Konsumverzicht. Paech hat den Begriff der «Postwachstumsökonomie» geprägt, lehrt und forscht an der Universität Siegen (D) als ausserplanmässiger Professor im Bereich Plurale Ökonomik. Die hat dem Kanon der Volkswirtschaftslehre abgeschworen – und sucht nach neuen Wegen, Wirtschaft und Nachhaltigkeit zu vereinbaren.



Dem Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech (59) gefällt das Schweizer Politikmodell – weil es auch zwischen den Wahlen Abstimmungen zulässt. Dass die nicht immer zugunsten der Umwelt ausfallen, rechnet er einem Problem zu: Herr und Frau Schweizer sitzen in der Wohlstandsfalle. Er selbst schwört auf Konsumverzicht. Paech hat den Begriff der «Postwachstumsökonomie» geprägt, lehrt und forscht an der Universität Siegen (D) als ausserplanmässiger Professor im Bereich Plurale Ökonomik. Die hat dem Kanon der Volkswirtschaftslehre abgeschworen – und sucht nach neuen Wegen, Wirtschaft und Nachhaltigkeit zu vereinbaren.



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